Musik an sich


 
Inhalt
News
Reviews
Leserbriefe
Links
Impressum
 
Musik an sich
 
Giuseppe Verdi: Aida
(Teldec)
Oper (Romantik)

 

Gallardo-Domâs, Borodina, La Scola, Wiener Philharmoniker, N. Harnoncourt

Einspielungen von Verdis Dauerbrenner "Aida" gibt es wie Sand am Meer. Dennoch ist es Harnoncourt mit seinem Beitrag zum Verdi-Jahr gelungen, neue Perspektiven auf das Stück zu eröffnen, die es tatsächlich aus der Ecke des pompösen Theaterspektakels herausholen und zurückführen auf das eigentliche Seelendrama - eines der bewegendsten und dramaturgisch wegweisendsten der Operngeschichte.

Die Story in aller Kürze: Die äthiopische Sklavin Aida und der ägyptische Offizier Radames lieben einander. Als Radames die Truppen Äthiopiens unter Führung von Aidas Vater Amonasro schlägt, soll ihm jedoch als Lohn die Tochter des Königs, Amneris, vermählt werden. Aida ist hin- und hergerissen zwischen Liebe zum Vaterland und ihrer Liebe zu Radames. Dieser plaudert in einem von ihrem Vater belauschten Gespräch mit Aida die Kriegspläne Ägyptens aus, weigert sich aber, mit beiden zu fliehen, als er seinen versehentlichen Verrat bemerkt. Dem wegen Hochverrats Angeklagten bietet Amneris an, seine Freilassung zu bewirken, wenn er sich ihr zuwendet. Radames lehnt ab und wird zum Tode verurteilt. Zu dem lebendig unter dem Tempel des Vulkan Begrabenen dringt die zurückgekehrte Aida vor, um mit ihm gemeinsam zu sterben. Amneris bleibt weinend zurück.

Schon in der Ouvertüre legt Harnoncourt sein Konzept offen: Er denkt die Oper ganz vom Piano, von der verzweifelten Todessehnsucht her, nicht vom Forte des Triumphmarsches oder der Massenszenen. Die dynamische Bandbreite wird voll ausgeschöpft, um die musikalischen Akzente und Konturen zu schärfen. Das gelingt weitgehend überzeugend. Dadurch fällt es leichter, als bei den üblichen Darbietungen der "Aida" als farbenprächtiges Massenspektakel, in die Gefühlswelt und die sehr verschiedenartigen Stimmungen einzutauchen.

Dazu trägt bei, daß Harnoncourt nicht allenthalben auf Wohlklang bedacht ist. Die auf seine Veranlassung extra nachgebauten, sogenannten "ägyptischen" Trompeten etwa bewirken einen scharfen, metallischen Fanfarenklang, durch den das martialisch-militärische in den Vordergrund rückt. Auch der massive Einsatz der Pauken begünstigt diesen Eindruck an den entsprechenden Stellen. Und wenn das Volk mit "Guerra!Guerra!"-Rufen nach Krieg verlangt, ist das kein gefälliger Chorgesang, sondern das rauschhafte Schreien einer fanatisierten Masse, welches einem kalte Schauer über den Rücken treibt.

Nur ganz vereinzelt drängt der satte Orchestersound den Chor ein wenig in den Hintergrund, ansonsten genügt das räumliche, ausgewogene Klangbild höchsten Ansprüchen. Hierdurch und durch den musikalischen Grundansatz des Dirigenten werden auf einmal Klangfarben und Instrumentierungen wunderbar deutlich, die sonst leicht untergehen oder verwischt werden.

Den Hörgewohnheiten zuwider das Material gegen den Strich zu bügeln, geht allerdings nicht immer auf. Harnoncourt fällt es schwer, das nicht bedeutungsschwangere auch so zu nehmen. Manche Musik, etwa in den Tanzszenen, ist eben nichts anderes als ein Zugeständnis ans folklorehungrige Publikum. Das Bemühen, hier hintergründig zu wirken, geht deshalb zwangsläufig ins Leere.

Was die Solisten betrifft, steht es 7:1. Schade nur, dass ein Ausfall den Gesamteindruck nachhaltig trübt. Es ist Vincenzo La Scola als Radames. Er macht es wirklich nicht leicht, zu glauben, dass gleich zwei Frauen ihn glühend verehren. Wegen seiner Stimme kann es in diesem Fall jedenfalls nicht sein. Noch vor wenigen Jahren an der Mailänder Scala gefeiert, macht La Scola jetzt einen desolaten Eindruck. Schon seine Auftrittsarie "Celeste Aida" lässt für den Rest des Werkes schlimmes erahnen - zu Recht. Ein "typisch italienischer" Tenor im schlechtesten Sinne. Das übermäßige Vibrato seiner Stimme wirkt nicht bewegend, sondern sülzig, ganz in der Manier des Tiefkühlpizza-Sound-Königs Bocelli. Er geht nach dem Konzept vor, dass jede Gefühlsaufwallung, welcher Art auch immer, unbarmherzig durch Lautstärke ausgedrückt wird. Differenziertheit und Gestaltung der Rolle - Fehlanzeige. Es bewahrheitet sich die Weisheit des Volksmundes "Wer schreit, hat immer Unrecht". Vor allem in den Höhen wird dies außerdem unangenehm und läuft insgesamt dem Bemühen zuwider, die Figuren menschlich statt opernhaft zu zeichnen.

Der Rest des Ensembles überzeugt hingegen. Besonderes Lob gebührt Olga Borodina. Trotz des reizvoll dunklen Timbres ihrer Stimme, verkörpert sie die Amneris nicht als schlicht böse, sondern als tragische Figur, die in ihrer unerfüllten Liebe bis zum Äußersten geht. Die Borodina gefällt, indem sie Zorn, Verzweiflung, Enttäuschung so hinreißend perfekt transportiert, dass sich ein Blick in das Textheft erübrigt - bei ihr weiß man auch so, woran man ist.

Als Höhepunkt der Aufnahme darf ihre Konfrontation mit Aida im zweiten Akt gelten. Denn auch Cristina Gallardo-Domâs agiert als solche in ihrer Paraderolle. Sie präsentiert eine Aida mit mädchenhaftem Ton, die ihre Schwachheit nur in kurzen Momenten des Aufbäumens überwindet, ansonsten aber schon von Beginn an von Todessehnen und Todesahnung gezeichnet ist. Auch hier gibt es nicht nur "Schöngesang", sondern ein farbige Charakterstudie, die schlüssig die Zerrissenheit des Charakters, die Ohnmacht gegenüber den äußeren Mächten darstellt. Unmöglich, nicht ergriffen zu sein, wenn die Chilenin die Hoffnungslosigkeit ihrer Liebe besingt. Scheinbar mühelos zieht sie den Hörer in jede Nuance der Stimmungen hinein.

Eine Idealbesetzung sicher auch Matti Salminen als stets bedrohlich klingender Oberpriester Ramfis. László Polgár gibt einen ausreichend staatsmännisch wirkenden König, manchmal vielleicht etwas zu polternd.

Nun ja, und wenn selbst die kleineren Rollen mit anerkannten Größen wie Thomas Hampson (ein wirklich fantastischer Amonasro!!) und Dorothea Röschmann überzeugend besetzt werden, erhebt sich um so dringender die Frage, warum es für die männliche Hauptrolle ausgerechnet eine solche, bestenfalls durchschnittlich zu nennende Stimme sein mußte.

Alles in allem also keine Einspielung für jene, die sich bei Verdi in glatt gebügelter Melodienseeligkeit ergehen möchten, sehr wohl aber eine für solche Hörer, die die Oper miterleben, mitdurchleiden wollen, die bereit sind, sich ganz in die Geschichte hineinnehmen zu lassen.

Noch ein Kritikpunkt bedarf der Erwähnung: Die herkömmliche CD-Verpackung tut es nicht mehr, originell muss es sein. Teldec verfiel auf die Idee, die drei CDs in ein kleines, hieroglyphenverziertes Buch zu verpacken, das (reichhaltige) Infos und Libretto mitliefert. Die Scheiben befinden sich in Papptaschen im Inneren des Buchrückens, die so schmal konstruiert sind, dass es unmöglich erscheint, die CDs (wenn überhaupt) ohne Beschädigungen zu entnehmen. Ärgerlich und mühevoll! Kein Mensch kauft eine CD nur wegen einer solchen Verpackung, aber womöglich lassen einige Interessenten sie deshalb liegen. Darüber sollten die Werbestrategen einmal nachdenken. Und jenem, der diese Konstruktion erdacht hat, wünsche ich juckenden Hautausschlag auf dem Rücken und Arme, zu kurz, um sich zu kratzen!!

Repertoire: 4 Punkte
Klang: 5 Punkte
Interpretation: 4 Punkte
Edition: 4 Punkte

Gesamt: 17 von 20 Punkte

Sven Kerkhoff
 

Inhalt | Impressum | Links | News | Reviews | Leserbriefe
zur Homepage | eMail Abo bestellen | Download aktuelle Ausgabe