Codex Caioni – Ungarische Volksmusik (Prisma)

Il Transilvano. Musical bridges between Italy and Hungary around 1600


Info
Musikrichtung: Barock Ensemble

VÖ: 06.11.2020

(Ricercar / Outhere / CD / DDD 2019 / Best. Nr. RIC419)

Gesamtspielzeit: 57:55



HERRLICH BUNT

Drei ganz unterschiedliche Alben. Und doch verbindet sie die Epoche, aus der die Musik stammt: das 17. Jahrhundert. Und die Originalität der Programme, die den Reichtum frühmoderner europäischer Musik vor Ohren führen.

Herrlich bunt treibt es das Ensemble Prisma auf seiner zweiten Aufnahme Il Transilvano. Wer nun sinister-draculische Klänge aus den Karpaten erwartet, wird (positiv) überrascht: Das international besetzte Ensemble erforscht hier den fruchtbaren musikalischen Austausch zwischen Ungarn und Italien im Barockzeitalter. Eine Auswahl aus dem voluminösen „Codex Caioni“ wechselt mit Bearbeitungen ungarischer Volksmusik, wobei die Übergänge fließend sind. Die Mischung ist ausgesprochen temperamentvoll und musikalisch verspielt, wobei wohlig-archaische Weisen und pikante Dissonanzen für die rechte Würze sorgen. Gepfefferte Virtuosität ergänzt sich mit fein ausgehörten, versonnenen Klängen.
Sehr kurzweilig ist das, was es da zwischen elaborierter Kunstmusik und mündlich Tradiertem zu hören gibt, auch, weil jedes der meist kurzen Stücke ganz individuell gestaltet wird. Dabei erweisen sich die Instrumentalisten als ausgesprochen wandlungsfähig: Wie exotisch kann eine Blockflöte klingen, wie perkussiv die Theorbe, von dem mitunter funkigen Ton der Streichinstrumente ganz zu schweigen. Auch stimmlich gibt es etwas zu entdecken: Geigerin Franciska Hajdu steuert noch einige reich ornamentierte Vocals bei. Ein tolles Programm!

Wie anders dagegen das Ensemble InAlto mit seiner Huldigung an zwei barocke Virtuosen, die Cornett- bzw. Zink-Spieler Luigi Zenobi und Giovanni Sansoni. Der Zink ist sozusagen der Countertenor unter den Blasinstrumenten des 16. und 17. Jahrhunderts: herb und süß zugleich, erinnert sein Ton an eine Mischung aus Trompete und Blockflöte. Mühelos überstrahlt sein klarer, durchdringender Klang ein großes Ensemble. Ebenso vermag er aber, sehr zart und kammermusikalisch zu agieren – dann konzertiert er sogar diskret mit einem Cembalo, dessen Deckel geschlossen ist (wie auf der vorliegenden Aufnahme zu hören).
Ensembleleiter Lambert Colson ist ein Meister dieses delikaten Instruments, das er mit großer Virtuosität und Leichtigkeit zum Singen bringt. Begleitet wird er von einem weiteren Zink, Posaunen, Fagott, Violinen und Cembalo bzw. Orgel in den unterschiedlichsten Zusammenstellungen.
Die Auswahl der Stücke von bekannten Komponisten wie Heinrich Schmelzer und unbekannteren Meistern wie Giovanni Priuli führt vom frühbarocken Italien zum hochbarocken Habsburgerhof. Sie ist durchweg erlesen und die Darbietung zeichnet in allen Kombinationen eine exquisite Klangkultur aus. Da gibt es barocke „Blues“-Anklänge ebenso zu entdecken wir farbenreich komponierte, erhabene Sonaten, bei denen die lichten Töne des Zinks mit denen der samtig-dunklen Posaunen alternieren. Altmeisterlich, aber zeitlos schön!

Humorvoll und urig und dann wieder mehr nachdenklich, verträumt oder getragen (aber nicht allzu lange!) geht es dagegen im „Affekt-Studio“ des Ensembles Il Ricercar Continuo zu. Unter dem Titel Pulchra es erkunden die drei Musiker*innen mit Flöten, Dulcianen, Cello, Erzlaute und Theorbe die Ausdruckspallette der italienischen Instrumentalmusik des Frühbarock. In dieser damals wohl kreativsten Periode und Region der abendländischen Musik inspirierten eine bis dahin unerhörte Emanzipation der Solo-Melodie und eine zirzensisch gesteigerte Spielkunst die Komponisten.
Auch bei dieser Produktion erfreut den Hörer, was mit einer Handvoll „alter“ Instrumente alles möglich ist. So klingen die Dulciane, Vorgänger des Fagotts, manchmal wie ein tiefes Saxophon. Und wer denkt bei den langsameren Stücken nicht an eine moderne Pop-Ballade? Für barocke Dancefloor-Impressionen sorgt die Blockflöte mit ihren exzentrischen und halsbrecherischen Soli.
Eine Freude ist auch hier das spiel- und aufnahmetechnische Niveau: Wie sich Virtuosität, Improvisationskunst und das Gespür für Timing und Ausdruck sich selbstverständlich mit einem präsenten, tiefenscharfen Klangbild verbinden, so dass der spannungsvolle musikalische Faden nicht abreißt. Kaum kann man ermessen, wie viel quellenkundige und praktische Forschung in der Erarbeitung derartiger Konzertprogramm steckt! Auch wenn die Bandbreite aufgrund der kleineren Besetzung im Ganzen schmaler sein mag als bei den beiden anderen Platten, so ist man doch immer wieder verblüfft vom Reichtum und Charme dieser Miniaturen, die von heute zumeist wenig bekannten Komponisten stammen. Auch hier gilt: Es müssen nicht die großbesetzten Hits der Klassik-Charts sein!



Georg Henkel



Besetzung

Prisma


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