Die Ankunft des madagassischen Kaisers: Jin Jim zu Gast beim Jazzklub Altenburg




Info
Künstler: Jin Jim

Zeit: 12.10.2018

Ort: Altenburg, Paul-Gustavus-Haus

Internet:
http://www.jinjim.com
http://www.jazzklub-altenburg.de

Landet eine noch relativ junge Jazzrockformation wie Jin Jim bereits mit dem zweiten Album bei ACT Records, darf der Hörer davon ausgehen, dass da einiges an Substanz dahintersteckt. Der blumig formulierte Einladungstext des Jazzklubs Altenburg macht zusätzlich neugierig – also auf ins Paul-Gustavus-Haus, woselbst das Konzert diesmal im großen Erdgeschoß-Innenraum des Vorderhauses stattfindet, also nicht im Hinterhaus, wo ein knappes halbes Jahr zuvor Schwarzkaffee gespielt hatten (siehe Rezension auf diesen Seiten). Die Besucheranzahl hätte im geräumigeren Hinterhaus allerdings in der Tat womöglich ein wenig verloren ausgesehen, während das Vorderhaus mit dieser Kopfzahl knackevoll ist.

Einer der maßgeblichen Originalitätsfaktoren des Quartetts ist die Besetzung: Zu einem „klassischen“ Jazzrocktrio mit Gitarre, Schlagzeug und in diesem Fall Kontrabaß gesellt sich als vierter Mann nämlich ein Flötist, und der hat ein ganzes Arsenal an Instrumenten dabei, das größentechnisch bis zu einer großen Baßflöte reicht, die etwa im Intro von „Dreaming“ exzellente seelenstreichlerische Arbeit verrichtet. Dieses Quartett nun setzt sich keine stilistischen Grenzen: Die Jazzrockbasis bleibt zwar stets erkennbar, aber wie und in welche Richtung diese nun konkret ausgestaltet wird, das birgt für den Zuhörer immer wieder Überraschungsmomente, wie auch der Unkundige gleich in den ersten Sekunden des Openers „Quiero todo“ feststellt, wo der Klangeindruck mal eben von Jethro Tull zu Swing und Funk changiert, ohne dass man den Bonnern freilich Konzeptlosigkeit vorwerfen könnte. Im Gegenteil: Das, was sie machen, hat Hand und Fuß und zumeist auch einen nicht gar zu sehr zerschnippelten roten Faden, ist folglich auch für Menschen goutierbar, die nicht zum Frühstück Watchtower, zum Mittagessen John Zorn und abends irgendwelchen neumodischen progressiven Deathcore hören. Freilich braucht man ein Faible für lange Songs: Wer mal als Ende des Reviews linst, sieht die Setlist des kompletten Abends, also zwei Hauptsets zu je vier Songs plus zwei Zugabenummern – und damit füllen Jin Jim problemlos knappe zwei Stunden Spielzeit. Zwei ganz große Longtracks sind dabei, zum einen „Die Ankunft des Kaisers“, das mit einem ausgedehnten Flötensolo beginnt, im weiteren Verlauf auch allen anderen Mitgliedern noch Gelegenheiten für Solospots einräumt, teils sehr hohe Geschwindigkeiten erreicht und dann enorm viel Energie transportiert, seinen eindringlichsten Moment allerdings erreicht, wenn Drummer Nico sein Quasi-Solo spielt, während Flötist Daniel pausiert, Gitarrist Johann und Bassist Ben aber Unisono-Riffing drunterlegen. Der andere lange Kanten heißt „Duende“, abermals von einem langen Flötensolo eingeleitet, aber stärker mit Flamenco-Elementen spielend und auch diese kongenial in den Gesamtsound einbindend. Selbiger beinhaltet in zwei Songs übrigens auch Vokalisen in teils auch mehrstimmigen Arrangements – alle vier Bandmitglieder singen dann mit und beweisen, dass es kein Problem für sie wäre, eine volle Sängerstelle auszufüllen, wenn sie eines Tages mal auf die Idee kommen, keine fast pure Instrumentalband mehr sein zu wollen. Als sei das an Kreativität noch nicht genug, nutzen Jin Jim auch noch Einflüsse aus verschiedenen Ländern – Daniel als gebürtiger Peruaner bringt solche ja naturgemäß mit, aber der Titel von „Mankafiza“ beispielsweise ist madagassisch, und das Quartett war schon mehrfach auf Tour in verschiedenen afrikanischen Ländern, was auch die eine oder andere musikalische Spur hinterlassen hat. Nimmt man dann noch den Faktor dazu, dass Daniel die Flöte nicht nur in hergebrachter Weise spielt, sondern sie zugleich im Stile eines Beatboxers nutzt, was der Rezensent so überhaupt noch nie gesehen hat (Beatboxer sind im A-cappella-Genre ja mittlerweile gang und gäbe, aber hier ...), und dass natürlich alle Bandmitglieder hochgradig fit an ihren Instrumenten sind, so ergeben sich weitere Zutaten für einen hochinteressanten Konzertabend. Als Gefährdungsfaktor erweisen sich die Soundverhältnisse: In dem relativ kleinen Raum kann besonders intensiv ausgeprägte Schlagzeugarbeit leicht vorschmecken. Der Rezensent befindet sich allerdings in der hinteren rechten Raumecke, von wo aus er Nico nicht im direkten Sichtfeld hat, sondern durch den Eingangsbereich „abgeschirmt“ ist – und das erweist sich als gute Entscheidung, denn dort hinten hört man den Drummer immer noch erstklassig arbeiten, aber er dominiert den Klang nicht, und nur den Kontrabaß hätte man sich noch einen Deut lauter gewünscht, ansonsten ist das Soundgewand dort hinten richtig gut und angemessen zupackend wie transparent.
Wer das aktuelle, zweite Album Weiße Schatten oder zumindest seine Tracklist kennt, wird beim Vergleich mit der untenstehenden Setlist feststellen, dass alle seine Nummern (das Flöten-Intro von „Duende“ bildet einen eigenen Track auf der CD, so dass es live „nur“ acht Nummern sind, auf Konserve aber neun) erklingen, mit einer Ausnahme übrigens alles Eigenkompositionen. Die Ausnahme heißt „House Of The King“ und war 1971 der erste Hit der Holländer Focus, auch wenn seine Popularität heute deutlich im Schatten von „Hocus Pocus“ steht. Die beiden noch fehlenden Nummern, nämlich „Quiero todo“ und das bereits erwähnte „Die Ankunft des Kaisers“, letzteres übrigens vom Drummer geschrieben, der auf der neuen Scheibe keine songwriterischen Kernkompetenzen entfaltet hat, stammen vom Debütalbum. Leider nicht in der Setlist steht eine andere originelle Coverversion: Irgendwann hofft der Rezensent mal zu hören zu bekommen, wie Jin Jim Soundgardens „Black Hole Sun“ umgesetzt haben. Angedüsterte Halbballaden finden sich freilich auch unter den Eigenkompositionen gelegentlich, wie „Exploration“ deutlich macht, und auch „Dreaming“ entfaltet lange Zeit eine Art ruhigen Schwebezustand, bis dann doch nochmal die große Energiestufe gezündet wird. Die größte der letztgenannten beinhaltet neben dem bereits erwähnten „Die Ankunft des Kaisers“ übrigens die letzte Zugabe „7x7x7“, ausgestattet mit äußerst kernigem Riffing und einen sehr starken Gig kongenial abschließend, nach dessen Ende die Exemplare der neuen CD weggehen wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln.

Setlist Jin Jim:
Quiero todo
House Of The King
Days Of September
Die Ankunft des Kaisers
--
Mankafiza
Exploration
Duende
Dreaming
--
Surface
7x7x7


Roland Ludwig



 << 
Zurück zur Artikelübersicht
 >>