Musik an sich


Reviews
Schönberg, A. (Cambreling, S.)

Moses und Aron


Info
Musikrichtung: Klassische Moderne - Oper

VÖ: 16.06.2014

Naxos / Hänssler Classic (Naxos) / 2 CD / SACD hybrid / 2012 / Best. Nr. 93.314

Gesamtspielzeit: 101:10



VOLLENDETES FRAGMENT

Arnold Schönbergs einzige Oper Moses und Aron (komponiert 1931-32) blieb ein Fragment und wirkt doch vollendet. In der vorliegenden Einspielung wird die komplexe Partitur, die Schönberg aus einer einzigen Zwölftonreihe entwickelte, durch das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, die EuropaChorAkademie und ausgzeichnete Solisten unter der Leitung von Sylvain Cambreling mit großer Tiefenschärfe und Sinn fürs Detail zum Klingen gebracht. Von dem Etikett „Zwölftonmusik" lasse man sich bitte nicht abschrecken: Die dissonanzgesättigten Klänge sind zwar sperrig und verweigern sich jedem operntypischen „Schöngesang“. Sie sind aber nicht unverständlich und abstrakt, sondern ergeben eine atmosphärisch dichte, vielgestaltige Musik, bei der vor allem die großen Ensembles durch ihre expressive und zugleich bedrohliche Kraft beeindrucken.
Der Komponist hat aus Moses und Aaron, den Gründervätern Israels, die Vertreter zweier gänzlich konträrer Religionsvorstellungen gemacht: Moses - eine Sprechrolle - wird zum Propheten einer rein geistigen, bildlosen Gottesvorstellung, die in den abstrakten Gebotstafeln Gestalt gewinnt. Aaron - dargestellt durch einen arios singenden Tenor - steht für einen fasslicheren, „welthafteren“ Gott, der nicht in unerreichbarer Jenseitigkeit existiert, sondern auch in einem Kultbild - dem „Goldenen Kalb“ - zugänglich wird. Es geht um zwei grundsätzliche Arten, Gott zur Sprache zu bringen bzw. zu erleben: abstrakt und geistig oder eben konkret, körperlich, sinnlich.
Das klingt sehr religionsphilosophisch und ist es auch. Ursprünglich hatte der Komponist geplant, die beiden widersprüchlichen Positionen in einem dritten Akt musikalisch zu versöhnen, doch blieb dieser Teil unvollendet (für die vorliegende Einspielung wurde er im Libretto abgedruckt). Dramaturgische Spannung entsteht wesentlich durch eine dritte Partei: das Volk Israel, das hier als leicht erreg- und verführbare Masse gezeichnet ist und dessen Auftritten die Oper ihre stärksten, musikalisch auch ekstatischen und gewalttätigsten Momente verdankt. Berühmt und berüchtigt ist hier vor allem der "Tanz um das Goldene Kalb", der von Schönberg zu einer regelrechten Orgie aus Völlerei, Lust und Gewalt - religiöser (Selbst)Mord inklusive - ausgestaltet wurde. In der Darstellung des Grundkonflikts von "Idee" (Theologie bzw. mystische Offenbarung) und "Realisierung" (Religion bzw. massentaugliche Inszenierung) ist das Werk heute noch aktuell, auch wenn seine "atonal-expressionistische" Sprache durchaus zeitgebunden und mitunter angestrengt wirkt.

Die vorliegende Produktion bildet die Musik auch dank der Aufnahmequalität in größter Klarheit ab, bringt dabei die großen Aufgipfelungen in den "Massenszenen" sowie die zahlreichen die lyrischen und mystischen Momente eindrucksvoll heraus. Zu loben ist dabei die differenzierte Farbigkeit, die Cambreling mit dem Orchester entfaltet. Die Möglichkeiten und Grenzen von Schönbergs Kompositionstechnik kann man hier sozusagen unter dem Mikroskop bestaunen und erleben. Freilich ist das Ganze keine Analyse geworden, sondern Musiktheater, dass sich auch ohne Szene mitteilt. Dafür sorgen nicht zuletzt die vorzüglichen Hauptakteure: Franz Grundheber als eindringlich deklamierender Mose und Andreas Conrad als leidenschaftlicher Aron. Auch der Chor und die kleineren Chor-Soli sind sehr präsent.



Georg Henkel



Besetzung

Franz Grundheber: Moses
Andreas Conrad: Aron

EuropaChorAkademie

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

Sylvain Cambreling: Leitung


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