Musik an sich


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Vinci, L. (Fasolis)

Artaserse


Info
Musikrichtung: Barockoper

VÖ: 12.10.2012

(Virgin Classics / EMI / 3 CD / 2011 / Best. Nr. 5099960286925)

Gesamtspielzeit: 187:00

Internet:

Parnassus



MÄNNERSACHE

Während politisch noch über Sinn und Unsinn einer Frauenquote für Führungspositionen in der Wirtschaft debattiert wird, setzen Dirigent Diego Fasolis und der Sänger Max Emanuel Cencic - hier zugleich Produzent und Verantwortlicher für Konzept und Casting – auf das glatte Gegenteil: Ihre Einspielung von Leonardo Vincis (1696-1730) wohl berühmtester Oper „Artaserse“ folgt dem historischen Vorbild insoweit, als sämtliche Partien, also auch die weiblichen Rollen, von Männern versehen werden. So wollte es in Rom, dem Ort der Uraufführung, einst die strenge kirchliche Morallehre. Allerdings war zu jener Zeit die Umsetzung einer solchen Vorgabe ungleich einfacher, konnte man doch auf den Pool der Kastraten zurückgreifen. An ihrer Stelle agieren hier nun also gleich fünf Countertenöre. Als Sechstem im Bunde kommt dem Tenor Daniel Behle schon fast die Position des Exoten zu.

Ein gewagtes Unterfangen. Jedoch: Wer wagt, gewinnt! Das Konzept geht glänzend auf. Die Counterstimmen sind so geschickt ausgewählt, dass ihr je eigenes Timbre eine gute Unterscheidbarkeit gewährleistet, wenngleich nicht immer ideal dem Typus der Figur entsprechen mag. So hätte man Cencics kraftvolle Stimme und seinen bisweilen aggressiven Ansatz wohl eher mit dem Part des Arbace in Verbindung gebracht, dem hingegen Franco Fagioli ein fast feminine Färbung verleiht. Diese wiederum hätte auch der von Cencic verkörperten Mandane gut angestanden. Das ändert aber nichts daran, dass beide Sänger technisch brillieren und durchaus zu überzeugen wissen. In der Titelrolle besticht Philippe Jaroussky mit gewohnt souveräner Leistung. Seine Stimme hat inzwischen einige Nuancen hinzugewonnen, wird also nicht mehr von ätherisch-reinem Weiß dominiert, was der dramatischen Ausdruckskraft durchaus zugute kommt. Die Semira singt Shootingstar Valer Barna-Sabadus eindringlich und mit erlesener, schmeichelnder Weichheit. Dass der Counterbranche der kompetente Nachwuchs nicht ausgeht, belegt der junge Yuriy Mynenko als General Megabise mit erstaunlichem Volumen und großer Intonationssicherheit. Dennoch ist man bei all den Belegen für die positive Entwicklung, die das Counterfach in den vergangenen 25 Jahren durchlaufen hat, froh über die gelegentlichen Auftritte von Daniel Behle, der einen überaus virilen und in diesem Stimmumfeld geradezu sonor tönenden Artabano gibt.

Dank dieser Sängerriege sowie dem energiegeladenen, kernigen Spiel von Concerto Köln wird die musikalische Qualität des Werkes überdeutlich. Temporeich und dramaturgisch konsequent jagt ein musikalischer Höhepunkt den anderen, die Affekte, die kleinen und großen Dramen der Figuren folgen einander in rasanter Abfolge. Im Mittelpunkt von Metastasios Libretto steht mit Artaserse dabei der Sohn des Xerxes, der um die rechtmäßige Thronfolge gebracht werden soll. Es entfaltet sich ein antikes Drama um Macht, Liebe und Königsmord, das am Ende natürlich gut ausgeht, zuvor aber reichlich Raum für Emotionen bietet.
Unter Fasolis Leitung werden bei dieser Einspielung auch die Rezitative, welche diese Handlung tragen, lebendig, aber ohne Übersteigerung gestaltet. Einen ganz erheblichen Beitrag leisten dazu die beiden Cembalisten, Gianluca Capuano und Jonathan Brandani samt dem Lautenisten Simon Marty-Ellis: Nur selten erlebt man ein solch hellwaches, perlendes und sinngebendes Spiel der Continuoinstrumente, das selbst den Arien noch zusätzlichen Reiz verleiht. Diese wiederum waren schon zu Vincis Lebzeiten berühmt für ihre geschmeidige Orientierung an der Sprachmelodie und am Textgehalt. Sie sind alles andere als koloraturlastige Massenware, sondern bestechen durch rhythmische Finesse und durch einen farbigen Orchestersatz. Mit ihnen wird die Brücke geschlagen vom neapolitanischen Stil hin zur differenzierteren Gestaltung Händels.

Alles in allem also ein opulenter Ohrenschmaus, der selbst die verwöhntesten unter den Fans der Barockoper zu erfreuen und zu überraschen vermag. Wer nicht nur den Ohren, sondern auch den Augen etwas bieten möchte, der kann versuchen, noch ein Ticket für die Artaserse-Tournee zu ergattern, die in nahezu gleicher Besetzung im November/Dezember in Europa läuft und u.a. in Köln Station macht. Der Tourplan ist unter der oben angegebenen Internetadresse von Parnassus zu finden.



Sven Kerkhoff



Trackliste
Leonardo Vinci: Artaserse
Dramma per musica, UA: 4.2.1730 (Rom)
Besetzung

Philippe Jaroussky: Artaserse
Max Emanuel Cencic: Mandane
Daniel Behle: Artabano
Franco Fagioli: ARbace
Valer Barna-Sabadus: Semira
Yuriy Mynenko: Megabise

Concerto Köln

Diego Fasolis: Ltg.


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