Musik an sich


Reviews
Paminger, L. (Stimmwerck)

Geistliche Vokalwerke


Info
Musikrichtung: Renaissance vokal

VÖ: 01.09.2010

(Christophorus / Note 1 / CD / DDD / 2010 / Best. Nr. CHR 77331)

Gesamtspielzeit: 71:39



KLEINODIEN

Diese Platte wartet mit wahren Kleinodien der Kompositions- und Interpretationskunst auf. Durch das Ensemble Stimmwerck erfahren eine kleine Auswahl geistlicher Werke des heute praktisch gänzlich unbekannten Komponisten Leonhard Paminger (1495-1567) eine herausragende Interpretation. In Passau während konfessionell wildbewegter Zeiten tätig, schrieb Paminger mehr als 700 Werke, die nur teilweise posthum im Druck erschienen sind. Stilistisch führt er die ausdrucksvolle, an der Textaussage orientierte Josquin-Linie weiter (was u. a. erklären würde, weshalb der erklärte Josquin-Liebhaber Martin Luther dem reformatorisch aufgeschlossenen Paminger ein Buch verehrte). Jedenfalls beherrschte Paminger die Kunst, den Gehalt eines geistlichen, lateinischen Textes mit Hilfe der Musik ‚subjektiv‘ aufzuschließen, perfekt.

Epigonal möchte man diese Musik darum nicht nennen. Als Polyphoniker weiß Paminger immer auch um die Schönheiten einfacher akkordischer Harmonik, die durch dissonante Reibungen gewürzt werden kann (man höre die antiphonale Psalmvertonung In exitu Israel oder den Beginn der Motette Disce Crucem). Dabei zeichnet sich auch der dichtere kontrapunktische Satz stets durch Maßhaltung aus. Die Musik darf sich in aller Klangsinnlichkeit durchaus virtuos und ausdrucksintensiv entfalten. Durch den Einsatz von bis zu fünf Stimmen und die Bildung von klangfarblich unterschiedenen Sub-Ensembles kann Paminger auch Großformen wie die Vertonung von Psalm 25 Ad te, Domine, leavi so gestalten, dass die Spannung über elf Minuten nicht abreißt.

Freilich: Ohne den außerordentlichen Einsatz der vier Stimmwercker Franz Vitzthum, Klaus Wenk, Gerhard Hölzle und Marcus Schmidl sowie ihres Gastes David Erlers würde diese Aufnahme vielleicht nur eine von vielen Wiederentdeckungen mit hochstehendem Repertoire der Spätrenaissance sein.
Der Klang aber ist in diesem Fall, man kann es nicht anders sagen, betörend: eine perfekte Mischung aus homogenem Wohlklang und individuellen Timbres. Dabei ragen die beiden Countertenöre noch einmal heraus. Die Stimmen klingen noch in der höchsten Lage frei und leuchtend (z. B. im Dixit Dominus v. a. ab 5’’ – das sind wahrlich ‚Engelszungen’!), so dass man nicht einen Moment daran denkt, dass hier falsettiert wird. Trotzdem sind es unverkennbar männliche Stimmen. Das ist schlichtweg ideal für diese Musik, der mit ebenmäßigem Schönklang allein eben auch nicht gedient ist. Für eine tiefergehende Wirkung bedarf es einer charakteristischen vokalen Textur. Beim Ensemble Stimmwerck könnte man hier von einer inneren Spannung des Ausdrucks sprechen, die durch die besondere Luminanz jeder einzelnen vokalen Linie erzeugt wird. Auch dank der direkten, aber nicht eindimensionalen Aufnahmetechnik kann man sich von den außerordentlichen Qualitäten dieser Künstler überzeugen.



Georg Henkel



Besetzung

Franz Vitzthum - David Erlers: Altus
Klaus Wenk - Gerhard Hölzle: Tenor
Marcus Schmidl: Bass


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