Musik an sich


Editorial

Musik an sich - das ist ja nicht nur die westliche, mitteleuropäisch geprägte Musik, sei es nun in Form von sogenannter „Kunstmusik“ oder „kommerzieller Musik“. Musik an sich - das ist die Musik der ganzen Welt. Das sind nicht einfach 1000 Stilformen, sondern 100000 Musikwelten.

Die neugierige oder ängstliche Faszination für die fremden Klänge ist alt: Zu Mozarts Zeiten und auch später mochte man es gerne martialisch alla turca, im davor liegenden Barock ergötzte man sich darüber hinaus an pseudochinesischen Impressionen oder mischte in der Neuen Welt lateinamerikanische Rhythmen und Klangfarben mit altehrwürdigen Kontrapunkten. Solche Mischungen gibt es, seitdem unterschiedliche Kulturen mehr oder weniger freiwillig aufeinander treffen.

Doch die Musik der Welt geht auch weit über solche weltmusikalischen Eintopfgerichte hinaus, die im Grunde nicht anderes ist als westliche Musik, die mit exotischen Soundgewürzen aufgepeppt oder mit bunter Folklore verkleidet wurde. Dabei handelt es sich ja eher um die touristisch erschlossene Version. Musik der Welt, das sind idealerweise die Original-Klänge, die aus entlegenen Winkeln der Welt herübertönen und den eigenen Hörhorizont aufbrechen, weil sie so anders sind.

Musik aus Tibet, aus Bali, aus Japan, aus Pakistan, Iran oder Aserbaidschan hatten wir z. B. schon im Rezensionsteil. Dort steht sie in der Regel unter „Klassik“, weil es sich meist um die „klassische“ (traditionelle) Musik eine bestimmten Region oder Kultur handelt. Aber Etiketten sind ja nur Hilfsmittel. Was zählt ist die fremde Schönheit, die man da entdecken kann. Label wie World Network, Celestial Harmonies oder Nimbus haben sich darauf spezialisiert, die fernen Klänge ins heimische Wohnzimmer zu holen.

Kennt jemand die Musik der Aka-Pygmänen (die älteste polyphone Musik der Welt!) oder die seltsam flötenden Klänge, die die Stimmen und Instrumente auf den Salomonen-Inseln hervorbringen? Oder die treibenden Rhythmen und ekstatischen Bambus- und Metallklänge balinesischer Musik? Die Leidenschaft des aserbaidschanischen Mugham, der meist die unerfüllte Liebe besingt? Wer eine Ahnung von jenem buddhistischen Nichts, das zugleich Alles ist, bekommen möchte, dem empfehle ich, einer japanischen Shakuhachi zu lauschen. Mitunter wird man verblüffende Ähnlichkeiten mit westlicher (ritueller oder gottesdienstlicher) Musik erkennen können. Dann wieder klingt es wie von einem anderen Planeten. (Anm der Red.: Die Links in diesem Absatz weisen auf ältere Beiträge hin; nicht auf die aktuelle Ausgabe.)

Das kann einem aber auch bei westlicher Musik so gehen. Dafür muss man gar nicht unbedingt der Musik von Karlheinz Stockhausens Mantra oder anderer moderner Meister lauschen. Das geht auch bei mittelalterlicher Musik, vor allem dann, wenn Interpreten wie Björn Schmelzer und Graindelavoix sich der Sache mit unkonventionellen Ideen annehmen. Also: Wer Lust auf Entdeckungen und Ungewöhnliches hat, wird in Musikansich auch in diesem Monat wieder einiges finden können, dies- und jenseits des Mainstreams. Unter anderem stellt Ingo Andruschkewitsch ein Weihnachtsliederbuch für Kinder vor, während sich Jürgen Weber die biographischen Gebrauchsanweisungen für eine erfolgreiche Rockmusikerkarriere vornimmt. Auch für alle Metalfans ist der Tisch mal wieder üppig gedeckt.

Georg Henkel