Musik an sich


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Koechlin, Ch. (Holliger)

Orchesterwerke: Les Heures persanes op. 65. / Les Bandar log op. 176 & Offrande musicale sur le nom BACH op. 187


Info
Musikrichtung: Klassische Moderne Orchester

VÖ: 17.08.2009

Hänssler Classic / Naxos / CD / DDD / 2006-2008 / Best. Nr. 93.125 (Heures) / 93.221 (Offrande u. a.)



ORCHESTRALER LUXUS

Charles Koechlin (1867-1950) hat mit seinem vierbändigen Traité de l’orchestration nicht nur eine imposante Kunst der Orchestrierung verfasst, sondern dazu mit seinen eigenen Kompositionen außerordentliche Beispiele geliefert. Beim Ersinnen ungewöhnlicher, doch funktionierender Instrumentalkombinationen dürfte ihn so schnell kein anderer Komponist übertreffen.
Lange Zeit sind diese buntschillernden, experimentierfreudigen Werke etwas für die musikalischen Schmetterlingssammler gewesen und wurden – wenn überhaupt – nur selten aufgeführt. Zahlreiche Uraufführungen fanden erst viele Jahre nach Koechlins Tod statt. Umso größer ist der Verdienst von Hänssler. Das Label gibt seit einigen Jahren Koechlins Klavier- und Orchestermusik in sehr gelungenen Einspielungen heraus. Bei den jüngst erschienen zwei Folgen mit Klaviermusik hat der renommierte Pianist Michael Korstick gezeigt, wie lohnend die Auseinandersetzung mit Koechlins fingerbrecherischen Superakkorden ist. Mit den immer wieder überraschenden Instrumentalwerken sind die SWR-Orchester unter der Leitung von Heinz Holliger hervorgetreten, der ein untrügliches Gespür für Koechlins Orchestersprache hat. Das hohe Niveau der Ausführenden bestätigt sich jedes Mal aufs Neue.

Die bereits 2007 veröffentlichte Produktion mit der Orchesterfassung der ursprünglich für Klavier geschriebenen Persischen Stunden ist ein Musterbeispiel für Koechlins Fähigkeit, Musik fast ganz aus organisch ineinanderfließenden Klangfarbenkomplexen zu schaffen. Motivische und rhythmische Gestalten gibt es da natürlich auch, doch sie werden ebenfalls vornehmlich als Farbwerte mit einer spezifischen Textur aufgefasst. In der ungemein differenzierten Koloristik geht Koechlin über das Vorbild Debussys hinaus. Was die Chromatik angeht, erschließt er sich gelegentlich vollständige Zwölftonfelder (die aber immer „harmonisch“ und nicht nach Schönbergs rigiden Regeln ausgewertet werden). Koechlins imaginärer Orient hat freilich auch etwas von einer klanglichen Fata Morgana, ist mitunter von derart irrealer, flüchtiger Zartheit, das die Musik beinahe maniriert wirkt. Die Klavierversion erscheint da in ihrer Beschränkung auf ein Instrument strenger, aber auch greifbarer.

Auf andere Weise ambivalent sind Les Bandar-log, Koechlins musikalische Version der Affen-Episode von Kipplings Dschungelbuch. In diesem skurrilen Scherzo nimmt Koechlin die seinerzeit aktuellen musikalischen Trends zunächst „nachäffend“ aufs Korn. Das Ergebnis ist eine geistreiche Stilmelange mit affengemäßem Tohuwabohu, bei der alles von J. S. Bach über Claude Debussy bis hin zur Arnold Schönberg brillant und manchmal auch drastisch karikiert wird. Koechlin macht sich hier über die weniger begabten Modekomponisten lustig, die den großen Vorbildern stupide hinterher komponieren. Daraus kreiert er einen opulenten, bei aller Komik faszinierenden und klanggewaltigen musikalischen Urwald, der am Ende regelrecht verklärt wird (im Licht der „echten“ und guten poly- bzw. atonalen Musik, deren Meister Koechlin ohne Zweifel war). Ein Film für die Ohren, der sicherlich näher am vielschichtigen Original ist als es alle Filmversionen des Stoffs je sein können.

Koechlins lebenslange Begeisterung für die Musik von Johann Sebastian Bach findet einen späten, eindrucksvollen Ausdruck in seinem Musikalischen Opfer über den Namen BACH. Das klassische b-a-c-h-Thema hat nach Bach manchen Tonsetzer fasziniert und zu Huldigungsmusiken inspiriert. Koechlin kreiert mit Hilfe einer riesigen Orchesterbesetzung ein rund 50 Minuten dauerndes Kaleidoskop unterschiedlichster Stücke. Deren Besetzung reicht vom solistischen Klavier über ein Streichquartett und diverse Kammerensembles bis hin zum 106 Spieler umfassenden Tutti. Auch die stilistische Spreizung ist groß: Fugen, spätromantische Klangmalerei, Polytonalität, impressionistische Farbspiele.
Der Einsatz eines Ondes Martenot, einer Vorform des Synthesizers mit charakteristischem Sound zwischen (un)menschlicher Stimme und singender Säge, setzt bei manchen Sätzen noch einen besonders funkelnden Akzent. Viele Stücke sind mit wahrhaft eindrucksvoller kontrapunktischer Könnerschaft komponiert und verbinden die archaische Kraft des b-a-c-h-Motivs mit luxurierender Harmonik. Dem Zuhörer wird bei diesen komplexen Miniaturen zunächst einiges an Konzentration abverlangt, bis dann beim Finale der ganze Apparat ein virtuoses Feuerwerk abbrennt.



Georg Henkel



Trackliste
CD Les Heures persanes: 58:03
CD Les Bandar-log (20:24) / Offrande musicale sur le nom de BACH (47:40): 68:04
Besetzung

Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR
Heinz Holliger: Leitung



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