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40 Jahre wach – URIAH HEEP im vierten Frühling



Info
Künstler: Uriah Heep & Thin Lizzy

Zeit: 21.10.2008

Ort: Postbahnhof, Berlin

Veranstalter: KBK Konzert- und Künstleragentur GmbH

Fotograf: Norbert von Fransecky

Internet:
http://www.uriah-heep.com

Uriah Heep wollen es ganz offensichtlich noch einmal wissen. „Wir haben einen neuen Platten,“ grinst Bernie Shaw, seit nunmehr 22 Jahren Frontkasper der Briten, in den pickpacke vollen Berliner Postbahnhof. Und das hat Folgen. 39 Jahre nach Bandgründung und 10 Jahre nach dem letzten Studio-Longplayer sind Heep mit Wake the Sleeper unterwegs – und sämtliche(!) elf Tracks des neuen Meisterwerks haben es ins Programm geschafft. Das bedeutet natürlich Abstriche bei den Klassikern. Aber dort ist der Vorrat bei Uriah Heep so groß, dass Vollständigkeit eh nicht zu erreichen ist – und die Begeisterungsstürme, die Songs wie „Heavens Rain“ oder „Book of Lies“ auslösen, zeigen dass Heep mit dem neuen Material bei ihren Fans angekommen sind. Und wer ehrlich ist und den Nostalgiebonus in Rechung stellt, der Uralt-Hits wie „Gypsy“ unerreichbar macht, muss zugeben, dass sich wirklich jeder der neuen Songs, ohne eine Ausnahme, auf qualitativ hohem Niveau ins Heep-Programm einfügt.

Bernie Shaw

Bei den Klassikern haben Heep konsequent auf die ganz frühen Jahre gesetzt. Zwischen dem aktuellen Material und dem davor „jüngsten“ Song „Stealin’“ klafft ein Graben von 35 Jahren. Insgesamt wurden im regulären Set sechs alte Stücke gereicht, jeweils zu zweit im Doppelpack. Zu Beginn, das bereits erwähnte „Stealin’“, bei dem sich Neuzugang Russell Gilbrook mit einem kurzen Drumsolo vorstellen durfte, zusammen mit „Sunrise“, der wohl einzigen kleinen Überraschung in der Setlist.

Das Ende von „Light of a Thousand Stars” nutzt Phil Lanzon zu einem ebenso kurzen Solo, auf einer Orgel in Echtholzlook mit schön gedrechselten(!) Beinen – auch optisch eine deutliche Anknüpfung an die Rückbesinnung auf die frühen Tage. Nach wenigen Sekunden schälen sich aus dem Solo dann die Anfangstakte von „Gypsy“ heraus. Der Saal kocht und wird mit dem nachfolgenden „Look at yourself“ auf Betriebestemperatur gehalten. Damit sind bis auf Demons and Wizards und Salisbury die ersten sechs Alben mit je einem Stück abgehakt. Dass mit „Lady in Black“ der Salisbury-Track im Zugaben-Block noch erscheinen würde, war vorhersehbar. Und so schließt der reguläre Teil nach anderthalb Stunden mit einem fulminanten „Easy livin’“, einer der schnellsten und wirbelnsten Nummern Uriah Heeps, das an den Longtrack „July Morning“ angehängt wurde, womit das Album Look at yourself, als einziger Klassiker mit zwei Beiträgen besonders geadelt wurde.

Phil Lanzon

Kommen wir zu einigen – wenigen – kritischen Anmerkungen. Die Lautstärke war wieder einmal unnötig hoch. Damit hat der Mixer der Band keinen Gefallen getan. Feinheiten, von denen die Band wahrlich genug im Programm hat, wurden schlicht platt gefahren. Das muss nicht sein.

Dafür war die Atmosphäre im Saal bei Rauchverbot(!) so gut, wie ich es noch bei keinem Rockkonzert erlebt habe. Und die Anzahl der arroganten Vollspacken, die ihre Nachbarn dann doch mit einem Glimmstengel ärgern mussten, lies sich erfreulicher Weise an einer Hand abzählen.

Russell Gilbrook hat einen Wahnsinns Punch. Das hat dem neuen Album gut getan, das die metallischen Heep-Traditionen der 80er und 90er mit den wieder aufgegriffenen verspielten Ansätzen der frühen Jahre vereint. Den Klassikern tut das aber nicht an jeder Stelle gut. „Sunrise“ zum Beispiel wurde von Gilbrook so ziemlich in Grund und Boden getrommelt. (Mich erinnerte das ein wenig an den Brutalo-Drummer aus Alan Parkers Musikfilm The Commitments.) Da muss er noch etwas an Einfühlungsvermögen für die nicht-metallischen Gründerjahre Heeps entwickeln.

Russell Gilbrook

Auf der anderen Seite ist er ein Drummer, der Tracks von Alben wie Head first, Abominog oder Raging Silence gut in Szene setzen können müsste. Vielleicht eine Idee für künftige Setlists.

Nicht vergessen sollte man, dass Heep nicht alleine am Start waren. Während der Großteil der Besucher noch in den Saal strömte, durfte Andrew Paul Woodworth, der mit seiner Akustikgitarre eher wie ein deplazierter Straßenmusiker wirkte, einige Songs seines Albums Eddy ate Dynamite zu Gehör bringen. Beeindruckt hat das wohl wenige. Der Stapel mit seiner kostenlosen Promo-CD, der an der Garderobe bereit lag, war jedenfalls auch am Ende des Abends nur unbedeutend kleiner geworden. Bedauerlich: Zwar sind da nur Snippets drauf. Die aber hören sich wesentlich interessanter an, als das, was der gute Mann auf der Bühne gezeigt hatte.

Andrew Paul Woodworth

Mit Thin Lizzy war dann aber ein zweiter Klassiker im Package, der es fast nahe legte, von einer Doppelheadliner Show zu sprechen. Mit den unterschiedlichen Spielzeiten – 1 Stunde zu 1,5 Stunden + Zugabe - waren aber bereits vom Rahmen her klare Akzente gesetzt.

Die Phil Lynott-Gedächtnisband war in der Besetzung Scott Gorham (Lead Git), John Sykes (Voc, Git), Tommy Aldridge (Dr) und Francesco di Cosmo (B) am Start. Sie lieferten eine routinierte Show, bei der die Trümpfe im vier-Minuten-Takt auf die Bühne geknallt wurden. Schließlich gab es hier kein aktuelles Album, das promotet werden musste. Und wer Asse wie „Jailbreak“,„Are you ready?, „Dancing in the Moonlight” oder den „Cowboy Song” im Ärmel hat, braucht sich um seine Show kaum Sorgen zu machen. Der Sound war allerdings recht matschig. Der Gesang verschwand unter anderem beim „Cowboy Song” und bei „Sha La La“ fast völlig.

Optisch war der Vierer ein Ding für sich. Sykes war der Prototyp des langhaarigen, etwas versifften Rockers. Gorham wirkte mit halblangem Haar, weißem Hemd und Weste wie ein elder statesman des Rock – fast ein Coverdale Look-alike. Di Cosmo, der Benjamin an Bord, schien mit hochgegeltem Kurzhaar und Ziegenbart einer NuMetal-Combo entsprungen zu ein, war aber was Spielfreude und Körpereinsatz anbetraf der größte Aktivposten.


Di Cosmo

Aldridge verschwand mit nacktem Oberkörper weitgehend hinter seinen Kesseln, durfte sich aber mit einem ausgiebigen Solo in Szene setzen, das für die Fantasie, die in ihm steckte, deutlich zu lang war – auch wenn er die zweite Hälfte mit bloßen Händen und Fäusten absolvierte.

Mit „Still in Love with you“, das Gorham den Ladies widmete, brachten Thin Lizzy die einzige echte Ballade des Abends in Rennen und damit einen der emotional atmosphärischen Höhepunkte. Als sich der Vierer mit „The Boys are back in Town“ und dem sehr heavy angesetzten „Cold Sweat“ verabschiedete, tobte der Laden zu recht - und war offensichtlich Lizzy-gesättigt. Es gab keinerlei Proteste als die Roadies an die Arbeit gingen, ohne dass es eine Zugabe gegeben hätte. Selbst das Fehlen von „Whiskey in the Jar“ schien niemanden zu stören.

Und so schön das Thin Lizzy-Finale auch war, Heep machten die Vorgruppe schnell vergessen. Spätestens als „Stealin’“ an den Start ging, war klar, dass hier zwei Bands aufspielten, die jeweils in einer ganz anderen Liga zu hause sind.

Welcome back, Uriah Heep! Wir sind gespannt, was die alte Lady (in - and out of - black) uns in den kommenden Jahren noch zu bieten hat. Hoffentlich müssen wir auf den Wake the Sleeper-Nachfolger nicht wieder ein Jahrzehnt warten.


Norbert von Fransecky



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