Musik an sich


 
Inhalt
News
Reviews
Leserbriefe
Links
Impressum
 
Musik an sich

 
Ancient Rites - At the gates of Carcosa

 

Ein Interview mit Ancient Rites-Mastermind Gunther Theys ist nie ein gewöhnliches. Zu begeistert und mit ungekünsteltem Interesse diskutiert der sympathische Belgier alle Fragen, schweift dabei nur allzu oft ab und berichtet aus seinem Privatleben, ist sich nicht zu schade, auch außerhalb des eigentlichen Interviews weiter zu kommunizieren und Meinungen und Erfahrungen auszutauschen. Seine stets freundliche und überaus zuvorkommende Art weit ab von allen schwarzmetallischen Klischees macht den vielgereisten Weltenbummler darüber hinaus zu einem der angenehmsten Gesprächspartner, mit denen ich je zu tun hatte. Und wenn man dann einen Blick in seine Welt erhascht hat, ist man ganz sicher um einige Gedankenanstöße reicher, berührt und beeindruckt von dem, was hinter dieser Band steckt und kann nicht anders, als sich vorzunehmen, noch weiter in dieses fremde Universum vorzudringen. Ich hoffe, dass diese Faszination beim Studieren des hier nur in gekürzter form abzudruckenden Gespräches auch auf den Leser überspringen wird.

MAS:
Da viel Zeit seit Eurem letzten Album vergangen ist und nicht alle Euren Werdegang konsequent verfolgt haben dürften, darf ich Dich bitten, zuerst einmal die Geschichte der Band näher zu beleuchten.

Gunther:
Ancient Rites wurden im Frühjahr 1989 gegründet und bestanden anfangs aus den Gitarristen Johan und Philip, Stefan an den Drums sowie mir selbst am Bass und Mikrofon. Ein Jahr später wurde unser erstes Demo "Dark Ritual" veröffentlicht und machte uns im weltweiten Underground bekannt. Kurz darauf kam Philip bei einem Autounfall ums Leben und aufgrund persönlicher Probleme mussten wir Stefan durch unseren Roadie Walter ersetzen, woraufhin Stefan kurze Zeit später Selbstmord beging. Zuguterletzt kehrte Johan der Metal- Szene den Rücken, was mich als einziges Gründungsmitglied zurückließ. Ungeachtet all der Vorfälle versammelte ich neue Mitglieder um mich, mit denen 1992 die EP "Evil prevails" eingespielt wurde, die über Fallen Angel Records der Öffentlichkeit zugängig gemacht wurde. Als Trio (Walter, Pascal, Gunther) spielten wir dann unser Debütalbum "The diabolic serenades" ein, für das wir bei der Firma After Dark unterkamen. Diese stellte sich allerdings als Rip Off heraus, denn sie ging pleite, so dass wir, die wir unser eigenes Geld in Produktion und Artwork gesteckt hatten, keinen Pfennig sahen. Doch alles, was die Band Zeit ihres Bestehens an Ärger und Unglücksfällen erleiden musste, konnte letztlich in neue Energie umgewandelt werden und unsere Erfahrungen nutzten wir zugleich als Inspiration.

1995 unterzeichneten wir einen Vertrag mit Mascot Records und veröffentlichten den Zweitling "Blasfemia eternal", woran sich Tourneen und Auftritte u.a. mit Deicide, Cradle Of Filth,, Morbid Angel, Mercyful Fate, Impaled Nazarene, Sepultura und Malevolent Creation anschlossen. Leider verließ Bart im Mai 1996 die Band. Wir entschlossen uns, fortan als Duo mit wechselnden Session-Musikern zu arbeiten.

Mit dem dritten Album "Fatherland" wurde Ancient Rites dann erstmals europaweit große Aufmerksamkeit zuteil und wir ernteten überaus gute Kritiken. Im Jahre 1998 gelang es auch, ein Line- Up zu finden, das bis zum heutigen Tag stabil geblieben ist. Ancient Rites bestehen heute aus Erik & Jan (Gitarren), Walter (Drums), Domingo (Keyboard) und mir (nach wie vor Bass/Gesang).

2000 wechselten wir zu Hammerheart Records, für die wir "Dim Carcosa" aufnahmen, das im Sommer 2001 auf den Markt kam und uns den bisher größten Erfolg der Bandgeschichte bescherte.

MAS:
Eure Musik ist heute sehr komplex und von Strukturen geprägt, die nicht selten an die Werke klassischer Komponisten erinnern. Entwickelten sich die Stücke in einem natürlichen Prozess hin zu dieser aktuellen Form oder war es eine klare Vorgabe Eurerseits, anspruchsvollere, "kompliziertere" Musik zu spielen?

Gunther:
Natürlich haben sich unsere technischen Fähigkeiten verbessert, doch ich denke, es liegt vor allem an den über die Zeit ständig neu hinzugekommenen Musikern, die jeweils ihre ganz eigenen Vorlieben mit einbrachten. Jeder von uns ist schon lange Teil der Metal- Szene und auch wenn wir ganz offensichtlich ein Teil der heutigen Metal- Kultur sind, liegen unsere Wurzeln eher im älteren, traditionellen Heavy Metal sowie der ersten Generation der noch recht primitiven Black- und Death Metal-Bands. Daher hat unsere Musik immer diesen natürlichen 80er Jahre Touch, gemischt allerdings mit einer modernen Herangehensweise. Unser Sound setzt sich aus verschiedenen Aspekten des Metal und zusätzlich aus Elementen klassischer, mittelalterlicher und folkloristischer Musik zusammen. Wir spielen, was wir fühlen. Es gibt kein Ancient Rites- Rezept, nur Emotionen, Träume und Visionen, denen wir in der Musik Ausdruck zu verleihen versuchen.

Ein Musiker aus dem Klassik-Bereich sagte uns einmal, die Struktur unserer Songs, inklusive der aggressiveren Metal-Parts, sei der sehr ähnlich, in der Musiker im Mittelalter ihre Lieder komponierten. Ich kann mir kein größeres Kompliment vorstellen. Wir selbst jedoch analysieren niemals unsere Musik, wir versuchen einzig und allein, eine Balance verschiedener Stimmungen, die sich harmonisch in das Konzept der Band einfügen, zu finden.

MAS:
Wie kann man sich allgemein die Entstehung eines Ancient Rites- Stückes vorstellen? Wie klar ersichtlich ist, haben Deine Texte eine große Bedeutung - sitzt Du nun im stillen Kämmerlein und arbeitest daran, etwas zu kreieren, das perfekt in das lyrische Szenario passt oder sind die Gefühle, die beispielsweise allein durch eine Melodie geweckt werden können, dir wichtiger?

Gunther:
Unser Songwriting spielt sich auf eher ungewöhnlichem Wege ab, da wir in verschiedenen Ländern leben und somit meist nur über Demo Tapes kommunizieren können. Ein Album aufzunehmen ist eine hektische Angelegenheit, wir schließen uns allesamt im Proberaum ein, nachdem wir die besten Ideen der Tapes herausgefiltert haben. Zeit zum Jammen oder Experimentieren haben wir nicht, schließlich bedeutet jede Probe für uns allein durch die Anreise einen erheblichen Aufwand und wer etwas Neues ausprobieren möchte, muss es zu Hause tun, weil wir unsere Treffen ganz genau planen und hart und konzentriert arbeiten müssen, um letztlich zu einem guten Ergebnis zu kommen.

Diese Arbeitsweise verkompliziert sicherlich vieles, ist gleichzeitig aber eine motivierende Herausforderung, die Hingabe und Einsatz erfordert.

Was den Schaffensprozess der Lyrics betrifft, so existiert dabei kein strikt vorgegebenes Muster. Ich muss mich nicht dazu zwingen, auf Krampf etwas zu schreiben, ein Ancient Rites-Text entsteht ganz von selbst. Sowie ich mich an einem historischen Schauplatz aufhalte, stelle ich instinktiv eine Verknüpfung mit dem Kosmos von A.R. her, was mir ermöglicht, durch die Band meine Faszination für antike und mittelalterliche Epochen mit einer großen Hörerschaft zu teilen. Manchmal entstehen die Texte zuerst, in anderen Momenten inspiriert mich die Musik erst zu ihnen. Alles ist möglich und die Essenz ist diese: Wann immer ich eine mittelalterliche oder antike Örtlichkeit besuche, lebt der Geist von Ancient Rites. Unvermeidlich.

MAS:
Worauf genau gründet sich die Idee, Dich textlich einzig und allein mit realen historischen Ereignissen zu befassen? Kannst Du eine spezielle Inspiration nennen, oder warst Du schon immer geschichtlich interessiert?

Gunther: Ich war schon immer daran interessiert. Noch bevor ich selbst lesen konnte, nervte ich meinen Vater mit der Bitte, mir aus Büchern über flämische Geschichte, Folklore und Legenden vorzulesen. Ich kann mich noch genau an eines erinnern, das schnell mein Lieblingsbuch wurde: Es beschäftigte sich mit dem Bokkerjiders- Kult, einer mysteriösen satanischen Vereinigung, die in unserer Gegend tätig war und noch lange, nachdem die meisten Mitglieder eingesperrt oder hingerichtet worden waren, in Legenden und Erzählungen auftauchte. Dass angeblich einer meiner Vorfahren dort Mitglied war, steigerte mein Interesse noch. Die Bokkerjider sind und bleiben geheimnisvoll, es gibt viele unbeantwortete Fragen. So waren zum Beispiel alle sozialen Schichten innerhalb ihrer Reihen präsent, doch fragt man sich, warum z.B. ein Doktor zu jener Zeit sein Leben riskieren sollte, indem er Kirchen überfiel oder Burgen Angriff. Die von dieser Gruppierung verübten Untaten, ihre Morde und Raubüberfälle, scheinen mir nicht das Wichtigste zu sein, viele Verbindungen zu esoterischen und politischen Themen weisen auf etwas viel Tieferliegendes hin und es verbirgt sich auf jeden Fall mehr hinter den Bokkerjidern, als wir wissen. Ich war noch nicht einmal sechs Jahre alt, als ich von diesem Phänomen wie besessen war.

Die meisten Kinder und Jugendlichen lieben Fantasy und Science Fiction, ich fand schon früh Gefallen an überwältigenden historischen Begebenheiten, die genauso überlebensgroß erscheinen wie die seltsamsten Märchen und Legenden. Insgesamt lässt sich dies wohl auf einen recht geschichtskundigen Vater und die Tatsache, dass ich als Kind viel Zeit allein in meinem Zimmer mit dem Lesen von Büchern oder ganz einfach mit Träumen verbrachte, zurückzuführen. Früher gab ich dieser Leidenschaft vor allem durch Zeichnungen und Malereien Form, heute erwecke ich die Vergangenheit durch meine Musik und meine Texte zum Leben.

MAS:
Wie bereits angesprochen und allgemein bekannt, reist Du viel in der ganzen Welt umher. Ist dieses kostspielige Hobby durch die Band allein zu finanzieren, oder musst Du noch einer geregelten Arbeit nachgehen?

Gunther:
Leider benötigen alle Mitglieder von Ancient Rites normale Jobs. Immerhin mag ich meine Arbeit, denn ich arbeite als Blinden-Assistent. Ich bin die erste Person in diesem Land, die offiziell in diesem Beruf tätig ist. Schon längere Zeit bin ich auf diesem Gebiet als persönlicher Assistent tätig, doch es wurde nie offiziell anerkannt. Es ist ein sehr intensiver Beruf, harte Arbeit, die aber dadurch belohnt wird, dass ich das Gefühl habe, etwas wirklich Konstruktives zu bewirken, wofür mir auch Dankbarkeit entgegengebracht wird. Darüber hinaus existiert auch Raum für sich entwickelnde Freundschaften.

Um auf das Thema Reisen zu sprechen zu kommen: In der nächsten Woche werde ich mich bereits in Sevilla aufhalten, den Felsen von Gibraltar und anschließend Nordafrika besuchen. Ich bin mir bewusst, dass viele Menschen derzeit Angst haben, überhaupt ein Flugzeug zu besteigen, dass Angst herrscht, vor einem Krieg vor Anschlägen und sich wiederholenden terroristischen Anschlägen. Tja, und ich? Nun, Gunther plant weiter seine Reisen.

Die Welt wurde auf den Kopf gestellt, aber ich bin der Typ, der unter allen Umständen versucht, sein eigenes Leben weiterzuleben. Ich hielt mich in der Türkei auf, als der kurdische PKK- Führer angeklagt und Anschläge seitens der Terroristen angekündigt wurden. Ich war in Griechenland zur Zeit der Erdbeben und ich befand mich in einer Londoner U-Bahn, als die Menschen dort aus Angst vor einer Bombendrohung der IRA flüchteten. Ich bleibe immer ruhig und verfolge meine Linie weiter. Es mag Menschen geben, die das schon fast als abstoßend empfinden, doch ich nehme die Dinge, wie sie kommen. Ich werde externen Faktoren nicht gestatten, meine Entscheidungen oder meinen Lebensstil in größerem Maße zu beeinflussen. Selbstverständlich würde ich derzeit nicht nach Afghanistan reisen, aber solange die Taliban im Land das Sagen haben, halte ich es für eine Person meines Erscheinungsbildes ohnehin nicht für klug, sich dort aufzuhalten. Zu gut kann ich mich an iranische Pilger erinnern, die von meinem Aussehen völlig geschockt waren und mich betrachteten, als sei ich ein Außerirdischer. Nahe der syrischen Grenze kamen viele auf mich zu und wollten unbedingt meine langen Haare anfassen. Doch ich weiß in den meisten Situationen, wie ich mich zu verhalten habe. Ich provoziere niemals, sondern bleibe stets ruhig. Das hat mir in vielen Fällen sehr geholfen.

MAS:
Hast Du ein Lieblingsland, in das du besonders gerne fährst? Favorisierst Du eine Kultur gegenüber anderen und wenn ja, warum?

Gunther:
Die ganze Welt ist ein interessanter Ort und jede Kultur kann dir etwas bieten, genau wie jede Nation ihre eigene Geschichte hat. Besonders mag ich allerdings Berge und Wüsten und habe bereits verschiedene Länder im mittleren Osten und nördlichen Afrika bereist. Es ist ein Jammer, dass die Gehirne so vieler Menschen gerade in diesen Regionen so geblendet sind von religiösem Wahn. Ich respektiere Tradition, doch sie sollte ihre Grenzen haben. Mich persönlich schränkt sie vor allem in meiner Freiheit als Reisender ein.

In meinen Augen ist das komplette Europa mein Land. Es spielt keine Rolle, ob ich mich in meiner Heimat Flandern, in Italien, Schottland, Schweden oder Russland aufhalte. Überall fühle ich mich zu Hause und die kulturellen Unterschiede empfinde ich als sehr abwechslungsreich und bereichernd. Sobald ich andere Kontinente besuche, bin ich mir stets darüber im Klaren, dass ich mich auf fremdem Gelände bewege und versuche, im Vorfeld so viel wie möglich über die Eigenheiten des jeweiligen Landes zu erfahren, um Probleme zu vermeiden. Das Reisen außerhalb Europas ist aufregend und lehrreich, teilweise aber auch gefährlich. Reisen innerhalb Europas sind anders, wie das Besuchen weit entfernter Familienmitglieder und vergleichsweise entspannend. Ich kann an beidem Gefallen finden.

Diese Welt bietet die wunderschönsten Plätze und es ist eine Schande, dass viel zu oft die auf ihr lebenden Menschen sie ruinieren.

MAS:
Das Mittelalter und besonders seine Verwendung in Verbindung mit Heavy Metal ist heutzutage zu einem Trend geworden, der mit einer jeglicher realer Grundlage entbehrender Glorifikation einhergeht. Ancient Rites nehmen sich ebenfalls dieser Thematik an, nähern sich ihr aber unter komplett anderen Gesichtspunkten. Wie denkst Du über die bei vielen angesagte Verklärung vergangener Epochen?

Gunther:
Grundsätzlich störe ich mich nicht daran, ich selbst aber suche immer nach der historischen Wahrheit. Das Mittelalter war kein "Conan"-Film, in dem muskelbepackte Krieger um die Ehre einer Jungfrau kämpften. Auch wenn man weniger schöne Aspekte dabei aufdeckt, sollte man immer nach der Wahrheit suchen.

Umzusetzen versucht wurde dies von uns unter anderem mit der Wahl des Cover-Motivs für unser "Fatherland"-Album. Viele Bands setzen auf Fantasy-"Art" - und ich setze dies bewusst in Anführungszeichen - wenn es um "mittelalterliche" Darstellungen geht. Wir gehen aus nüchternerer, aber realistischerer Sicht heran.

Unglücklicherweise könnte uns dieses Cover bald einige Probleme bereiten, da es trotz einiger Veränderungen stark von einem Gemälde eines lang verstorbenen Künstlers inspiriert ist. Die Rechte an diesem Bild liegen, wie sich nun herausstellte, bei einer größeren Organisation, die Geld verlangt, über das wir als Band nicht verfügen. Eine unangenehme Situation, die uns leider unseren sprichwörtlich letzten Pfennig kosten könnte.

MAS:
Wie wichtig ist Dir, dass die Käufer Eurer CD`s die Kommentare und Linernotes lesen und sich ernsthaft Gedanken um die Inhalte Eurer Songs machen? Glaubst Du, Ihr könnt eine große Anzahl von Leuten erreichen, die wirklich verstehen und zu würdigen wissen, was Ihr zu bieten habt?

Gunther: Um ganz ehrlich zu sein: Ich denke, nur ein kleiner Teil unserer Hörerschaft kümmert sich um diesen Aspekt meiner Arbeit. Diejenigen aber, die sich damit auseinandersetzen, sind meist die loyaleren Fans, die sich mit Aspekten von Ancient Rites identifizieren, welche über die Extremität der Musik hinausgehen. Häufig geben sich Bands unseres Genres mit Texten der Sorte "Fuck Jesus" oder "Sodomize in the name of Satan" zufrieden. Das ist zwar ganz nett und auch durchaus amüsant, dich persönlich vertrete ich den Anspruch, tiefer in die Materie einzudringen. Abgesehen davon freut es mich sehr, mein bescheidenes Wissen (ähem...- Anm. d. Verf.) mit Menschen zu teilen, die versuchen, die Essenz von Ancient Rites zu erfassen und sich den Themen, über die ich schreibe, verbunden fühlen. Auf "Dim Carcosa" habe ich das Spiel noch weiter getrieben, indem ich die Stücke mit von mir geschriebenen Notizen verband. Auf diese Weise entsteht eine wirkliche Geschichte, die sich wie ein roter Faden durch die Platte zieht. Die darin auftauchenden Orte und Personen existieren wirklich, zusätzlich basieren aber die thematisierten Ereignisse auch auf persönlichen Erfahrungen. "Dim Carcosa" präsentiert sich - was auch durch die Gestaltung unterstrichen werden soll - als Buch, indem meine Worte wie Tagebuchaufzeichnungen wirken, die den Leser auf eine Reise in meinen eigenen Kosmos einlädt. Das Cover und die Illustrationen wurden sorgfältig unter diesen Gesichtspunkten ausgewählt, damit sie eine Einheit mit den Inhalten bilden.

MAS:
Ist es in Anbetracht Deiner Liebe zu jenen vergangenen Zeiten schwer für Dich, Dich wieder in unsere heutige Welt einzufügen, nachdem Du von einer Reise zurückgekehrt bist oder auch nur ein Konzert gespielt hast? Kommst du in der modernen Gesellschaft zurecht?

Gunther: Eine sehr interessante Frage. Nun, ja, ich komme zurecht. Ich kann mich anpassen und von meinen häufigen und intensiven Reisen in andere Zeiten und Welten abgesehen, verliere ich nie den Bezug zur Realität. Mein Cousin, den ich als Seelenverwandten ansehe, ist da anders. Je älter er wird, desto mehr engagiert er sich in heidnischen und esoterischen Organisationen, Verbindungen, die alte Traditionen wieder zum Leben erwecken wollen. Dies führt dazu, dass viele Menschen ihn nicht mehr verstehen und er nunmehr sein Leben einzig und allein seinen historischen und esoterischen Studien widmet. Jetzt will er sogar sein Apartment in der Innenstadt für ein altes Haus ohne fließend Wasser aufgeben, das abseits am Rande der Stadt liegt. Ich verstehe ihn und seinen Weg und kann auf unserer gemeinsamen Suche nach geschichtlichem Wissen die schönsten Momente mit ihm teilen, aber Freunde berichteten mir, es sei ihnen nicht mehr möglich, mit ihm zu kommunizieren oder ihn überhaupt zu erreichen. Wahrscheinlich ist er im falschen Jahrhundert geboren worden.

Natürlich fühle auch ich mich oftmals in jenen Welten wohler. Und ich muss gestehen, dass ich den Verlust bestimmter Werte in der Moderne sehr bedauere. Das gilt besonders für die Beziehung zwischen Mann und Frau, der heutzutage leider Respekt und Ehrgefühl fehlt. Der kurze, billige Kick scheint wahre Romantik abgelöst zu haben.

Allerdings genieße ich trotz allem auch die positiven Seiten des 21sten Jahrhunderts.

MAS:
Was hältst Du in diesem Zusammenhang davon, dass dieses dein "Ancient Europa" immer weiter zusammenwächst? Was fühlst Du angesichts der bevorstehenden Einführung des Euro? Beurteilst du sie als negativ oder positiv?

Gunther:
Ich glaube an den European Dream und sehe diese Entwicklung hin zur Einheit als positiv, solange Tradition und Kultur jeder einzelnen Nation bewahrt werden. So würde ich es mir wünschen.

Zuallererst werde ich immer zu meiner Geburtsstätte Flandern gehören, doch ich sehe mich darüber hinaus als Europäer. Ob in Antwerpen, London, Rom, Wien, Moskau, Athen, Stockholm, Dublin oder Paris, ich bin immer daheim. Dadurch, dass ich viel reise und überall Freunde habe, ist es mir möglich, an jeder Kultur bis zu einem gewissen Grad teilzuhaben, wodurch ich die Wurzeln der Menschen und ihre Beweggründe besser verstehen kann. Selbstredend sind mir die Differenzen zwischen den Völkern bewusst, aber diese lassen Europa erst, wie ich zuvor bereits sagte, zu einem farbenfroheren und interessanteren Kontinent werden. Nenn mich naiv, ich bin Idealist. Von Politik oder Wirtschaft verstehe ich nicht genug, das Einzige, was ich weiß, ist, dass ich es vorziehe, mich auf das uns Verbindende zu konzentrieren, anstatt auf das, was uns trennt. Wir sind alle Kinder desselben antiken Europa und so sollte es keine Feindschaft zwischen uns geben. Das mache ich mit Stücken wie "Mother Europe" oder "Ode to ancient Europa" klar. Ich bin der Meinung, dass ich meine Version des European Dream ziemlich gut deutlich mache. In einige Sprachen kann ich mich schon verständigen - könnte ich doch nur JEDE einzelne europäische Sprache sprechen. Europa offenbart jedem Tausende Jahre seiner Geschichte, es wird mir auf ewig Inspiration sein.

MAS:
Kommen wir zurück zur Musik. Du erwähntest, dass Du vielen verschiedenen Musikstilen gegenüber offen bist. Ich würde vermuten, dass Du folkloristischen Klängen in besonderem Maße Gehör schenkst, doch wo siehst Du Deine Einflüsse? Man munkelt, es gebe da eine Vorliebe für U.F.O...?

Gunther:
U.F.O. rule! Erik und ich sind die absoluten Hardrock-Fans der Band. Eine Nu Metal-Scheibe ist kein geeignetes Präsent für mich, ich würde die Platte nie abspielen, aber sowie du mir einen Hard Rock- oder Heavy Metal-Klassiker anbietest, bin ich glücklich.

Ich besitze eine riesige Vinylsammlung, da ich in den 80er Jahren als DJ in einem Metal-Club tätig war. Außerdem kaufe ich all meine Erwerbungen zusätzlich auf CD, ein recht kostspieliges Hobby.

Du hast Recht, ich bin von keiner anderen Metal-Band beeinflusst. Folklore inspiriert mich genau so, wie mittelalterliche Musik es tut. Doch vor allem nicht unbedingt headbangertypische Künstler geben mir besonders viel: Jacques Brel, Leonard Cohen, Boudewijn De Groot und Johnny Cash berühren mich so tief, dass ich sie als Inspiration anführen kann. Ich liebe und verehre Heavy Metal (sonst würde ich schließlich nicht in einer Metal-Band spielen), doch anregen lasse ich mich von anderen Dingen. Stumpfes Kopieren ist nicht mein Ding. Ich möchte einer Szene, die mit in meinen Augen völlig überflüssigen Veröffentlichungen bereits überflutet ist, interessanten und originellen Metal bieten. So hoffe ich, dieser Szene, auf die oftmals zurecht herabgesehen wird, ein wenig mehr Qualität hinzufügen zu können.

MAS:
Womit ein paar wahre Worte gesprochen wären. Das war es von meiner Seite. Deine letzten Worte bitte...

Gunther:
Dieses Gespräch war eines der besten, die ich seit langem geführt habe. Danke für Deine interessanten Fragen und Deine Geduld. Ich meine es ernst, wenn ich sage, dass ich unsere Konversation genossen habe. Ich wünsche viel Glück mit Eurem Magazin und Dir und Deinen Lesern noch einen schönen Tag. We meet at the gates of Carcosa.

Ganz bestimmt. Und mir bleibt nur noch, jedem von Euch nochmals "Dim Carcosa" ans Herz zu legen, ein Album, das so anwechslungsreich und wunderschön ist, wie das Europa, von dem Gunther erzählt. Wer Ancient Rites Aufmerksamkeit schenkt, wird es in keinem Fall bereuen.

Thorbjörn Spieß
 

Inhalt | Impressum | Links | News | Reviews | Leserbriefe
zur Homepage | eMail Abo bestellen | Download aktuelle Ausgabe