Star im Abseits: Tom Gaebel und die Robert-Schumann-Philharmonie mit einem Sinatra-Programm




Info
Künstler: Tom Gaebel, Robert-Schumann-Philharmonie

Zeit: 27.06.2025

Ort: Chemnitz, Theaterplatz

Fotograf: Christoph Kassette

Internet:
http://www.theater-chemnitz.de

Die Robert-Schumann-Philharmonie besitzt als internes Spezialensemble bekanntlich eine Big Band, die viele Jahre lang regelmäßig gegen Ende der Spielzeit ein Jahreskonzert spielte, meist mit einem Gaststar am Mikrofon. Seit einigen Jahren ruht diese Tradition – im Kulturhauptstadtjahr 2025 aber lebt sie zumindest ansatzweise wieder auf. In den Wochen nach Spielzeitende steht auf dem Chemnitzer Theaterplatz eine Bühne, auf der eine Serie von Sommerkonzerten stattfindet, wobei sich die Bühne auf der Seite des Opernhauses, also im Westen, befindet und überdacht ist, während das Publikum im Freien sitzt, auf extrem eng bemessenen Stühlen übrigens. Am letzten Junifreitag steht im Rahmen dieser Sommerkonzerte nun eines unter dem Motto „Symphonic Swing“ auf dem Programm. Diesmal agiert aber nicht „nur“ die Big Band auf der Bühne, sondern das ganze Orchester plus diejenigen Musiker, die man in einem solchen üblicherweise nicht findet, die man aber für eine Big Band braucht. Die Leitung hat nicht wie früher Rolf von Nordenskjöld, sondern Lutz de Veer, den man in der Region kennt – er war sieben Jahre lang GMD am Theater Plauen-Zwickau und hat in der zu Ende gegangenen Saison außerdem als 1. Kapellmeister am Theater Chemnitz gewirkt. Und einen Gaststar am Mikrofon gibt es auch wieder, diesmal Tom Gaebel (Foto).
Da justament der 110. Geburtstag von Frank Sinatra ansteht, verleiht dieser Fakt dem Konzert nicht nur die Programmstruktur, sondern auch den Titel des Intros: „110 Years Frank Sinatra“ entpuppt sich als Orchesterouvertüre, die diverse typische Themen verwebt, darunter nach wenigen Sekunden schon „My Way“, und der gekonnte „Big-Band-Swing“, der sich hier entfaltet, macht definitiv Appetit auf den Hauptgang, was ja auch Sinn und Zweck einer solchen Vorspeise ist. Im flotten, aber nicht überschnellen „Bad, Bad Leroy Brown“ greift dann auch Gaebel ins Geschehen ein. Der Rezensent erlebt ihn an diesem Abend zum ersten Mal, kennt auch seine Tonkonserven nicht und wird urteilstechnisch etwas vom Sound ausgebremst: Während die meisten Instrumente gut ausbalanciert abgemischt sind, stehen die Vocals akustisch relativ weit im Hintergrund, so dass Gaebel dem Material nur bedingt einen Stempel aufdrücken kann. In den Momenten, wo man ihn später etwas besser durchhört (richtig in den akustischen Vordergrund schafft er es den ganzen Set über nicht), eröffnet sich eine als im besten Sinne normal zu bezeichnende Stimme, der die Expressivität, die Sinatra nicht selten an den Tag legte, völlig abzugehen scheint. Zumindest die Ansagen versteht man, wenn man sich ein bißchen anstrengt, und da zeigt der 50-Jährige einen etwas eigenartigen Humor, wenn er etwa vor „I’ve Got You Under My Skin“ über das „wunderbare Chemnitzer Wetter“ schwadroniert (nach Durchzug einer Kaltfront ist es zwar trocken, aber hundekalt, und man ahnt gar nicht, wie zugig es selbst bei überschaubarem Wind auf dem an drei Seiten von hohen Gebäuden umstandenen Theaterplatz sein kann) oder zu einem Bestandteil des Medleys „Happy Birthday, Ol’ Blue Eyes“ verkündet: „Das ist so ein schönes Lied, es beschreibt eine Winterlandschaft. Da versuchen wir uns jetzt mal reinzuversetzen“, was von der rechten Nachbarin des Rezensenten mit „Och nee!“ kommentiert wird.
Instrumental macht das Ganze aber durchaus Hörspaß, trotz dicker Schmalzschicht im Medley (oder für manche vielleicht auch wegen derselben), und schon „I’ve Got You Under My Skin“ hatte mit der gekonnt umgesetzten Steigerung in der Mitte auch die Leitungsqualitäten von de Veer unter Beweis gestellt. „Love And Marriage“, bekannt als Titelmelodie von „Eine schrecklich nette Familie“, fährt viel Witz auf (herrlich: die von der gedämpften Posaune „gefurzten“ Schlußtöne), „Something Stupid“ muß ohne eine Nancy-Sinatra-Vertreterin als Duettpartnerin auskommen und fällt im zügigen Midtempo eher kurz aus, während die Wolgafischer-Adaption „How I Love You“ im Arrangement von James Last recht verschrobene Rhythmen auffährt (die nur denjenigen nicht überraschen, der Lasts ganz frühe Vergangenheit als Jazzbassist kennt), und auch das von diesem hinzugefügte Solo macht richtig Laune und hätte viel länger ausfallen dürfen. „I Get A Kick Out Of You“ betont jeweils das vierte Titelwort in auffälliger Weise und fährt ein Piano-Solo auf, dessen Bediener rechts hinten auf der Bühne versteckt ist, aber trotzdem angemessen in den klanglichen Vordergrund gerückt werden kann. In „Ol’ Man River“ finden Sänger und Orchester keinen Draht zueinander, und Pech kommt noch dazu, dass gerade im emotionalsten Moment des Solos hinten auf der Straße der Nationen eine Straßenbahn heftige Quietschgeräusche absondert. „Mack The Knife“ beendet den ersten Set – und auch hier will die Stimme nicht zum Unterbau passen, was vielleicht auch der Soundmensch merkt und das Orchester daher nach hinten hin lauter dreht.
Nach der Pause hat sich das Publikum etwas ausgedünnt, aber der Wind hat ein bißchen nachgelassen, und der Zugigkeitsfaktor nimmt daher ab. „Come Fly With Me“ bildet nur ein kurzes Instrumentalintro, während „Fly Me To The Moon“ zeigt, dass die Mikrofoneinstellungen nicht grundlegend verändert wurden, und gegen ein Forte-Orchester ist Gaebel akustisch dann ganz weg. Den Mitklatschaufforderungen kann man nur Folge leisten, wenn man entweder leere Nachbarplätze oder wenig beleibte Menschen auf denselben hat, da man sich ansonsten bei der drangvollen Enge kaum ausladender bewegen kann. Für die volle Wirksamkeit des „Bossa-Nova-Medleys“ hätte es dann doch ein paar Grad Temperatur wie Spielhitze mehr bedurft – Sinatra hat in den 60ern tatsächlich Platten mit Carlos Jobim gemacht, aber das Material kommt an diesem Abend etwas arg basisch rüber, so dass das „Girl From Ipanema“ eher wie eine Frostituierte anmutet und auch die wiederkehrenden „I’ve Got You Under My Skin“ und „Fly Me To The Moon“ irgendwie eher anämisch wirken. Das wird bei „Strangers In The Night“ zum Glück wieder besser, zumal auch Gaebel hier mal lauter abgemischt ist und das Publikum gekonnte Vokalisen singt. „Granada“ stellt den Solisten gegenüber dem dramatischen Orchester wieder ins Abseits, und der Rezensent dürfte einer von nur wenigen Anwesenden sein, die im Intro aufpassen müssen, nicht plötzlich die Lyrics zu Manowars „Guyana“ mitzuformulieren. „Catch Me If You Can“ ist bewußt im Stile eines James-Bond-Titelsongs gehalten und weiß nicht nur mit einem zupackenden Refrain zu überzeugen, während „It Was A Very Good Year“ die Stimmung komplett wechselt und eine sehr stimmungsvolle Ballade darstellt. Der Slowgroover „That’s Life“ leitet zum Finale hin: „New York“ verbreitet schon in den Strophen Partystimmung, obwohl Gaebel erneut klanglich weit im Abseits steht.
Natürlich werden die Beteiligten nicht ohne Zugaben fortgelassen. „My Way“, launig angesagt als „Frühwerk von Lutz de Veer“, weiß interessanterweise hauptsächlich mit seinen sanften Passagen zu punkten, während „Moon River“ den Schmalzfaktor nochmal nach oben treibt, aber das einfach nur richtig schön tut. Die Leadhornlinie stellt der temperatur- eine emotionsbedingte Gänsehaut zur Seite, und das Outro aus Leadgesang und Harfe bildet, so seltsam es klingt, Gaebels hervorstechendsten Moment an diesem Abend. Das Gros der Anwesenden stört sich an dem Aspekt, dass der Star überwiegend im Abseits stand, nicht – immerhin haben das erweiterte Orchester und sein Leiter eine prima Leistung hingelegt, und da darf man gerne gute Laune haben, gefühlt kurz vorm Winter stehende Außenbedingungen hin oder her. In dem Kontext ist die drangvolle Enge in den Zuschauerreihen ja sogar gut, denn so entweicht nicht alle Körperwärme nach oben (okay, es kommt halt immer auch drauf an, wer neben einem sitzt ...).


Roland Ludwig



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