„Nothing escapes, not even light“: Heino Falcke verrät im Buch „Licht im Dunkeln“, wie man trotzdem ein Bild von einem Schwarzen Loch machen kann![]()
Schwarze Löcher erfreuen sich in der Musikwelt großer Beliebtheit. Die Encyclopedia Metallum führt zum Rezensionszeitpunkt acht Bands namens Black Hole oder Blackhole auf, bei Discogs, die bekanntlich das ganze Musikspektrum abdecken, sind es gar 35, und wer sich hier in der sächsischen Szene etwas auskennt, dem fallen sicherlich Die Schwarzen Löcher ein, eine ausschließlich aus Pfarrern bestehende Bluesrock-Combo. Auch als Songsujet tauchen Schwarze Löcher immer wieder auf – Gamma Rays „Beyond The Black Hole“ oder der Ayreon-Klassiker „Into The Black Hole“ (mit Bruce Dickinson am Mikrofon) sollen als nur zwei von vielen Beispielen genannt sein. Diese kulturelle Beliebtheit steht in einem krassen Gegensatz zu dem, was man über Schwarze Löcher eigentlich weiß. Das Problem ihrer Erforschung lautet in Arjen Lucassens Worten „Nothing escapes, not even light“, und wenn dort nichts entkommt, nicht mal Licht, dann kann man mit herkömmlichen Mitteln auch nicht beobachten und erforschen, was dort vor sich geht. Was man hingegen erforschen kann, ist der „Rand“ von Schwarzen Löchern, der sogenannte Ereignishorizont, also das Areal, wo beobachtbare Objekte es gerade noch schaffen, nicht ins Loch hineingezogen zu werden, aber entsprechenden Veränderungen unterliegen, anhand derer man zu schließen versuchen kann, was dort vor sich geht. Auch da sind noch viele, viele Fragen offen, unter denen etwa diejenige, ob es die verschiedentlich postulierte Hawking-Strahlung, die aus Energie besteht, die entsteht, wenn ein Teilchen von seinem Antiteilchen getrennt wird und eines der beiden, bevor die energieneutralisierende Annihilation stattfinden kann, im Schwarzen Loch verschwindet, wirklich gibt, zu den spannendsten zählt, ebenso wie die, ob am anderen Ende eines Schwarzen Loches tatsächlich ein Weißes Loch existiert, also eines, das alles, was das Schwarze Loch eingesaugt hat, wieder ausspuckt, so dass beide kombiniert ein Wurmloch ergeben. Der von Arjen Lucassen erdachte „Universal Migrator“ nutzt im gleichnamigen Ayreon-Doppelalbum ein Wurmloch zur rückwärtigen Fortbewegung in Raum und Zeit, aber er ist halt nur eine literarische Figur ... Wenn ein Schwarzes Loch mit herkömmlichen Mitteln nicht erforschbar ist, stellt das für die Wissenschaft zugleich das Problem dar, dass man nicht sagen kann, wie es eigentlich aussieht – wenn dort keinerlei Strahlung entkommt, kann man das Loch ja auch nicht fotografieren. Was man fotografieren kann, ist wieder „nur“ der Rand – aber selbst das galt lange Zeit als eine äußerst schwierige Aufgabe, die erst mit zunehmendem technologischem Fortschritt in Bezug auf Rechenkapazität, Vernetzung und genereller Verfügbarkeit großer Telekope gelöst werden konnte. Wie das gelang, das schildert Heino Falcke im Buch „Licht im Dunkeln“ auf auch für Nicht-Physiker nachvollziehbare Weise, wenngleich ein gewisses Grundwissen beim Verständnis bestimmter Phänomene definitiv nicht schadet. Falcke koppelt im Buch Teile seines eigenen wissenschaftlichen Werdegangs mit der Erforschungsgeschichte bestimmter Himmelsobjekte im allgemeinen und der Schwarzen Löcher im speziellen und legt daher auch beim nicht im Forschungsstoff stehenden Leser ein verständliches Fundament, auf dem dann die Schilderung des großen Projektes aufbauen kann. Acht Teleskope in verschiedenen Regionen der Welt führten 2017 in einem fixierten Beobachtungsfenster die notwendigen Messungen durch, die anschließend in zweijähriger Rechenarbeit von einem großen internationalen Team so aufgearbeitet wurden, dass man am Ende nach zahllosen Kontrollmaßnahmen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen konnte, dass das, was im April 2019 auf einer vielbeachteten Pressekonferenz bei der EU in Brüssel und zeitgleich bei weiteren Konferenzen auf dem ganzen Globus vorgestellt werden konnte, tatsächlich ein Bild vom Ereignishorizont des supermassereichen Schwarzen Loches im Zentrum der Galaxie M87 darstellt, also seine beobachtbare Grenze am Rand der 6,5 Milliarden Sonnenmassen, die im Loch konzentriert sind. Dutzende Fallstricke hatten auf dem jahrzehntelangen Weg gelauert, dessen erste konkrete Schritte schon aus dem frühen 21. Jahrhundert datierten und bis zu dessen markantestem Zwischenergebnis anderthalb Jahrzehnte intensiver Arbeit, begonnen bei der schnöden Geld- und Kapazitätenbeschaffung und gipfelnd in der Präsentation des besagten Bildes, nötig waren. Und das Bild ist ja tatsächlich nur ein Zwischenergebnis, einer von noch vielen notwendigen Meilensteinen auf dem Weg zur Erforschung dieser Objekte, die nur in weltumspannender Kooperation gelingen kann. Falcke und sein Team hatten sich entschlossen, kein Copyright für das Bild zu beanspruchen, sondern es der Weltgemeinschaft frei zur Verfügung zu stellen. Ob es in der Zwischenzeit Bands gibt, die es künstlerisch verarbeitet haben, vielleicht sogar für ein Albumcover, kann der Rezensent spontan nicht sagen. Im Buch spielt Musik übrigens an diversen Stellen eine Rolle. Zum ersten scheint Falcke (oder sein Co-Autor Jörg Römer, Wissenschaftsredakteur beim Spiegel) musiktheoretisch durchaus nicht ganz unbeleckt zu sein – er verwendet nicht selten musikalische Analogien, um physikalische bzw. astronomische Phänomene zu erläutern, und auch ansonsten tauchen regelmäßig musikalische Referenzen auf, etwa wenn sich die Mitarbeiter des antarktischen Teleskops mit Pink-Floyd-Textzeilen in der Projektchatgruppe melden. Zum zweiten ist Falcke gut mit Lothar Kosse befreundet, einer Größe der zeitgenössischen christlichen Musikszene, der auch an etlichen Stellen im Buch vorkommt und auf seinem nächsten Album nach der erwähnten 2019er Bildvorstellung prompt ein Schwarzes Loch untergebracht hat. Zum dritten schließlich gipfelt die Schilderung des Finales der letztlich entscheidenden Beobachtungssession im Jahr 2017 mit Bemerkungen, welche Songs bei den in der ganzen Welt verstreuten Teams während der letzten Messungen gerade liefen. Da stößt dann auch der im 20. Jahrhundert musiksozialisierte Falcke an Grenzen: „Den Vogel aber schießen meine Studenten in Arizona ab. Sara Issaoun meldet: ‚Wir hören gerade einen Song von Muse. Er heißt >Supermassive Black Hole<.‘ Ich schaue etwas verlegen. Was ein ‚Supermassive Black Hole‘ ist, weiß ich – aber wer bitte schön ist ‚Muse‘?“ Dass ausgerechnet Kosse in diesem Kontext vorkommt, ist kein Zufall – Falcke ist nicht nur Wissenschaftler, sondern auch gläubiger Christ und wird als solcher oft und gern gefragt, wie er denn Elemente wie die Schöpfungsgeschichte mit den gängigen Urknalltheorien zusammenbringt. Für solche Erörterungen hat der Autor den drei großen Kapitelkomplexen, an deren Ende das genannte Bild steht, noch einen vierten hinzugefügt, in dem er sich solchen Fragen und seinen Antworten darauf widmet, zunächst eher auf philosophischer Basis und erst auf den letzten zehn Seiten dieses Komplexes auch noch mit dem Aspekt, wo in der heutigen Wissenschaft noch Platz für einen Gott sein könnte. Wer sich für solche Fragen nicht interessiert, kann diesen Kapitelkomplex also überschlagen, verpaßt dann aber neben der Schilderung der weiteren Entwicklung nach dem April 2019, die sich ebenfalls dort befindet, einige hochinteressante philosophische Gedankengänge, die Agnostikern, aber auch christlichen Fundamentalisten klarmachen, dass es eben nicht nur Schwarz und Weiß gibt. Beweis für diese These ist nicht zuletzt auch die bunte Mitarbeiterschar des EHT (Event Horizon Telescope), wie man dieses Großprojekt getauft hat. Deren Namenauflistung (im Fließtext, nicht etwa tabellarisch) füllt zweieinhalb Seiten (!) des Buches, von Kazunori Akiyama bis Lucy Ziurys, und macht klar, was man in einem großen Miteinander erreichen kann. Nützliches Detail: Viele der in den Fußnoten genannten Arbeiten sind Onlinequellen mit teils irre langen URLs – unter www.licht-im-dunkeln.de findet man diesen Anhang aber auch im Netz und kann sich so das Abtippen der URLs ersparen, denn nun genügt ein Klick, um zur Onlinequelle zu kommen. Außerdem findet sich dort u.a. die laufend gepflegte Errata-Liste. Das Buch ist in erster Auflage 2020 erschienen, es gibt mittlerweile verschiedene Ausgaben, die sich u.a. in der Bildausstattung unterscheiden. Die hier rezensierte Taschenbuchausgabe von 2022 hat einen Block aus 13 Farbabbildungen in der Mitte des Buches und enthält zudem einen Epilog mit weiteren Schilderungen, was in der Forschung seit dem Erscheinen der ersten Auflage passierte; weitere Ergänzungen gibt es dann laufend auf genannter Homepage. Das Bild des Schwarzen Loches in M87 selbst ziert natürlich die obere Hälfte des Buchcovers. Aber egal in welcher Ausgabe – die Lektüre lohnt sich definitiv nicht nur für Astronomie-Aficionados. Roland Ludwig ![]() |
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