Othmayr, C. (Vitzthum, F. - Tecardi, S.)

Gift & Gegengift. Laster & Tugenden in Liedern der Renaissance


Info
Musikrichtung: Renaissance Ensemble

VÖ: 03.09.2021

(Christophorus / Note 1 / CD DDD / 2020 / Best. Nr. CHR 77455)

Gesamtspielzeit: 73:36



LUST UND MORAL

Ein wirklich originelles Programm: "Gift und Gegengift" - da geht es allerdings, wie der Untertitel des Albums verrät, nicht im wörtlichen Sinne um toxische Substanzen und ihre Antidote, sondern um die verderblichen Wirkungen von ungezähmten Begierden, die allein mit recht dosierten Tugenden zu kurieren sind.
Ensembleleiterin und Gambistin Silvia Tecardi hat Lieder des 16. Jahrhunderts zusammengestellt, in der Hauptsache von Caspar Othmayr (1515-1553), die sich mit Lastern und Tugenden befassen. Völlerei, Wollust, Habgier, Trübsinnigkeit und anderen sündhaften Bedenklichkeiten stehen die aufbauenden Qualitäten von Besonnenheit, Mäßigung, Verzicht, Hoffnung usw. gegenüber - wobei erstere gerne in anekdotische Schilderungen verpackt werden und das Ganze trotz zahlreicher lateinischer Verse nicht nur als gestrenge Predigt daherkommt. Pädagogik funktioniert bekanntlich am besten, wenn sie Spaß bereitet und unterhält, das wussten auch die gelehrten Humanisten. Also: "Trag Bier her!", wie es in einem der aufgenommenen Lieder heißt.

Wobei der U-Faktor hier ja vor allem ein musikalischer ist. Und da geht es hin und her auf dieser Platte: Countertenor Franz Vitzthum, der mit seiner Höhe bis in Sopran-Lagen langt, verbreitet sein süßes Vokalgift in den oft liedhaften Stücken mit knabenhaft reiner, ätherischer Stimme, die ein wenig an den jungen Kai Wessel erinnert. In der Höhe kann Vitzhums Stimme aber auch schon mal wie eine übermäßig gespannte Saite klingen. Dann tönt es trocken und scharf, was die launig belehrenden Lieder zu einem streckenweise anstrengenden Exerzitium macht.
Die Gamben des begleitenden "Dryades Consort" gehen eher handfest zur Sache, bei den vielen volksliedhaften Wendungen vielleicht nicht ganz verkehrt. Dennoch könnte man sich da auch mehr Feinsinn vorstellen.
Vielleicht hätte dem Programm im Ganzen eine größere Abwechslung bei der vokalen wie instrumentalen Besetzung zu mehr Deutlichkeit verholfen.
Uneingeschränkt lesenswert ist freilich der auch geistesgeschichtlich sehr interessante Booklettext von Tecardi.



Georg Henkel



Trackliste
C. Othmayr: Magna semper aerumnarum acies / Nulla calamitas sola; Octo sunt passiones; Ich hört' ein Fräulein klagen; Si turpis et carnalis; Avaritia a vincitur; Vom Himmel hoch; Non secus atque olim; Der Mond der steht am höchsten; Non somnos rquies / Mein Tag mit Unruhe; Si te ira exstimulat; Ich armes Käuzlein kleine; Si accidia infestaris; Tribulatio patientiam operatur; Ach Gott, vom Himmel sieh darein; Mein himmlischer Vater / In manus tuas
Anonymus: Trag Bier her; Si bibbero; Peccavi
L. Lemlin: Der Gutzgauch auf dem Zaune saß
J. Barbireau: Een frölic wesen
L. Senfl: Was wird es doch des Wunders noch; Was ist die Welt
H. Isaac: Fortuna desperata; Bruder Conrad super fortuna
P. Hofhaimer: On Freud verzehr ich manchen Tag; Carmen in re, Unschuldiger Ritter
Besetzung

Franz Vitzthum, Countertenor

Dryades Consort

Silvia Tecardi, Konzeption & Leitung



 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>