"Onkel" Matthias Röhr wird zum Weltbürger




Info
Autor: Dennis Diel / Marco Matthes

Titel: Gonzo. Die offizielle und autorisierte Biographie von Matthias Röhr

Verlag: Hannibal

ISBN: 978-3-85445-679-7

Preis: € 25,00

391 Seiten


1992 ist Norbert das erste Mal näher mit den Onkelz in Berührung gekommen. In der Jugendarbeit einer evangelischen Gemeinde in Berlin-Zehlendorf traf er auf Jugendliche, die bestens zu dem Ärzte-Zitat „Zwischen Störkraft und den Onkelz steht ne Kuschelrock-LP“ passten. Nur, dass die Onkelz-LP keine LP war, sondern eine MC; statt Störkraft gab es Endsieg und Frank Rennicke zu hören (was aber eher eine Verschärfung darstellte) und die Kuschelrock-LP war eine Ballermann-MC.

Als Verantwortlicher für den Jugendkeller musste Norbert entscheiden, was im Jugendkeller erlaubt war. Rennicke und Endsieg in der Jugendarbeit, das ging gar nicht. Aber was war mit den Onkelz? Auf den Cassetten konnte Norbert nur wenig Böses erkennen. Die Onkelz blieben also im Jugendkeller erlaubt. In den folgenden Monaten hat sich Norbert nach und nach den Backkatalog der Frankfurter zugelegt. Mehr und mehr galten ihm die Onkelz neben BAP als die Deutsch-Rock-Band mit den stärksten Texten. „Am Morgen danach“ und „Es“ z.B. wurden regelmäßig im Unterricht eingesetzt, seitdem Norbert 1996 in den Religionsunterricht gegangen war.

Jetzt liegt ein Buch von einem Onkel vor, der sich mit seinen Solo-Aktivitäten deutlich in Distanz zu seiner Band gebracht hatte. Klar, dass Norbert gespannt war, wie er, Matthias Röhr, die Jahre mit den Onkelz kommentieren würde.


Erst einmal ist Gonzo über weite Teile eine Onkelz-Biographie, auch wenn in der Vorgeschichte die Wege der anderen Onkelz zur Band unter den Tisch fallen und Matthias‘ Beziehung zu seiner Frau Verena im Gegensatz zu den Familien der anderen Onkel zumindest knapp thematisiert wird. Vor allem auch werden seine wechselnden Wohnsitze in Dublin, Spanien und Südamerika ausführlich gewürdigt. Röhrs Karriere nach dem Split der Onkelz ist der knapp 400-seitigen Biographie allerdings gerade mal ein Kapitel wert.

Dass es unter den Onkelz Streit gegeben hat, ist bekannt und wird daher nicht unter den Tisch gekehrt. Es scheint mir allerdings unwahrscheinlich, dass der Konflikt zwischen dem drogensüchtigen Kevin und der Band, der letztlich zum Split der Band auf dem Gipfel ihres Erfolges führte, und das Zerwürfnis zwischen Röhr und Weidner nach beschlossener Trennung, die intensiv erinnert werden, die einzigen Streits zwischen den vier ausgeprägten Egos gewesen sein sollten. Aber hier lässt Röhr nicht in die Karten blicken und er nutzt sein Buch auch nicht, um schmutzige Wäsche zu waschen. Gerade im Blick auf den rasant eskalierenden Bruch mit Weidner sieht er auch einen guten Teil der Verantwortung bei sich.

Die Autoren, die nach eigener Aussage etliche Stunden mit Gonzo gesprochen haben und von Besuchen in seinem Domizil in Dublin berichten, sind Mitarbeiter im Pressestab der Onkelz. Kein Wunder, dass sich die Karriere der Onkelz wie ein Märchen liest. Aber das ist okay, weil es wohl kaum eine Bandkarriere in Deutschland gegeben hat, die gegen derart massive Widerstände derart kometenhaft verlaufen ist.

Da eine Biographie sich zwangsläufig mit dem ganzen Leben befasst, müssen auch alte Geschichten aufgearbeitet werden – und damit landet man im Fall der Onkelz zwangsläufig bei der rechten Scheiße, die den Frankfurtern immer noch am Schuh klebt.

Mir ist schon lange klar, dass die Onkelz zwar sicher nie eine linke Band geworden, aber auch nie „Rechte“ im eigentlichen Sinn gewesen sind. Die immer wieder zitierten Songs kann man getrost als Jugendsünden bezeichnen. Als die Onkelz ernsthaft begonnen haben, Musik zu produzieren, lag diese Phase lange hinter ihnen.

Mich enttäuscht aber, dass Matthias Röhr an diesen Stellen nicht deutlicher Position bezieht. Da gibt es zum Beispiel das Konzert im Berliner Bunker im November 85, wo die Onkelz vor einem eindeutigen Neo-Nazi-Publikum spielten und mit Hitlergruß und „Ausländer raus!-Sprüchen begrüßt wurden. Die Band hätte abbrechen sollen, aber sie zog durch, kommentiert Dennis Diel. „Das durfte man ihr als Fehler vorwerfen, schließlich war es einer,“ sagt er ganz klar (S. 119) „Es gab unzählige Gelegenheiten vor und während des Konzertes, die Reißleine zu ziehen. Es gab viele Möglichkeiten der Distanzierung an diesem Abend. Die Band nutzte keine.“ Hier hätte ich mir von Matthias eine etwas differenziertere Stellungnahmen gewünscht. Aus heutiger Perspektive sieht er nur den Schlussstrich, den die Band gezogen hat. „Für uns galt das Konzert schließlich als Bestätigung, dass wir mit dieser Szene keinerlei Berührungspunkte besaßen und nichts mehr mit ihr zu tun hatten.“ (ebenda) Das glaube ich ihm, aber hier hätte ich mir eine gründliche Reflektion über den Charakter dieses innerlichen Abschieds gewünscht. Immerhin geht es hier um eine der zentralen Fragen, die sich jedem stellen muss, der sich intensiver mit der Geschichte der Onkelz befasst.

Letztlich reiht sich die Biographie Röhrs so in die langjährige Praxis der Onkelz ein, sich als arme Opfer darzustellen, die immer nur unschuldig von der Presse verurteilt wurden. Das ist zwar erst einmal grundsätzlich richtig und die deutsche Presse hat sich selten dermaßen in praktisch ihrer Gänze zum willfährigen Sprachrohr eines gesunden Volksempfindens gemacht. Dass die Band durch ihre Sturheit und ihr provozierendes Verhalten auch selber oft genug Öl ins Feuer gegossen hat, darf aber auch nicht verschwiegen werden.

(Und ich bin überzeugt, dass das ab einem bestimmten Punkt auch mit der ganz bewussten Absicht geschehen ist, die Frage offen zu halten. Denn das Spiel mit dem rechten Feuer garantierte auf jeden Fall Aufmerksamkeit und Presse. Das haben ja auch Bands wie DAF, Rammstein und verschiedene andere mit mehr oder weniger großem Erfolg getan. Nur standen die nicht so im Fadenkreuz, wie die Onkelz, weil sie andere Vergangenheiten hatten.)

Dass man sich damals nicht die Blöße geben wollte, mit einem Abschwören zu Kreuze zu kriechen und den Kritikern offen den Sieg zu lassen, kann ich verstehen. Das ist aber mit einem Abstand von über 30 Jahren nicht mehr nötig.

Das tut der Klasse einer Biographie, die sich von der ersten bis zur letzten Seite spannend liest, aber keinen Abbruch.


Norbert von Fransecky



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