Michels

Erntezeit


Info
Musikrichtung: Singer/Songwriter/Deutsch-Rock

VÖ: 14.09.2018

(Glitterhouse Records)

Gesamtspielzeit: 48:59

Internet:

http://www.wolfgang-michels.de/
https://www.glitterhouse.com/
http://www.starkult.de/de


Heute geht es um einen Musiker, von dessen Existenz leider gar nicht so viel wussten, und auch nicht, dass er bereits im letzten Jahr nach längerer Krankheit verstarb. Wolfgang Michels, unter Michels firmierend, lebte vom 15.Juli 1951 bis zum 14. September 2017. Genau ein Jahr später, zum einjährigen Todestag, ist sein Vermächtnis, die Platte Erntezeit, erschienen.

Doch Michels „Karriere“ begann bereits Mitte der sechziger Jahre, als er von Alexis Korner entdeckt wurde, nachdem dieser einen Song des Musikers im Radioprogramm der BBC hörte. Das war 1967 und bereits zwei Jahre später gründete Michels mit Unterstützung von Korner die deutsch-amerikanische Band Percewood’s Onagram. Die nicht sehr erfolgreiche Formation existierte immerhin von 1969 bis 1974, mit dem Output von vier Schallplatten. Der Protagonist selbst startete nachfolgend seine Solo-Laufbahn, in Großbritannien und in den USA.

Und hier komme ich zu einem für mich persönlich einschneidenden Erlebnis. Wir befinden uns im Jahre 1982 und ich kaufte auf einem Grabbeltisch eines Kaufhauses für 5 DM eine Platte, dessen Cover mir angenehm auffiel. Das war “Full Moon California Sunset“ von einem gewissen Michels. Auch die lockere Art des Musizierens fiel mir angenehm auf, nur der englischsprachige Gesang klang ein wenig Deutsch-akzentuiert und ungewöhnlich, konnte aber irgendwie die Seele packen. Nachforschungen ergaben, dass der Mann aus Delmenhorst stammte und mittlerweile auch schon eine deutschsprachige Platte veröffentlicht hatte. „Irgendetwas stimmt hier nicht“ musste sofort her und ich war begeistert von dieser unbeschwerten und unkonventionellen Art, Songs wie „Wenn ich mich so fühl wie heute“, „Deine Liebe“ oder „Helden am Straßenrand“ packten mich sofort, und bereits 2 Jahre später legte Michels mit der noch intensiveren Platte „Keine Probleme“ nach, mit solch starken Songs wie „Kleiner Träumer“ oder „Zukunft der Vergangenheit“. Zu jener Zeit arbeitete er auch eng mit Rio Reiser zusammen. Das bisher letzte Album mit dem Titel „Zuhause“ erschien 2008, danach war leider Stille.

Doch der Musiker, Komponist, Texter, A&R-Manager, Berater und Produzent war nicht untätig, so arbeitete er auch mit amerikanischen Künstlern zusammen, 2008 spielte er im Vorprogramm von Beth Hart, war Support für Joan Armatrading und eröffnete 2009 alle Konzerte von Neil Young auf dessen Deutschland-Tournee. Und in den nachfolgenden Jahren kam es zu verschiedenen Radio- und TV-Auftritten, doch bis jetzt mussten wir auf eine neue Platte warten, leider posthum. Neben neuen Songs, die in den letzten Jahren entstanden, gibt es auch Neuaufnahmen alter Titel wie „Wenn ich mich so fühl“, „Sehnsucht“ und „Bald Zuhause“.

Die neue Platte besticht erneut mit unterschiedlichen Stimmungen, doch meist ist es Musik aus der Seele, für die Seele, mit einem recht hohen Grad von Identifikation, denn, so denke ich, hat der Musiker mit seinen Texten vielen Menschen aus der Seele gesprochen, seien es romantische, melancholische oder auch kritische Situationen, in denen wir uns befinden. Wie auch sonst trägt Michels seine Botschaften mit typischer Stimme vor, stets leicht brüchig, aber mit hohem emotionalen Ausdruck, immer noch relativ jugendlich wirkend, aber zwischenzeitlich doch mit größerer Reife und ab und zu auch einmal ein wenig Druck. Oft erinnert mich die Musik an jene seines Freundes Rio Reiser und gelegentlich auch an die von Stoppok, geprägt von großer Sensibilität, mitunter auch von fragilen Momenten. „Doch in unseren Herzen bleiben wir für immer jung“, so singt Michels in “Der Mond dreht sich weiter“, wo er davon kündet, wie es im Leben ein Auf und Ab gibt, wie man auf Schwierigkeiten trifft und sich das gefürchtete Alter nähert. Eine Betrachtung nach dem Sinn des Lebens mit einer letztlich positiven Aussage, denn „wir werden weiser“, und seinen Worten zufolge liebt der Mann sein Leben an jedem Tag. Ein sehr guter Song, in perfekte Harmonie getaucht, das wäre ein passender Song, um fade Radioprogramme, die sich ansonsten bei deutschen Beiträgen stets bei der Masse der „Neuen Deutschen Weinerlichkeit“ bedienen, endlich einmal aufzufrischen.

Ein dicker fetter Hit könnte mit Sicherheit auch „Genialer Tag“ sein, hier purzeln die Assoziationen hin zu Songs der Beatles mit dem Schwerpunkt auf George Harrison. Diese Stimmung, diese positive Aussage des Textes, das ist einfach der positivste Beitrag der Platte, alles ist gut, lasst uns die Sorgen vergessen, „Der Sinn des Lebens ist – vielleicht einfach mal zu leben“! „Wenn ich mich so fühl“ (wie heute – so hieß es früher) ist immer noch super, ein herrlicher Text, der einen förmlich anspringt, “Wenn ich mich so fühl‘ wie heute, möchte ich gern zweimal leben“…. Die wunderschöne Melancholie verführt zum Träumen, ach, ich liebe dieses Stück, also – ANSPIELTIPP!

Letztlich bleibt dem Musiker der Status einer Kultfigur, und ich hoffe, dass ihm posthum gelingen mag, mit dieser abwechslungsreichen Mischung von Stimmungen noch einige Anhänger zu gewinnen. Michels war ein wirklich wichtiger Singer/Songwriter der deutschen Szene, der mit seinen Texten voller Poesie viele Gefühle stimmungsvoll und sensibel ausdrücken konnte. Und so reiht sich ein Höhepunkt an den nächsten, „Geisterhaus“, „Bald Zuhause“ und schließlich das stark akustisch ausgerichtete „Arm in Arm“ zum Abschluss bilden den romantischen Rahmen dieser Musik, die zwischendurch auch von rockenden Momenten unterbrochen wird.



Wolfgang Giese



Trackliste
1 Erntezeit
2 Der Mond dreht sich weiter
3 Genialer Tag
4 Wenn Ich mich so fühl
5 Sehnsucht
6 Geisterhaus
7 Eiskalt
8 Wir haben die Power
9 Bald Zuhause
10 Sommerzeit
11 Es ist nicht einfach
12 Arm in Arm
Besetzung

keine Angaben


 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>