Musik an sich


Editorial

Nebenwirkungen von Streaming Audio

Wenn die aktuelle Entwicklung anhält, dann gehören überfüllte CD-Regale und volle Festplatten bald endgültig der vordigitalen Vergangenheit an. Aber möglicherweise sind dann auch Künstler und Musikproduktion Geschichte – einfach, weil es sich nicht mehr lohnt, kreativ zu sein. Die Ursache heißt Streaming Audio. Unbelastet durch Press-, Produktions- und Vertriebskosten wird damit der kreative Output unzähliger Komponisten, Künstler und Interpreten online verfügbar gemacht. Es ersetzt die physikalischen Träger und erobert den Markt mit eindrucksvollen Wachstumsraten: Um 78,5% konnten Anbieter wie Spotify, Deezer, Apple oder Google Play Music ihren Umsatz steigern. Im Juni dieses Jahres war es so weit: Erstmalig wurden in einem Monat mehr als eine Milliarde Streams geladen – ein Rekord. Was sich in den Bilanzrechnern der Musikindustrie so schön darstellt, hat aber einige Nebenwirkungen, auf die jüngst der Präsident des Deutschen Komponistenverbandes, Enjott Schneider, hingewiesen hat.

Nur die Minderheit der Konsumenten zahlt fürs Hören. Die meisten Streams werden gratis geladen und die Kosten für ein echtes Abo sind mit durchschnittlich nicht einmal 10 € lächerlich gering. Klicken kostet nicht genug. Allerdings: Die oft mäßige Klangqualität der komprimierten Dateien macht auch wenig Lust, mehr zu bezahlen.

Die Gewinner dieser musikalischen Fastfood-Strategie sind bislang die Verwerter kreativer Arbeit, denn die Erträge gehen in der Hauptsache an diejenigen, die die Datenmassen vorhalten und anbieten. Die Label erhalten von den Streaming-Diensten dafür Vorauszahlungen. Jüngster Skandal: Sony bekam von Spotify für die Rechtevergabe in den USA und Kanada vorab 25 Millionen Dollar. Das Ganze wurde in einem Geheimvertrag geregelt, der die Musiker selbst leer ausgehen ließ! Doppelt kassieren, höchstens einmal – und weniger – an die Künstler zahlen, lautet die Zauberformel zur Gewinnsteigerung.

Die Dienste locken mit Serviceangeboten, bei denen die Konsumenten aber möglicherweise mehr von sich preisgeben, als sie möchten: Da wird z. B. das Musikangebot vom Anbieter passend zum online übermittelten Blutdruck beim Sport zurechtgestreamt. Was aber geschieht mit diesen und ähnlichen Hörer-Daten sonst noch? Gehen die an den Hausarzt oder den Arbeitgeber oder …

Für besonders bedenklich hält Schneider, dass mit dem massenhaften Aufstieg von Digitalradio-Formaten auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Anpassungsdruck weiter zunimmt: Mainstream statt Vielfalt. Und: Der Ausbau des Digitalradios überzieht das Land mit Hochfrequenzsendestationen, deren gesundheitliche Risiken sich immer deutlicher zeigen. Wer käme schon auf die Idee, sich zum Musikhören in eine Mikrowelle zu setzen?

Bei Musikansich sitzen wir beim Rezensieren meistens noch im Sessel, zumindest vor den Boxen oder unter den Kopfhörern und irgendeine Platte dreht sich dabei, wie es die aktuelle Ausgabe wieder zeigt. Ein Bericht über die Vinyledition klassischer Queen-Alben dürfte die Oldschool-Fans begeistern. Wobei selbst eingefleischte Vinyl-Fans wie Norbert von Fransecky sich ja inzwischen mit der CD angefreundet haben, wie ein Bericht über den 400. Silberling in seiner Sammlung beweist.

Vielleicht noch ein echtes Buch aus Papier dazu? Kritiken über ein Buch zu Die Ärtze oder über die Mythen verstorbener Rockstars finden sich unter den Artikeln. Und die Die Ärtze-Bio wurde sogar unabhängig voneinander von Norbert und Jürgen unter die Lupe genommen. Es gibt einen nostalgisch stimmenden Rückblick auf Pink Floyds epochales Album The Wall. Noch so ein vordigitales Wunder. Natürlich gibt es auch wieder einen Bericht über ein ganz echtes, ungestreamtes Life-Konzert: Glenn Hughes präsentierte sich kürzlich in Bestform.

Viel unkomprimiertes Vergnügen beim Lesen wünscht

Euer Geog Henkel