Musik an sich


Reviews
Waltz, S. – Kuhn, H. P. – Bepler, J. u. a.

Körper / S / noBody (Tanztheater)


Info
Musikrichtung: Tanztheater

VÖ: 21.06.2011

(Arthaus Musik / Naxos / 3 DVD / 2000-2002 / Best. Nr. 107507)

Gesamtspielzeit: 268:00



ÜBERWÄLTIGEND UND VERSTÖREND

Das Tanztheater der Sasha Waltz ist überwältigend und verstörend zugleich. Mit ihrer legendären Trilogie über den menschlichen Körper, der in der Schaubühne am Lehniner Platz Berlin mit dem Stück Körper 1999 seinen thematischen Auftakt nahm und danach über S und schließlich noBody die sinnlich-erotischen und die geistigen Dimensionen des Körpers erforschte, hat sie dem modernen Tanz neue Richtungen gewiesen. Dabei wird das Instrument des Tänzers, sein Körper, selbst zum Gegenstand einer poetisch-forensischen Untersuchung, deren Ergebnis mitunter extreme Bilder sind: erschreckend schön, herrlich schockierend, von surrealem Zauber und unheimlicher Kraft.

In Körper wird nicht der verklärte, sondern vor allem der gefährdete, zerbrechliche, geschundene Leib in locker gefügten Szenen inszeniert: Man sieht Prozesse der Einengung, Vermessung, Verschmelzung und Taxierung von Körpern. Körper, die bloß ineinandergeklumptes oder verzerrtes menschliches Fleisch sind. Körper, die von blanker, empfindlicher Haut überzogen sind. Organische Gebilde, gefüllt mit rinnenden Flüssigkeiten, die sich dann auch über die Körper und den Bühnenboden ergießen.
Immer wieder erscheint der Körper als das Produkt von Transformation und Deformation, von manischer Inszenierung und schmerzhafter Überhöhung. Aber er ist auch inkarnierte Passion, Leiden und Leidenschaft. Die Bereitschaft der TänzerInnen, sich dafür psychomotorisch zu entäußern, ist bewundernswert. Während S in ähnlicher Radikalität die Spielarten des Eros und Sexus in symbolischen Bildern zu bannen sucht, geht es in noBody um das Verlassen, die Transzendierung oder Auslöschung des Körpers. Waltz thematisiert dazu in sozialen Ritualen den Umgang mit Gefährdungen und Krisen und schließlich die Angst vor Sterblichkeit und Tod, die das Individuum wie die Gemeinschaft betreffen.

Doch so krass Manches auch anmutet, ist es doch immer in artifizielle Formen gebannt. Waltz findet in allen drei Stücken spektakuläre Bilder, die ein Bosch, Breughel oder Dalî nicht schöner hätten ersinnen können: Zwei Körper werden zu einem Homunkulus verschmolzen. Eine Frau spielt mit ihrem überlangen Haar, das wie die Saiten einer Harfe an zwei langen Stäben befestigt ist. Eine Gruppe von Tänzern hantiert mit Porzellantellern – übereinandergelegt repräsentieren sie das Rückgrat eines Tänzers, das bei jeder Bewegung geradezu schmerzhaft klirrend und klappernd in eine neue Position gebracht wird. Feuchte Gaze klebt wie eine zweite Haut auf den Körpern eines Paares und verwandelt die TänzerInnen in entstellte und zugleich anrührende Puppen. Eine Gruppe agiert in nobBody in langen Kleidern aus massivem Holz und formiert ein Ballett erst schwerelos tanzender und dann martialisch stampfender Kegel.

Viel zu der (alb)traumhaften Atmosphäre trägt die Musik von Hans Peter Kuhn und Jonathan Bepler bei. Sie wirkt mehr wie eine klangliche Installation, die Elemente der elektronischen und der konkreten Musik, von Ambient und Soundtrack mischt und so einen Resonanzraum voller Assoziationen öffnet, in dem die Bühnengeräusche ebenso ein Echo finden wie die psychischen Prozesse. Das gilt auch für die spartanischen Sets von Thomas Schenk und Heike Schuppelius, die Sichtbeton, moderne Videokunst, Sphären aus Ballonseide und gemalte Rollbilder vereinigen.
Kamera und Bildregie pflegen einen direkten, harten „Dogma-Stil“ (in Körper werden gelegentlich grobkörnige SW-Aufnahmen eingeschnitten), die das oft kontrapunktische Geschehen auf der Bühne prägnant einfangen und dabei auch sinnvollen Mut zur Lücke zeigen. Totalen gibt es auch, aber meistens bewegt sich die Kamera direkt zwischen den Tänzern. (Dokumentationen auf jeder DVD zeigen überdies Szenen, die im Hauptfilm selbst nicht vorkommen.) Ziel war es nicht, eine Aufführung neutral zu dokumentieren, sondern diese im Medium erneut zu inszenieren.



Georg Henkel



Trackliste
1Tanztheater: 210:00
2 Bonus 58:00
3
Besetzung

Sasha Waltz: Choreographie

Hans Peter Kuhn & Jonathan Bepler: Musik

Thomas Schenk, Heike Schuppelius & Sasha Waltz: Bühne


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