Musik an sich


Reviews
Beethoven, L. v. (Brautigam)

Für Elise. Sämtliche Bagatellen (Klavierwerke Vol. 10)


Info
Musikrichtung: Klassik Klavier

VÖ: 31.05.2011

(BIS / Klassik Center Kassel / SACD hybrid / 2010 / Best. Nr. BIS-SACD-1882)

Gesamtspielzeit: 71:07



DER GROSSE QUERSCHNITT

All jenen, die sich zunächst vielleicht scheuen, Ludwig van Beethovens 32-teiliges „Neues Testament“ der Klaviermusik im Ganzen zu erforschen, sei diese Einspielung seiner Sämtlichen Bagatellen empfohlen. Das kürzeste Stück ist ein gerade mal zehnsekündiger Geistesblitz, die längeren wie ein rund drei Minuten währendes „Allegretto in C-Moll“ (WoO 53), erreichen das Format von kurzen Sontatensätzen. Die Gesamteinspielung, die Ronald Brautigam auf den phantastisch klingenden Hammerklavier-Reproduktionen von Paul McNulty vorlegt, quert Beethovens gesamte Schaffenszeit und erlaubt einen Blick in die kompositorische Werkstatt, aus der zeitgleich die großen Sonaten-Brocken hervorgegangen sind. Bei vielen dieser Stücke handelt es sich um erst posthum unter „Verschiedenes“ herausgebrachte Werke, die Beethoven offensichtlich zum eigenen Vergnügen komponiert hat. Roeland Hazendonk spricht in seinem informativen Einführungstext von einem Pendant zu den heutigen Kreuzworträtseln! Einige Kompositionen erreichen freilich auch das Niveau ausgefeilter Sudoku-Knobeleien …
Man lasse sich vom manchmal leichhändigen und scherzhaften Ton nicht täuschen: Diese 'Zwischendurchstücke' und Skizzen sind richtige Musik, die Beethovens Kunst der Ökonomie und thematischen Kombinatorik in der kleinen Form demonstrieren. Die prägnanten thematischen Einfälle verleihen dabei jedem Stück ein eigenes Gesicht. Von daher weist der etwas abfällig klingende Sammeltitel „Bagatelle“ nicht ganz in die richtige Richtung. Das Unterhaltsame (und nicht selten auch Ergreifende) ist hier mit dem Experimentellen und Anspruchsvollen eine perfekte Synthese eingegangen.

Ronald Brautigam macht das in seiner Interpretation unter subtilem Einsatz der Fortepiano-Effekte hörbar. Einen plötzlichen Sprung wie aus den saftigen, ohne Dämpfer gespielten Bass-Pfundnoten in die hohen, gedämpften Una-Corda-Schwebungen des „Presto“ aus den Sieben Bagatellen, op. 33 lässt sich in dieser Dramatik auf einem modernen Konzertflügel wohl kaum realisieren. Der Nachbau eines Instruments von Anton Walter bringt diesen Farb- und Temperamentwechsel dagegen aufs Schönste zu Geltung.
Die Mühelosigkeit, mit der der Niederländer sich auf der inzwischen zehnten Folge seiner Gesamteinspielung durch den Notentext bewegt, und die Klarheit, mit der er Beethovens Vorstellungen nahezukommen sucht, sind Genuss und Herausforderung zugleich. Wie schnell huschen diese Klavier-Momente vorbei, wenn man ihnen nicht die volle Aufmerksamkeit schenkt! Es ist wie eine Sammlung von kleinformatigen Fotografien. Dabei unternimmt Brautigam alles, um die mal einfachen, mal komplexen 'Motive' genau auszuleuchten und auch die Ecken und Kanten herauszuspielen. Einen Evergreen wie das berühmte „Für Elise“ legt er schlüssig zwischen sehnsuchtsvoll drängend, schwärmerisch und dramatisch an, vermeidet aber alle eindimensionale Sentimentalität, mit der das Stück sonst oft überkleistert wird.



Georg Henkel



Trackliste
01-07 Sieben Bagatellen, Op. 33
08-15 Bagatellen 1795-1804
16-26 Elf Neue Bagatellen, op 119
27-31 Bagatellen 1810-1825
32-37 Sechs Bagatellen, 0p. 126
Besetzung

Ronald Brautigam: Hammerklaviere nach Anton Walter und Conrad Graf


Zurück zur Review-Übersicht
 >>