Musik an sich


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ROSSINI-PRÜFSTEIN
Gioachino Rossini (1792-1868): La pietra del paragone (1812)

Naxos 3 CD DDD (AD LIVE 2001) / Best. Nr. 8.660093-95
Romantik / Oper
Cover
Interpreten:
Agata Bienkowska - Anna Rita Gemmabella - Anke Herrmann - Raffaele Constantini - Alessandro Godeluppi - Darius Machej - Gioacchino Zarelli - Teru Yoshihara
Tschechischer Kammerchor / Tschechische Kammersolisten, Brno
Ltg. u. Cembalo: Alessandro de Marchi

Interpretation: +++
Klang: ++
Edition: +++ (italienisches Libretto, aber ausführliche deutsche Track-für-Track-Inhaltsangabe)


YOUNGSTER IM ERFOLGSRAUSCH: ROSSINIS MAILÄNDER DEBUT

Gerade mal 20 Jahre alt war Rossini, als er 1812 für sein Mailänder Debut La pietra del paragone komponierte. Und damit gleich einen seinen größten Erfolge feiern konnte: 53 Mal ging das Werk dort über die Bühne. Im Gegensatz zu seinem Barbiere, dessen Uraufführung bekanntlich zu einem veritablen Flop geriet. Aber wie es so geht: Den Barbiere findet man heute auf jedem Spielplan. La pietra del paragone fristet als Mauerblümlein des Repertoires ein trauriges Dasein. Daran hat auch das Lob aus berufenem Munde nichts ändern können: Meisterwerk hin, Meisterwerk her - diese Oper ist offenbar ein Fall für die Rossini-Festspiele in Bad Wildbad, die sich dem Gesamtwerk des Komponisten verschrieben haben. Dort ist dann auch 2001 diese Aufnahme mitgeschnitten worden. Herausgekommen sind drei CDs prall voll mit bestem Rossini - ein Gewinn für den Klassik-Katalog: Arien, irrwitzig virtuos und mitunter herrlich überdreht, eine gewohnt flotte, leichte Instrumentation und nicht zuletzt zahlreiche Ensembles, ransant bis zum Überschlag.

Das Libretto: eine überraschend zeitlose Gesellschaftssatire. Der "Prüfstein", von dem der Titel spricht, war zu Rossinis Zeiten ein Mittel, um die Qualität von Legierungen, besonders von Gold und Silber zu bestimmen. Hier steht er bildlich für die geprüfte Qualität von "Liebesbeziehungen" - aber nicht weniger geht es um Habgier, Eifersucht, Intrige, Feigheit und Dummheit, menschliche Schwächen und Laster also, die in allerlei komödiantischen Verwicklungen vorgeführt werden. Geld macht ja bekanntlich sexy. Drei Frauen, sämtlich bereits mit potentiellem Lover am Hals, mühen sich um die Zuneigung des solventen und adeligen Conte Asdrubale. Ohne Frage eine gute Partie, die den ersehnten Aufstieg zur vermögenden Promi-Gattin eröffnet. Pech also für die Lover ... vorerst, denn nach der Hochzeit wird man weitersehen ...

EIN "PRÜFSTEIN" FÜR JEDES ENSEMBLE

Rossini komponierte für die besten Stimmen seiner Zeit. Sänger/innen, die in der Tradition des Bel canto ausgebildet waren. Seine Musik rettet gewissermaßen den Verzierungs-Rausch der barocken Oper in den Gesangsstil des frühen 19. Jahrhundert hinein: Messa di voce (das langsame An- und Abschwellen des Tones), Trillerketten, Läufe, Vorschläge ... den Ausführenden wird geradezu akrobatisches Können abverlang. Diese Zierfiguren sind jedoch nicht einfach kunstvolle Ornamente, sondern stilisierte Ausdrucksträger, die durch die Sänger entsprechend ausdrucksvoll, dabei stets in den Gesang eingebettet, auszuführen sind.

Hier überzeugt die Einspielung nun leider nicht. Das kann man nur zum Teil der trockenen, etwas dumpfen Stadttheater-Akustik anlasten, die sich außerdem bei der vorhergegangenen Bad Wildbacher Produktion L'equivoco stravagante (Naxos 8.660087-88) sehr viel negativer bemerkbar macht. Die Solisten genügen schlichtweg nicht den stupenden Anforderungn von Rossinis Musik. So fallen die Damen, ausgenommen Agata Bienkowska, unangenehm durch ihr mitunter schrilles Timbre und forcierte Töne auf, die Herren klingen dagegen schwerfällig, vibratolastig, besonders zu Beginn regelrecht abgesungen. Selbst der Chor hinterläßt bei seinem ersten Auftritt einen eher schwachbrüstigen Eindruck - immerhin gilt es doch, den Conte Asdrubale zu feiern. Hier kommt eher Begräbnisstimmung auf. Im Laufe der Aufführung steigert sich das Ensemble zwar, wie so häufig bei Liveproduktionen, aber es fehlt einfach an Eleganz, an Feinschliff, an Beherrschung des Bel canto. Da helfen selbst die vokalen Gags in den buffonesken Charakternummern nicht drüber hinweg.
Das ist schade. Nicht zuletzt deshalb, weil Alessandro di Marchi, der in der Personalunion von Dirigent und Cembalist auch die Rezitative kundig begleitet, die Tschechischen Kammersolisten zu einem agilen und pointierten Spiel animiert. Lediglich bei den ff-Tuttieinsätzen mit Becken macht sich die problematische Akustik etwas scheppernd bemerkbar. Zum Kennenlernen der Musik sicherlich ein brauchbare Aufnahme, aber zum Liebhaberstück eignet sich diese Produktion nicht.

10 Punkte

Georg Henkel

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