Musik an sich


Reviews
Victor Kissine - Chamber Music
(Sojuz)
20. Jahrhundert
Trackliste:
1-3: Partita
4-6: Sonate
7-9: Trio
10: Madrigal For 5 Violins

Victor Kissine ist sicherlich selbst Insidern nur in Ausnahmefällen ein Begriff - wie so viele klassische Komponisten des 20. Jahrhunderts. So sind die hier vorgetragenen Werke auch allesamt Ersteinspielungen - was immer eine sehr spannende Angelegenheit ist, da sich so nicht lediglich die Interpretation der Musiker bewerten lässt, sondern auch und vor allem das Werk an sich.

Das Schaffen Kissines (geb. am 15.03.1953) lässt sich recht simpel in zwei Kapitel teilen - während er sich in der letzten Dekade der Sowjetära hauptsächlich mit Filmmusik und Oper beschäftigte, stand nach seiner Emigration nach Belgien die Kammermusik im Mittelpunkt - aus dieser Zeit stammen auch die vorliegenden Kompositionen.

Diese verleugnen die Soundtrack-Vergangenheit ihres Schöpfers mitnichten - im Gegenteil. Insbesondere die packende "Partita" scheint wie geschaffen für einen packenden Krimi, vielleicht auch eine Dokumentation. Die "Schauspieler" jedenfalls glänzen mit kühlen und distanzierten Streicheinsätzen, sie entgehen der Verführung den atonalen Melodien auch nur einen Funken Tragik zu verpassen und die Musik so ihrer Spannung zu berauben. Etwas unangenehm fällt mitunter Pianist Boyan Vodenitcharov auf. Zwar ist ein "hartes" Klavierspiel diesem Stück durchaus angemessen, aber die stellenweise einfach nicht vorhandene Dynamik verbreitet schon fast ein Gefühl der Sterilität, das so manche geschickte Wendung abschwächt.

Dass Vodenitcharov dennoch sehr wohl ein feinfühliger Musiker ist, zeigt er in der "Sonate". Nur vom dünnen Klangteppich eines Cellos begleitet werden leiseste atonale Melodien abrupt eingesetzt und ebenso abrupt wieder abgebrochen.

Das anschließende "Trio" (gemeint sind damit Klavier, Cello und Violine) stellt da schon fast eine Erlösung dar: Die Melodien werden viel konkreter und die Lautstärke erreicht zumindest im Durchschnitt wieder Ebenen, die ein nicht mehr ganz so hohes Maß an Konzentration erfordern. Es ist wahrscheinlich das - in Relation, versteht sich - eingängigste Werk der CD.

Zum Schluss gibt`s dann noch "Madrigal for 5 Violins" - "Für fünf verstimmte Violinen" müsste es wohl korrekt heißen, da das Ganze mitunter doch mal ganz schön Ohrenschmerzen bereitet. Ein sehr experimentelles Stück mit kaum wiederkehrenden Themen. Durchaus interessant, aber nicht besonders schön anzuhören.

Gleichzeitig auch das beste Beispiel dafür, dass Kissine gerne Intervalle unterhalb des Halbtons verwendet - die bekanntlich nicht jedermanns Sache sind. Daher kann ich dieses Stück, wie auch die ganze CD, hauptsächlich "hartgesottenen" Klassikfans empfehlen... und natürlich Filmproduzenten, denen noch die passende Begleitmusik für die "Mordszene" fehlt.

11 von 20 Punkte

Hendrik Stahl

Internet: www.sojuz-cd.de

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