Musik an sich


 
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Jan Dismas Zelenka: Sub olea pacis et palma virtutis
(Supraphon)
Barock

 
Jan Dismas Zelenka (1649-1745) gehörte schon zu Lebzeiten zu den unterschätzten Vertretern seiner Zunft. So geriet seine Musik schnell in Vergessenheit und erst in den letzten Jahren wurde ihr Wert und ihre musikhistorische Bedeutung langsam erkannt. Man kann wohl sagen, dass Zelenka für die katholische Kirchenmusik das tat, was Bach im protestantischen Umfeld gelang: Die Möglichkeiten und das musikalische Wissen seiner Zeit zu bündeln, zu einem Höhepunkt zu führen und damit zugleich Raum zu schaffen für neues, ohne selbst Reformer zu sein.
Um die Kirchenmusik des Böhmen hat sich vor allem Frieder Bernius mit den Einspielungen der großen Messen verdient gemacht. Nun ist der Katalog um eine Aufnahme bereichert worden, die eine andere Seite Zelenkas zeigt, nämlich ein - im weitesten Sinne - Stück weltlicher Musik. Es handelt sich bei "Sub olea pacis et palma virtutis" um ein sogenanntes "Schulspiel", welches am Prager Jesuitengymnasium im Rahmen der Krönungsfeierlichkeiten für Karl VI., König von Böhmen, im Jahre 1723 aufgeführt wurde - ein nur kleiner Beitrag zu den prunkvollen Festlichkeiten, und dennoch wohl der ehrenvollste Auftrag, der Zelenka überhaupt je zuteil wurde.
Er nahm ihn zum Anlass, sein ganzes kompositorisches Können auszubreiten. Der Reichtum der Einfälle, die barocke Pracht, die feinsinnige Orchesterbehandlung versetzen auch heute noch in Staunen und Begeisterung. Da stört es wenig, dass die allegorischen Huldigungen auf das Königspaar jeder Dramaturgie und Logik entbehren. Der Hörgenuss wird kaum getrübt, wenn man darauf verzichtet, die (zeitgenössische) Übersetzung des lateinischen Textes im (auch ansonsten sehr sorgfältig gearbeiteten Booklet) mitzuverfolgen, es sei denn, man hat Freude an gelungenen Reimen: "Liebe neigt die Unterthanen, Schrecken beugt der Feinde Fahnen. / Du hoch-beglücktes Oesterreich, dem nichts auf weiter Erde gleicht." - Hauptsache, es wird gejubelt!
Es ist aber auch Raum für lyrische Passagen, wenn denn Pauken und Trompeten einmal schweigen. Fremdartig für unsere Ohren klingt da z.B. der Einsatz der Chalumeau bei der Arie des Engels (Verehrung des Altarsakraments): Der berückend schöne melodische Bogen in der Sopran-Singstimme bekommt dadurch etwas unwirkliches, überirdisches und eine zusätzliche Klangfarbe, die wir heute am ehesten noch von der jüdischen Klezmer-Musik kennen.
Mir selbst gefällt Zelenka dennoch immer am besten, wenn ordentlich auf die Pauke gehauen wird, wenn er schwungvoll barocken Glanz entfaltet, ohne dabei platte Massenware abzuliefern.
Diese Passagen formt Marek Stryncl mit den beteiligten Ensembles (Musica Florea, Musica Aeterna, Ensemble Philidor), die sich allesamt bereits Verdienste in der historischen Aufführungspraxis erworben haben, in adäquater Weise. Auch an den ruhigeren Stellen lässt die Orchesterbegleitung nichts zu wünschen übrig. Der tschechische Knabenchor "Boni Pueri" erlegt sich ebenfalls keine falsche Zurückhaltung auf und macht bei seinen wenigen Einsätzen eine gute Figur.
Also alles wunderbar, wären da nicht die Solisten! Man ist versucht, den Mantel des Schweigens darüber auszubreiten, um nicht potentielle Interessenten vom Kennenlernen der wunderbaren Musik abzuhalten. Aber da das nicht Sinn einer Kritik ist, frisch zum Sezieren geschritten: Zunächst einmal seien wir froh, dass es Gott noch rechtzeitig einfiel, die Frauen zu erschaffen. Die beiden Sopranistinnen meistern ihre schwierigen Partien mit Bravour, wobei Anna Hlavenková mit ein wenig mehr Brillanz aufzuwarten vermag, als Noémi Kiss. Leider verlangt das Stück auch nach Männerstimmen. Das beste, was sich zu diesen sagen läßt, ist, dass der Tenor Jaroslav Brezina seine Aufgabe immerhin zufriedenstellend löst. Sein Tenor-Kollege Zdunikowski schafft es hingegen, den Gesamteindruck der Aufnahme dadurch zu gefährden, dass er die letzte Arie vor dem Schlußchor in übelster Weise misshandelt. Die sprudelnden Läufe quält er sich mühsam ab, so dass sie versickern, die Stimme wirkt eng und unnatürlich, nur knapp gelingt es ihm, mit dem Orchester Schritt zu halten.
Aber es kommt noch schlimmer und zwar in Gestalt von Markus Forster (Countertenor) und Ales Procházka (Bass). Countertenöre sind rar und die Nachfrage nach ihnen ist bekanntlich größer denn je. Aber: Darf deshalb jeder, der in der Badewanne mal einen hohen Ton zustande bringt, auf die Bühne und ins Plattenstudio?! Forsters Stimme ist dumpf und ohne jeden Glanz. Die Stimmtechnik kostet ihn soviel Konzentration, dass für eine angemessene Gestaltung der Partien kein Raum mehr ist. Zweimal hat er ein Duett mit Noémi Kiss zu absolvieren und wird dabei von dieser derart an die Wand gesungen (wozu nicht viel gehört), dass man fast schon Mitleid haben möchte. Im Booklet heißt es, Forster sei aufgrund seines "sanften Stimmtimbres für die Solopartien großer Oratorien und Kantatenwerke geradezu berufen" - Da lässt sich nur mit der Bibel entgegnen: "Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt." (Mt. 22, 14)
Selbst Forster aber darf sich noch rühmen, nicht der schlechteste zu sein. Denn dieses Prädikat kann Prochazka niemand streitig machen. Da wird jeder Ton gestemmt, als sei es ein 100kg-Gewicht. Die Luft in den Lungen reicht nie aus, ständig muss nachgeatmet werden, so dass vermutlich der Notarzt schon bereit stand. Alles klingt saft- und kraftlos und bei der Arie "Exsurge Providentia" konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, er singt die Läufe nicht, weil Zelenka das so vorgesehen, sondern weil ihn jemand gegen das Schienenbein getreten hat. Zu seiner Laufbahn lesen wir, dass er nach abgeschlossenem Gesangsstudium seine Studien derzeit in Den Haag bei Mario van Alten fortsetzt. Das sollte er noch einige Zeit tun, auch wenn man van Alten um seine Aufgabe nicht beneiden kann.
Stellt man in Rechnung, dass es sich um ein Schulspiel handelte, bei dem Schüler oder Absolventen des Jesuitengymnasiums auch die Solopartien sangen, mag eine gewisse Unprofessionalität authentisch sein. Jedoch: Man sollte es mit dem Bemühen um Authentizität nicht zu weit treiben und dadurch ein wundervolles Stück in Verruf bringen. Das haben weder Zelenka, noch der Rest der Mitwirkenden verdient.
Fazit: Wer musikalische Entdeckungen schätzt, wird an der Doppel-CD seine Freude haben, wer auf stimmlichen Feinschliff Wert legt, lässt besser die Finger davon.

Repertoire: 5 Punkte
Klang: 4 Punkte
Interpretation: 2 Punkte
Edition: 4 Punkte
Gesamt: 15 Punkte

Sven Kerkhoff
 

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