Musik an sich


 
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Johann Michael Haydn: Missa pro defuncto Achiepiscopo Sigismundo
(René Gailly)
Barock

 
Die kürzlich auf dem deutschen Markt erschienene Einspielung des Requiems vom jüngeren der Haydn-Brüder durch das belgische Label "René Gailly" musste zwar keine beklagenswerte Lücke im Schallplattenkatalog mehr schließen, seit sich H. Rilling schon 1989 durch eine Aufnahme bei "Hungaroton" des Werkes angenommen hat, doch ist sie weit mehr als jene (auch aufnahmetechnisch bescheidene) geeignet, als Werbung für das Stück und seinen Urheber zu dienen.
Die Totenmesse für den Salzburger Erzbischof von Schrattenbach entstand Ende 1771, einem für Michael Haydn zugleich persönlich vom Verlust geprägten Jahr, da kurz zuvor sein einziges Kind im Alter von nur einem Jahr verstorben war. Das mit Schrattenbach in Salzburg auch der die Kirchenmusik wohlwollend fördernde Geist der Stadt zu Grabe getragen wurde, wie W.A. Mozart an seinem Nachfolger Graf Colloredo nur allzu bald erfahren sollte, sei am Rande bemerkt. Mozart übrigens dürfte, wie sich an Parallelen in Aufbau und Tonartenwahl der Vertonung der Totenmesse ablesen lässt, das Werk Haydns gekannt und geschätzt haben. Der Grund hierfür lässt sich anhand der Neueinspielung nun ohne weiteres erfahren: Bei aller Konservativität handelt es sich um ein Stück, in dem tief empfundener Schmerz und hoffnungsvoller Glaube einen Ausdruck gefunden haben, der sich nahezu mühelos erschließt und zugleich in seiner Eindringlichkeit weit über die kirchenmusikalische Massenware jener Zeit hinausgeht.
Philippe Benoit ist nicht zuerst an der Dramatik des Werkes gelegen. Schon im Eingangssatz schlägt er statt dessen einen feierlichen, ruhigen Grundton an. Die dumpf klingenden Pauken scheinen schwer auf gesamten Stück zu lasten. Der Chor ist in der Aufnahme ein wenig in den Hintergrund gedrängt. Er zeigt sich aber intonationssicher und vor allem in den dialogisch gestalteten Einwürfen auch ausreichend kraftvoll. Dafür treten Solisten und Orchester in einer Weise hervor, die es ermöglicht, die kunstvolle Behandlung der Einzelstimmen und Orchesterteile zu verfolgen. Hier läßt die Aufnahme in technischer Hinsicht nichts zu wünschen übrig. Die Blechbläser bestechen dabei ein ums andere Mal durch außerordentliche Brillanz und Genauigkeit. Der Streicherapparat meistert problemlos die dankbare Aufgabe, den Reichtum der melodischen Einfälle darzulegen.
Von den Solisten seien der Baß Dirk Snellings und die Sopranistin Lena Lootens besonders hervorgehoben, die unaufdringlich die verschiedenen Stimmungen transportieren, ohne dabei ihre Kunstfertigkeit zu verstecken. Lena Lootens Stimme bleibt bis in die Höhen geschmeidig und zugleich wunderbar klar.
Getrübt wird der Gesamteindruck durch die an manchen Stellen wenig schlüssig wirkende Interpretation von Tempo und Dynamik: So geht durch ein zu sanftes "Confutatis" der Kontrast zum nachfolgenden "Oro supplex" leider verloren und die Flammen der Verdammnis verkommen zur "Sparflamme". Auch die zitternde Bewegtheit der Streicher im Offertorium beim Flehen um die Bewahrung vor dem Höllensturz hätte ein Mehr an Schärfe verdient gehabt.
Um so schöner formt Benoit die lyrischen Passagen und läßt das Werk schließlich überzeugend in einer getragenen Schlußfuge enden, den Gedanken der Zuversicht im Schlußakkord betonend.
Das gut halbstündige Requiem wird ergänzt durch ein weiteres Stück von Michael Haydn, die "Aria de Passione Domini". Leicht lässt sich an ihr Haydns Affinität zur Orgelmusik ablesen, denn der Orgel kommt nicht nur eine Begleitfunktion für die Sopran-Singstimme zu, vielmehr hat sie eine Reihe konzertanter Einschübe zu bewältigen.
Die Wiedergabe stellt das Werk in einer schlichten, ruhigen Innerlichkeit vor. Lena Lootens schafft es in Übereinstimmung damit, trotz der beachtlichen stimmlichen Anforderungen, dem ganzen einen fast liedhaften Ton zu geben. Ein Stück hörenswerter Passionsmusik abseits des bekannten Repertoires also.
Unerklärlicherweise endet die CD mit einer Komposition des jungen Puccini: "Crisantemi". Beliebt im Laienorchesterbetrieb nicht zuletzt wegen seiner hollywood-filmschnulzigen Süßlichkeit, deren Wirkung sich kein noch so hartgesottenes Konzertpublikum verschliessen kann. Das ist für sich genommen nicht weiter schlimm, nur: Was hat das auf dieser CD zu suchen?!? Das Booklet, welches ohnehin mehr Auskunft über die Künstler, als über die Musik gibt, gibt an, es komplettiere die CD durch dieses Puccini Stück "for a special occasion". Diese Aufnahme ist eine solche "occasion" gewiß nicht gewesen.
Da heißt es also: Den letzten Track mit Hilfe des CD-Players wegprogrammieren und dafür den Rest dieser musikalischen Entdeckungsreise genießen. Denn wenn auch insgesamt das Prädikat "mustergültig" übertrieben erschiene, handelt es sich doch um eine wertvolle Bereicherung für Katalog und Plattenschrank.

Repertoire: 5 Punkte
Klang: 4 Punkte
Interpretation: 3-4 Punkte
Edition: 2 Punkte

Sven Kerkhoff

15 von 20 Punkte
 

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