Bach, J. S. (Gorini, F.)

Die Kunst der Fuge


Info
Musikrichtung: Barock Klavier

VÖ: 02.09.2021

(Alpha / Note 1 / 2 CD / DDD 2020 / Best. Nr. Alpha 755)

Gesamtspielzeit: 97:17



MEDITATIVER PARCOURS

J. S. Bachs spätes kontrapunktisches Laboratorium „Die Kunst der Fuge“ wird unter den Fingern des jungen italienischen Pianisten Filippo Gorini zu einem meditativen Parcours der Entschleunigung: Mit konzentrierter Ruhe folgt der Künstler den sich immer weiter verkomplizierenden Strukturen, die der Komponist aus dem so einfachen Grundthema und seinen Erweiterungen gewinnt. Bach demonstriert gerade in diesem unvollendeten Zyklus nicht nur seine Meisterschaft, komplexeste Satzgebilde zu schaffen, sondern schmilzt hier zugleich alle Möglichkeiten barocken Musizierens ein und macht aus den Kontrapunkten spekulative Konzerte oder abstrakte Madrigale, die ein ganzes Universum in sich bergen. So gesehen passt es, dass Bachs Fähigkeit, den Stil seiner Zeit zu transzendieren, mit einer modernen Interpretation auf dem Klavier beantwortet wird: Dieses Instrument ist auf gewisse Weise neutral und gerade dadurch ungemein wandlungs- und anpassungsfähig.

Gorinis Ansatz ist angenehm unprätentiös, aber bei aller Zurückhaltung entschieden: Er nutzt die dynamischen Möglichkeiten seines Flügels zurückhaltend aus, um die Stimmverläufe mit ihren Spannungs- und Ruhepunkten subtil zu modellieren und das Lyrische und Sangliche in den Vordergrund zu stellen. Das klingt manchmal regelrecht zärtlich, wie beim „Canon per Augmentionem in Contrario Motu“, nachgerade ein verliebtes Duett. Wer hätte das bei dieser Musik, die doch immer auch von einer etwas strengen, auch akademische Aura umgeben ist, erwartet!

Statt demonstrative kontrapunktische Schwerstarbeit vor Publikum zu leisten, wird die Musik bewusst nach innen gespielt und der Pianist hört ihr zu, während sie unter seinen Fingern Gestalt gewinnt. „Contrapunctus 1“ klingt zu Beginn geradezu schüchtern auf, die Musik darf zunächst einfach nur in all ihrer Schönheit da sein, steigert sich dann aber aus sich selbst heraus, durch das Hinzutreten weiterer Stimmen und ihrer „Durchführung“. Die Beweglichkeit, der Drang nach vorne, entsteht so ganz von selbst, als natürlicher musikalischer Prozess: Eile mit Weile (aber eben nicht mit „Langeweile“!).

Hin und wieder kann Gorini aber auch rasch und virtuos zur Sache kommen, wenn es der Musik entspricht – er ist eben doch in erster Linie Musiker, kein Konzept-Künstler. Dafür ist Bachs Kosmos aus Fugen und Kanons am Ende eben auch zu vieldimensional. Die fokussiert-ruhige Grundhaltung bleibt freilich auch in solchen Momenten gewahrt und steht zur Musik in einer gewissen Spannung. Wenn aber schließlich die finale unvollendete Fuge einfach ins Leere läuft, gerät das Gorini auf bestürzende Weise unpathetisch, so als wollte er ganz nebenbei zeigen, dass auch ein Fragment vollkommen sein kann. Und das ist es ja auch.

Im Booklet dankt der Pianist dem Borletti Buitoni Trust, dessen Stipendium ihm während der Corona-Pandemie die Arbeit an der „Kunst der Fuge“ ermöglichte (eine umfangreiche Dokumentation dazu entsteht auf der Website www.TheArtOfFugueExplored.com). Statt einer Werkeinführung gibt es dann noch arg verquaste Gedichte und Haikus Gorinis – da halte man sich besser nur an seine schöne Einspielung!



Georg Henkel



Besetzung

Filippo Gorini, Klavier


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