Welcome inside the Brain

Celebrate the Depression


Info
Musikrichtung: Psychedelic Rock / Progrock

VÖ: 01.11.2017

(Nasoni)

Gesamtspielzeit: 43:20

Internet:

http://www.welcome-inside-the-brain.com


Eine mit einem relativ düsteren Comic-Cover ausgestattete CD namens Celebrate The Depression, die es mit sechs Songs auf 43 Minuten Spielzeit bringt – die Vermutung, Welcome Inside The Brain seien eine Doomband, besäße gewichtige Argumente, entpuppt sich allerdings beim Hineinhören in den eröffnenden elfminütigen Titeltrack schnell als Trugschluß. Wir bekommen nämlich statt dessen Psychedelic Rock zu hören, versehen mit einer starken Siebziger-Rock- und auch Siebziger-Prog-Schlagseite, und wer mit der Bandgeschichte vertraut ist, dem dürfte die einleitende These sowieso spanisch vorgekommen sein, hieß die Band doch früher mal Hippie Langstrumpf, bevor sie einsah, dass dieser Name sie automatisch in eine humoristische Ecke drängen und sie auf diese limitieren würde. Ergo wählte das Quintett anno 2015 den neuen Namen Welcome Inside The Brain, der nicht zufällig entfernte Reminiszenzen an Pink Floyd anklingen läßt, wenngleich deren „Welcome To The Machine“ mit seinen – nomen est omen! – maschinell angehauchten Klängen nun gerade wenig Spuren im über weite Strecken äußerst organisch wirkenden Sound von Welcome Inside The Brain hinterlassen hat. Aber wenn das Trackdoppel „Snails On Speed/Buddha In A Bottle“ mit einer Art Mixsound aus Pink Floyd und Deep Purple anhebt, dann wird schnell klar, dass Welcome Inside The Brain einerseits einflußtechnisch nicht im luftleeren Raum schweben, andererseits aber durchaus in der Lage sind, aus ihren Einflüssen etwas Eigenes zu erschaffen – und der Humor ist auch noch vorhanden, wie der erste Teil des Songtitels bereits assoziiert, wenngleich sich in der Musik selbst kaum explizit humoristisch anmutende Elemente finden und der Clown in der düsteren Volksmenge auf dem Cover auch nicht gerade als solches durchgeht. Der darf dafür offenbar eine Inspirationsquelle für die drittplazierte Bandhymne abgeben, die von zirkusartigen Klängen geprägt wird, welchselbige freilich einen reichlich bittersüßen Ausdruck besitzen und daher einen ähnlich ironisch-hintergründigen Charakter aufweisen dürften wie die Zirkuselemente in der Musik von Dmitri Schostakowitsch. Dass das Bandlogo die Form eines Zylinders annimmt, paßt hier genauso ins Bild wie der extrovertiert-überdrehte Gesang von Frank Mühlenberg, der ans Hysterische grenzt und sich von den in den zuvor gehörten Songs eher ruhigen und im besten Sinne als normal zu bezeichnenden Vocals markant abhebt.
Möglicherweise, so könnte der Hörer vermuten, liegt hier allerdings auch eine bestimmte Entwicklung der Band zugrunde. „Welcome Inside The Brain“ zählt nämlich bereits zu den älteren Kompositionen des Quintetts und war bereits auf der selbstbetitelten 2015er EP vorhanden. Ob es sich um die gleiche Einspielung handelt, kann nur der Besitzer beider Tonträger entscheiden – die 2015er Fassung jedenfalls ist eine halbe Minute kürzer, während „Tears Of The Past“, der andere ebenfalls auf beiden Tonträgern vorhandene Song, hier wie dort die gleiche Länge aufweist und der dritte EP-Song „I Killed J.L.“, wobei sich hinter dem Mordopfer John Lennon verbirgt, nicht auf Celebrate The Depression übernommen wurde. Dafür koppelt das dort stehende „Ugly Beauty“ den expressiven und den „normalen“ Gesangsstil über eher „normal“ anmutenden instrumentalen Passagen, wobei sich der „normale“ Gesang wie auch bei seinen sonstigen Einsätzen irgendwo auf halbem Wege zwischen Frank Bornemann und Greg Lake bewegt, tendenziell etwas näher an erstgenanntem, aber mit deutlich ausgeprägterem Melodiehaltevermögen als dieser. Letzteres kommt freilich nicht immer zum Einsatz: „Revolution“ wandelt sich von der Halbballade mit Streichereinsätzen von Violine und Violoncello bald in ein nervös-verzweifeltes Stück, in dem der Sänger fast an einen der Protagonisten aus der Melancholie-Hardcore-Bewegung erinnert, also etwa Keith Caputo in frühen Life-Of-Agony-Zeiten. Das macht Welcome Inside The Brain zweifellos eigenständiger, aber auch sperriger und wird vermutlich nicht jedem Hörer gefallen, könnte allerdings gerade live einen speziellen Aspekt zum Reiz der Band addieren, wenn man den Sänger nicht nur leiden hört, sondern ihm bei dieser Darbietung auch noch zusieht. Bei der Gelegenheit kann man dann auch gleich noch einen weiteren Originalitätsfaktor der Band in Augenschein nehmen: Paul Lapp spielt der Besetzungsliste nach keine Baßgitarre, sondern einen Kontrabaß. Das bedeutet auf der Tonkonserve keinen epochalen Soundunterschied, könnte live aber durchaus interessant werden.
Das bereits genannte „Tears Of The Past“ schließt das Album ab – mit reichlich neun Minuten der zweite Longtrack des Albums, unterstützt es die Theorie, die älteren Songs könnten auch die humortechnisch wirreren und diesbezüglich expressiveren sein, nicht: Zwar beginnt es mit wilder atonaler Kakophonie, entwickelt sich allerdings dann zum kleinen Bruder des eröffnenden Titeltracks – klassischer Progrock mit ellenlangen Instrumentalabfahrten, stark dominiert von Johann Fritsches Hammondorgel, temposeitig durchaus nicht eintönig, aber doch generell fließend und ohne globale Brüche in Szene gesetzt. Diese beiden Songs eignen sich damit für den klassischen Progrockhörer am ehesten als Appetizer für das Welcome-Inside-The-Brain-Debüt, während derjenige, der die psychedelische Seite stärker gewichtet sehen möchte, mit den vier Binnensongs die bessere Anspielwahl trifft. Trotzdem sollte die Dualität nicht als Gegensatz begriffen werden – Welcome Inside The Brain schaffen es problemlos, das Werk wie aus einem Guß klingen zu lassen. Gut produziert ist es außerdem noch, und so sollten die Sachsen-Thüringen-Brandenburg-Grenzgänger (dass der Drummer so heißt wie der Namenspatron der einstigen Leipziger Theaterhochschule, dürfte freilich Zufall sein) Freunden der beschriebenen Klänge zumindest einen Hörtest wert sein.



Roland Ludwig



Trackliste
1Celebrate The Depression 11:11
2 Snails On Speed/Buddha In A Bottle 5:31
3 Welcome Inside The Brain 4:51
4 Ugly Beauty 6:46
5 Revolution 5:34
6 Tears Of The Past 9:12
Besetzung

Frank Mühlenberg (Voc)
Georg Spieß (Git, Voc)
Johann Fritsche (Keys, Voc)
Paul Lapp (Double Bass, Voc)
Hans Otto (Dr, Voc)


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