Musik an sich


Reviews
Bach, J. S. (Häkkinen)

Cembalokonzerte Vol. I


Info
Musikrichtung: Barock Konzert

VÖ: 25.05.2012

(Aeolus / Note 1 / SACD hybrid / 2012 / Best. Nr. AE-10057)

Gesamtspielzeit: 65:00



VARIETAS DELECTAT!

Mit seiner Einspielung der Goldberg-Variationen hatte Andreas Staier vor einiger Zeit das Eis für das Cembalo mit einem tiefen 16-Fuß-Regeister gebrochen (Rezension). Obschon es zu J. S. Bachs Zeiten von Thüringen bis Hamburg ein verbreitetes Instrument war, galt es doch lange Zeit als dekadentes Zeugnis für eine aussterbende Spezies, die versuchte, sich mit immer bizarreren Klangzusätzen gegenüber dem aufstrebendem Fortepiano zu behaupten.
Jetzt zeigt Aapo Häkkinen zusammen mit dem solistisch besetzten Helsinki Baroque Orchestra, wie ein solches Bass-Booster-Cembalo sich im Ensemble ausnimmt. Wie bei Staier stammt das Instrument im Original aus der Hass-Werkstatt, wurde aber dieses Mal aber nicht von Heinrich, sondern von dessen Sohn Johann Adolph 1760 verfertigt und verfügt über zahlreiche Extra-Register. 1970 fertigten Frank Rutkowski und Robert Rubinette in New York eine Kopie an, die auch auf dieser Aufnahme zu hören ist.

Häkkinen und seine MitstreiterInnen verfechten kein neues „So-und-nicht-anders-klingt-Barock-Dogma“, sondern spiegeln mit ihrer Interpretation schlicht eine weitere Facette aus der bunten Musikwelt des Spätbarock, die noch keine Normbesetzungen kannte, sondern nur regionale Besonderheiten. In einem Interview auf www.klassik.com kritisiert Häkkinen die Tendenz zum Einheitsklang in der heutigen Musikwelt. So ist seine neue Produktion mit Bachs Cembalokonzerten auch dazu gedacht, eingeschliffene Hörgewohnheiten zu überprüfen.
Die Minimalbesetzung machte aus den Konzerten eine Art Cembalo-Sextett, wäre da nicht noch eine Truhenorgel im Continuo. Deren Grundierung freilich bleibt diskrekt und rundet den herben, auch mal drahtigen Klang des Orchesters an den Ecken und Kanten ab. Das starke Bassfundament lässt das Cembalo plastisch hervortreten. Was der Musik aufgrund der Besetzung an flächiger Brillanz und Weiträumigkeit verloren geht, gewinnt sie an klanglicher Differenzierung. Selten hört man bei anderen Besetzungen so viele schöne Details, farbliche Akzente und dynamische Abstufungen, gleichzeitig klingt alles noch homogen genug, dass die Solo-Tutti-Wechselspiele kenntlich bleiben. Die Stücke wirken dadurch noch dichter und abwechslungsreicher, sind auch nach mehrmaligem Abspielen nicht ausgehört. Eine Wiederholung ist bei dieser Interpretation eben nicht einfach nur eine Wiederholung, sondern eine subtile Variante. Varietas delectat! Herrlich geraten die kontrapunktischen Muster die im Konzert Nr. 2 BWV 1053 im 1. Satz von den Beteiligten immer wieder anders gewoben werden; regelrecht modern wirken die fein schattierten Pizzicato-Effekte im langsamen Satz von Konzert Nr. 5 BWV 1056.
Bemerkenswert sind auch die Tempi: flüssig, aber nicht hastig geht es zur Sache, so kann sich der rhetorische Reichtum der Musik entfalten. Die Biegsamkeit verleiht den ruhigen Mittelsätzen, bei denen ein Cembalo auch schnell etwas dürr und zirpig klingen kann, die nötige Sanglichkeit.

Das Hass-Cembalo verfügt über einen Lautenzug, von dem Häkkinen in den Konzerten sinnigen Gebrauch macht. Auch im Italienischen Konzert BWV 971 für Solo-Cembalo kann man den Lautenzug im 2. Satz in der Unterstimme hören, darüber schwebt die funkelnde Melodielinie im „normalen“ Cembaloton. Hier ist der Aufnahmeort kein Konzertsaal wie bei den drei Konzerten, sondern eine Kirche. Die reifere Akustik bringt die quasi-orchestrale Klangfülle des Instruments prächtig zur Geltung. Man meint mitunter, zwei Instrumente zu hören. Häkkinen erweist sich auch hier als erstklassiger Interpret, wenn es ihm gelingt, den beziehungsreich verflochtenen Satz mit italienischem Feuer darzubieten und zugleich alle Details herauszuarbeiten. Eine bemerkenswerte Produktion, die große Lust auf die nächste Folge macht. Ob im Rahmen dieser Edition wohl auch noch das 5. Brandenburgische, das Tripelkonzert und BWV 1058 auf dem Programm stehen werden?



Georg Henkel



Trackliste
01-03 Concerto Nr. 1 BWV 1052 22:00
04-06 Concerto Nr. 2 BWV 1053 20:30
07-09 Concerto Nr. 5 BWV 1056 9:35
10-12 Concerto nach Italienischem Gusto BWV 971 12:55
Besetzung

Aapo Häkkinen: Cembalo nach J. A. Hass

Helsinki Baroque Orchestra



Zurück zur Review-Übersicht
 >>