Musik an sich


Reviews
Pécou, Th. (Tharaud)

L’Oiseaux innumerable u. a.


Info
Musikrichtung: Neue Musik Klavier

VÖ: 13.06.2008

(harmonia mundi / harmonia mundi / CD DDD 2007 / Best. Nr. HMC 901974)

Gesamtspielzeit: 64:02



DURCHWACHSEN

Thierry Pécous Klavierkonzert L’Oiseaux innumerable wurde im vergangenen Jahr in Paris erfolgreich uraufgeführt und heimste gleich den Großen Kritikerpreis für die „beste musikalische Neuschöpfung“ ein. Es überzeugt durch die klare Disposition der vier Sätze: Über sonoren Blech- und Pauken-Einsätzen schlägt der erste Satz virtuose Kapriolen. Klavier und dichter Orchestersatz sind eng miteinander verwoben und doch haftet der Musik nichts Schwerfälliges an. Unablässig strömen, wirbeln und gleiten die kunstvoll ausbalancierten Stimmen dahin.
Nach diesem Sprint bleibt im 2. Satz das Klavier zunächst allein mit einer markigen rhythmischen Figur in den tiefen Lagen zurück. Der Flügel lässt im wahrsten Sinne die Muskeln spielen und das Ohr des Hörers verbleibt in ständiger Spannung, wohin sich die Energie entladen wird. Der Satz endet in einer blitzartig kurzen Kadenz der Holzbläser, die zum nächsten Satz überleitet.
Dort zieht sich das Klavier auf einige mehr perkussive Gesten zurück. Mit langsamen Puls und in düster-verhaltener Stimmung gestaltet das Orchester diesen Abschnitt, ein echtes misterioso, bis der vierte Satz die unterschiedlichen Ebenen, das rhythmische Motiv des 2. und die so unterschiedlichen Energien der anderen Sätze, in einer abschließenden Synthese zusammenführt.
Pécous Konzert überzeugt durch Sinnlichkeit und klangliche Logik. In Alexandre Tharaud hat es einen überzeugenden Solisten, dem die fein ausgearbeiteten Passagen des Konzerts ebenso gut in den Fingern liegen wie die aggressiveren rhythmischen Elemente. Organisch gerät auch das Zusammenspiel mit dem Ensemble orchestral de Paris (Leitung: Andrea Quinn).

Gemischte Gefühle haben bei mir die reinen Klavierwerke Pécous hinterlassen. Bei Outre-mémoire, variances handelt es sich um eine Klavier-Suite, die der Komponist aus seinem gleichnamigen Kammermusikwerk destilliert hat. Die Musik reflektiert über die Tragödie des transatlantischen Sklavenhandels und ist eigentlich Teil einer multimedialen Installation, zu der der Künstler Jean-François Boclé ein Werk beigesteuert hat (es findet sich abgebildet im Beiheft). Mit dem Klavier allein geht trotz der angedeuteten ethnomusikalischen Verbindungen der programmatische Zusammenhang verloren. Die Sätze besitzen auch nicht immer die gleiche innere Bündigkeit. Aphoristisches und Skizzenhaftes steht neben formal zwingenden Entfesselungen rhythmischer und expressiver Energie.
Einen noch loseren – oder, wenn man so möchte: improvisiert-entspannten – Eindruck hinterlässt das Petit Livre pour clavier, das Tharaud, den Intentionen Pécous folgend, auf alten Tasteninstrumenten spielt. Das klingt hübsch anachronistisch, bleibt mir aber auch zu sehr im Ungefähren. Gelungen dagegen die Rameau-Anspielung Après Rameau, une sarabande?, die nicht die Gestalt, sondern eher die Atmosphäre eines Stücks aus der Feder des großen französischen Barockmeisters beschwört.
Tharaud liefert als abschließende Zugabe das historische Original aus den 1728 publizierten Nouvelles Suites und demonstriert hier erneut seine Fähigkeit, die filigrane Clavecin-Kunst des 18. Jahrhunderts für den großen Flügel zu adaptieren.







Besetzung

Alexandre Tharaud: Klavier, Orgelpositiv, Spinett, Clavicord

Ensemble orchestral de Paris

Andrea Quinn: Leitung


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