Musik an sich


 
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Sonatori de la Gioiosa Marca - Erato
(Warner)
Barock

 
Ludwig XIV. und sein Hof tanzten zu seinen suggestiven Rhythmen. Und selbst Johann Sebastian Bach verwendete ihn für eine Arie in einer seiner weltlichen Kantaten. In der barocken Schlagerparade rangierte die Folia seit dem 17. Jahrhundert unter den Top Ten. Das Lärmen verkleideter Tänzer, ihre wilden, ekstatischen Bewegungen zu Kastagnetten und anderen Instrumenten bewogen Sebastián de Corvarrubias 1611 zu der Bemerkung, das man den Eindruck haben könnte, die Ausführenden hätten den Verstand verloren: "Der Tanz erhielt den Namen follia nach dem toskanischen Wort folle, das eitel, verrückt, von Sinnen bedeutet bzw. jemanden bezeichnet, der einen leeren Kopf hat." Ein irrer Ohrwurm also im wahrsten Sinne des Wortes, der seinen Weg unaufhaltsam von der Straße, aus den Spelunken und Bordellen in die Hof- und Kunstmusik genommen hat. Von Spanien ausgehend hat das Folia-Fieber erst Italien und später das übrige Europa infiziert. Für den stets unter hohem Produktionsdruck stehenden barocken Komponisten bot er die Gelegenheit zu raffinierten, effektvollen und extrem virtuosen Variationen - oder auch elegant versonnenen Klängen: eine akustische Visitenkarte mit Erfolgsgarantie.
Das renommierte italienische Ensemble Sonatori de la Gioiosa Marca präsentiert bei seinem neuesten Streich einen Querschnitt durch die italienische Folia. Der Bogen reicht von eher unbekannten Meistern wie Andrea Falconiero bis hin zu Antonio Vivaldi mit seinem offenbar unverwüstlichen Beitrag. Die Besetzung mit zwei barocken Violinen, Cello, Laute, Gitarre und diversen Tasteninstrumenten mutet zunächst etwas spartanisch an, entfaltet dann aber dank der einfallsreichen Interpretationen über 60 Minuten ungeahnte klangfarbliche Reize. Wie man auch ohne Schlagzeug aus Violine und Cembalo echte Drums macht, kann man bei den Bandmitgliedern der Sonatori lernen. Und ebenso, dass Ekstase und Melancholie hier lediglich zwei Seiten derselben Medaille sind. Das ergibt mitunter Musik, die selbst für avandgardegestählte Ohren erstaunlich kühn daherkommt. Durch solistische Einlagen der Musiker und die Kombination mit verwandten Tänze wie Passacallia und Ciaconnia kommt es zudem nicht zu akustische n Ermüdungserscheinungen. Wenn Giorgio Fava und Roberto Falcone mit ihren Kollegen dann zum finalen Loop ansetzen, steigt selbst noch bei diesem Wetter die Raumtemperatur. Nicht nur was für warme Tage.

Repertoire: offenbar unerschöpflich (4 Punkte)
Klang: voll, brillant und sehr präsent (5 Punkte)
Interpretation: mitreißend (5 Punkte)
Präsentation: mehrsprachiges Beiheft mit ausführlichen Kommentaren zu Komponisten und Interpreten (5 Punkte)

Georg Henkel

19 von 20 Punkte
 

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