Exaltierter Eklektizismus: Die Schule für Dichtung Wien untersucht Falco’s Many Languages




Info
Autor: Christian Ide Hintze (Hrsg.)

Titel: Falco’s Many Languages

Verlag: Residenz Verlag

ISBN: 978-3-7017-3183-1

Preis: € 19,90

144 Seiten

Internet:
http://www.residenzverlag.at

1987 erschien bei Amiga, dem staatlichen Plattenlabel der DDR, eine sogenannte Quartett-Single (heute würde man Vier-Track-EP dazu sagen) von Falco – eine seinerzeit übliche Praxis, wenn der Monopolist den DDR-Konsumenten mal etwas internationales Flair gönnen wollte, aber die Lizenzierung und/oder Fertigung einer vollen LP das Budget bzw. die technischen Kapazitäten gesprengt hätten. Auf der nicht allzulange nach Erscheinen auch im hiesigen Haushalt eingezogenen Scheibe enthalten waren die Songs „The Sound Of Music“ (sic!), „Tango The Night“, „Vienna Calling“ und natürlich „Rock Me Amadeus“, und dem Damals-Noch-Nicht-Rezensenten, der erst 1988 Englisch zu lernen begann (das war in der DDR ab der 7. Klasse üblich, sofern man nicht besondere Sprachschulen besuchte), fiel der eigentümliche Mix aus deutschen und englischen Vokabeln in den Texten sofort auf – das machte die Mucke noch über ihren „westlichen“ (obwohl streng geographisch ja eigentlich südlichen) Charakter hinaus interessant und cool. Trotzdem kam es, nachdem die politische Wende in der Theorie die weitergehende Beschäftigung mit dem Werk von Johann Hölzel aka Falco ermöglicht hätte, zu keinem tieferen Eindringen in diesen Komplex, wenngleich sich die Songkenntnis natürlich trotzdem schrittweise erweiterte und auch Nummern wie „Der Kommissar“ längst den Weg ins Langzeitgedächtnis des Mittlerweile-Rezensenten gefunden haben.

In Österreich ist Falco auch lange Zeit nach seinem Ableben noch voll im kulturellen Leben präsent, und im Jahr seines 10. Todestages organisierten der ORF und die Schule für Dichtung (SfD) Wien auf Anregung des Literatur- und Sprachwissenschaftlers Wendelin Schmidt-Dengler am 18. Februar 2008 ein Symposion unter dem Titel Falco’s Many Languages, auf dem sich Germanisten (im weitesten Sinne) mit verschiedenen Aspekten in den Lyrics Falcos befaßten. Im Folgejahr gab SfD-Chefdenker Christian Ide Hintze unter Mitarbeit von Peter Ernst zunächst die kompletten Texte der Falco-Songs als Lyrikband heraus, so dass unter dem Titel Falco: Lyrics Complete eine Referenzausgabe vorlag. Abermals ein Jahr später erschienen acht Beiträge des Symposions in Buchform unter dem gleichen Titel wie die 2008er Veranstaltung, gehüllt übrigens in ein ebenso simples wie aussagekräftiges Cover: Um in Österreich die Assoziation „Falco“ zu wecken, bedarf es offensichtlich nicht mehr als dessen goldener Sonnenbrille, wobei als Orientierungshilfe allerdings auch der Buchtitel obendrüber zu lesen ist.

Neben Hintze selbst, der auch für diese Publikation als Herausgeber verantwortlich zeichnet, sind im Buch Günter Zimmermann, Ulrike Kramer, Martin A. Hainz, Klaus Kastberger, Alice Bolterauer, Christiane M. Pabst und Peter Ernst vertreten – schrägerweise wird Pabsts Beitrag im Inhaltsverzeichnis allerdings vergessen. Die hochspannende Frage besteht freilich sowieso eher darin, ob die von nahezu allen Autoren thematisierte Mehrsprachigkeit tatsächlich zu verschiedenen Deutungen oder zumindest zu verschiedenen Betrachtungsblickwinkeln führen kann – und obwohl sich naturgemäß auch noch so manches Textbeispiel in verschiedenen Beiträgen wiederfindet, kann man diese Frage durchaus bejahen, denn da geht neben (natürlich) klassischen sprachwissenschaftlichen Methodiken auch mancherlei anderes in die Analysen ein, von Systemtheorie (ja, Luhmann im Beitrag von Alice Bolterauer) bis zur Gestik (Hintze selbst bringt in seinem eigenen Beitrag u.a. Bewegungsmuster aus Falco-Videos zur Untersuchung und setzt sie mit den Lyrics in Beziehung). Und die Autoren sind sich in den Wertungen auch keineswegs einig. Da behauptet der eine, Falcos Sprachmix sei von demjenigen Ernst Jandls (der in Österreich mehr oder weniger „Volksgut“ darstellt) beeinflußt, was der andere aber abstreitet – und beide Positionen sind durchaus nachvollziehbar, wenn man die jeweiligen Argumentationen heranzieht. Hier schmunzelt man beim Lesen unwillkürlich und bekommt zugleich eine Ahnung, wie Geisteswissenschaft per se funktioniert. Hochinteressant ist etwa auch der Aspekt, wie sich gleich mehrere Autoren Gedanken machen, warum es in „Rock Me Amadeus“ folgendermaßen heißen mußte:
„Er war Superstar
Er war populär
Er war so exaltiert
Because er hatte Flair.“

Das singuläre englische Wort fällt natürlich auf den ersten Blick auf und gibt in etlichen Beiträgen Stoff für Überlegungen und Deutungen ab, wobei kurioserweise keiner der Wissenschafter die simpelste Variante auch nur anreißt: Für den Flow in der Passage brauchte Falco ein zweisilbiges Wort, alle deutschen Varianten hätten indes nur eine Silbe oder aber (bei Einfügung eines Füllwortes) eine „verdrehte“ Struktur gehabt und so den Flow an dieser Stelle zerstört – es könnte sich also um simplen Pragmatismus gehandelt haben. Noch ein weiterer Aspekt, warum Hölzel so exaltiert Deutsch (und dort auch noch Hochdeutsch und diverse österreichische Regionalvarianten), Englisch und vereinzelt weitere Sprachen mixte, kommt erstaunlicherweise nirgendwo zur Sprache: Falcos Solokarriere begann in den frühen Achtzigern, und obwohl Udo Lindenberg die deutsche Sprache in der Rock- und Popmusik seines Heimatlandes schon während der Siebziger mehrheitsfähig gemacht hatte (in Österreich war diese Entwicklung gleichfalls abgelaufen, wenngleich mit anderen Protagonisten: Wolfgang Ambros, Georg Danzer und Rainhard Fendrich tauchen in diesem Kontext in Günter Zimmermanns Beitrag auf), pflegten Versuche, mit deutschsprachiger Musik internationale Hits zu landen, krachend zu scheitern und mit dem Verdikt der Provinzialität gebrandmarkt zu werden – Falco aber wollte internationalen Erfolg, und sein sprachlicher Eklektizismus öffnete ihm da so manche Tür, die bei „Sprachreinheit“ verschlossen geblieben wäre. Nicht ohne Grund schaffte es „Rock Me Amadeus“ als bis heute einziger zumindest partiell deutschsprachiger Song auf Platz 1 der US-Charts, und gleichfalls nicht ohne Grund war Falco neben der Ersten Allgemeinen Verunsicherung der einzige österreichische Künstler, der sich in Deutschland auch nördlich des Weißwurstäquators schnell einer stabilen Popularität erfreute (ein Status, für den etwa Hubert von Goisern viele Jahre kleinteiliger Aufbauarbeit gebraucht hat – und der Erfolg der EAV hatte andere Gründe), während man bei anderen Größen des österreichischen Musikbusiness in Nord- und Mitteldeutschland eher verständnislos den Kopf zu schütteln pflegte und pflegt. Falco galt in diesem Kontext eben nicht als Österreicher, sondern als Bestandteil der internationalen Musikwelt und hatte als solcher einen Status, den er mit Texten ausschließlich in wahlweise Hochdeutsch, Schönbrunner oder einem x-beliebigen anderen österreichischen Deutsch nie erlangt hätte.
Daß keiner der Autoren diesen („kommerziellen“) Aspekt anführt (oder zumindest mehr als andeutet), gereicht dem Buch freilich nicht zum Nachteil, denn dort bekommt man dafür zahlreiche andere Gedankenanstöße. Auf dem Symposion wurden die zitierten und behandelten Falco-Texte als Songausschnitte direkt angespielt – diese Möglichkeit entfällt in der Buchform natürlich, aber auch wer keine komplette Hölzelsche Tonträgersammlung besitzt, kann sich ja bei Youtube oder anderen Streaming-Diensten das betreffende Beispiel zum Eigenstudium problemlos beschaffen und dann selbst entscheiden, ob er mit den angebotenen Deutungen d’accord geht oder den einen oder anderen Autor auch mal übers Ziel hinaus geschossen wähnt. Materialseitig bleiben sowieso noch diverse Unklarheiten offen, mit denen Hintze schon im Vorwort offensiv umgeht: Hat Hölzel die Songtexte außerhalb von als solche benannten Kooperationen tatsächlich alle im Alleingang geschrieben, und falls nicht, wer hat daran alles mitgearbeitet? Zumindest Falco-Manager Horst Bork hat nach eigener Aussage jedenfalls etliche der Songtexte geschrieben, und er könnte durchaus nicht der einzige sein (von der Quantifizierungsfrage bei den Gemeinschaftsarbeiten mal ganz abgesehen), so dass sich noch einmal eine etwas veränderte Gemengelage ergäbe, die freilich am Grundbild wenig rütteln dürfte. Man bekommt beim Lesen jedenfalls auch als Nicht-Germanist den einen oder anderen interessanten Gedankenanstoß, und sei es, dass man dem jeweiligen Autor vehement zu widersprechen gedenkt, so wie der Rezensent dem Herausgeber, der als erstes von etlichen Beispielen („Verbindungslinien“) in seinem eigenen Text einen gleichfalls wild zwischen mehreren Sprachen hin- und herspringenden Brief Wolfgang Amadeus Mozarts an seine Schwester Nannerl anführt, ohne freilich mit auch nur einer Silbe darauf einzugehen, dass wir uns hier im Bereich der Privatkorrespondenz befinden, Falcos Texte hingegen für die Öffentlichkeit bestimmt waren ... Und noch ein Detail am Rande, falls sich im ersten Absatz jemand über das „(sic!)“ hinter dem auf den ersten Blick durchaus nicht inkorrekten Songtitel „The Sound Of Music“ gewundert haben sollte: In genau dieser Variante steht der Titel auf der erwähnten Quartett-Single, aber damals ist irgendwo auf dem Kommunikationsweg vom Lizenzgeber bis zum Preßwerk scheinbar ein Übermittlungsfehler passiert, denn Falcos Originalschreibweise, auf die beim Symposion natürlich auch eingegangen wurde, lautet in diesem Fall „The Sound Of Musik“.
So ergibt sich in summa ein durchaus nicht nur für Germanisten interessantes Buch, dessen Lektüre speziell für den mit Falcos Werk zumindest grundsätzlich Vertrauten so manchen interessanten Neublickwinkel eröffnen könnte. Leider muß man zu diesem Behuf in einen relativ sauren Apfel beißen: Die SfD (an der übrigens in den Neunzigern auch Falco selbst mal ein Seminar gab) huldigt einer Kleinschreibung, die in ihrer Radikalität noch weit über das hinausgeht, was man beispielsweise als Grundprinzip aus dem Englischen kennt. Hier wird wirklich konsequent alles klein geschrieben, auch Satzanfänge, Eigennamen etc., und das führt zu einer sehr schwierigen Lesbarkeit der Texte und strengt beim Lesen enorm an, was sicherlich nicht nur am Gewöhnungseffekt liegt. Falco selbst war zwar auch ein Freund der Kleinschreibung, aber diesbezüglich alles andere als ein Dogmatiker wie Herausgeber/SfD-Chef Hintze, was diverse im Buch abgebildete Dokumente beweisen – er ging ganz im Gegenteil sehr kreativ mit den Möglichkeiten von Groß- und Kleinschreibung um und sah keinen Grund für die konsequente Verwerfung von Großbuchstaben. Hier im Buch dagegen atmet das Auge förmlich auf, wenn es mal einen vom Korrektor übersehenen großen Satzanfang entdeckt oder (als große Ausnahme) einige Zitate hauptsächlich in den Fußnoten tatsächlich in originaler, heißt groß-kleiner Orthographie erscheinen. Wie das im ebenfalls von der SfD herausgegebenen Lyrics-Band (der übrigens auch so eine Sonnenbrille auf dem Cover hat, allerdings in anderer Farbumgebung) gehandhabt wird, ist dem Rezensenten nicht bekannt – aber hier im Symposions-Band hat es ihn, als er das Werk (übrigens im Österreich-Urlaub) las, nachhaltig gestört, und er vermutet, dass es nicht wenige potentielle Interessenten geben wird, die das Buch nach den ersten 20 Seiten entnervt aus der Hand legen, wenngleich man als Germanist heutzutage diesbezüglich sowieso mit einem relativ dicken Fell ausgestattet sein muß, wenn man betrachtet, was einem da so mancher Autor vorsetzt ...


Roland Ludwig



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