Musik an sich


Reviews
Händel, G. F. (Loy)

Theodora


Info
Musikrichtung: Barock Oratorium (Oper)

VÖ: 09.05.2011

(Unitel Classica / Naxos / 2 DVD / live 2010 / Best. Nr. 705708)

Gesamtspielzeit: 189:00



SEELENDRAMA

G. F. Händels Oratorium Theodora ist ein sublimes Spätwerk. Das Drama um die tugendhafte Christin Theodora, die für ihren Glauben auf dem Scheiterhaufen stirbt, hat der Komponist fast ganz nach innen verlagert. Entsprechend ist die Musik in großen Teilen introspektiv und kontemplativ. 1996 hat William Christie das Werk in Glyndebourne mit einer exzellenten Besetzung und in der stilisierten Inszenierung durch Peter Sellars entsprechend interpretiert (s. Rezension).
Verglichen mit dem subtilen Seelendrama, das Christie in der Theodora entdeckte, zeigt Ivor Bolton bei der Salzburger Aufführung einen wesentlich dramatischeren und strafferen Zugriff. Unter seiner Leitung musizierte das Freiburger Barockorchester in angemessen großer Besetzung akzentuiert und rhythmisch lebhaft. Die Affekte und rhetorischen Figuren werden schärfer profiliert. Dadurch wirkt die Musik im Ganzen opernhafter. Auch das direktere, schärfere und insgesamt theatermäßigere Klangbild unterstreicht diesen dramatischen Eindruck.

Für die Aufführung im Salzburger Festspielhaus hat Regisseur Christof Loy sich ebenfalls für eine weitgehende Stilisierung in der Art einer musikalischen Installation entschieden. In zeitlos-zeitgenössischer Abendgarderobe halten sich sämtliche Protagonisten und der Chor fast die ganze Zeit auf der Bühne auf. Je nach Szene gruppieren sich die Chor-SängerInnen neu in dem riesigen Raum und übernehmen verschiedene Rollen. Auch die Hauptfiguren bewegen sich in diesem offenen Beziehungsgefüge frei und inszenieren je nach Szene Allianzen oder Konfrontationen.
Außer Klappstühlen gibt es praktisch keine Requisiten.
Während Sellars darauf bedacht war, seine artifizielle Inszenierung wie einen Film und unter weitestgehender Ausblendung von Musikern und Publikum zu präsentieren, herrscht bei der Neuproduktion eine lebhafte, manchmal unruhige Live-Atmosphäre mit viel Bewegung und mitunter heftigen Aktionen, die den vorgeblich beschaulichen Ansatz (vgl. die Ausführungen im Beiheft) konterkarieren.
Vor allem das Bramarbasieren von Johannes Martin Kränzle in der Rolle des römischen Gouverneurs Valens ist schwer erträglich. Da wird kein schmieriges Diktatoren-Klischee ausgelassen, so dass diese Figur zur Karikatur verkommt. Kränzle singt allerdings sehr viel besser und vor allem subtiler, als er spielt – überhaupt ist die Besetzung sehr beachtlich. Christine Schäfers leidenschaftlich-charismatische Theodora entgeht der Gefahr, zu einem Abziehbild hehrer Tugend zu werden. Diese Theodora ist fraulicher und sinnlicher als in der ergreifend engelgleicher Darstellung von Dawn Upshaw in der Glyndebourne-Produktion. Dass das Martyrium mit Blut, Schweiß und Tränen verbunden ist und die keusche Liebe zu Didymus eine Gratwanderung, wird in Schäfers Darbietung greifbar. Der Didymus von Bejun Mehta agiert trotz der starken Bühnenpräsenz des Sängers allerdings nicht auf gleicher Höhe; die Stimme wirkt bei den schnelleren Passagen forciert, die Farbqualität je nach Vokal und Register ist wechselhaft. Jene ‚sakrale Erotik‘, die David Daniels der Figur (Christie) mit seiner ätherisch-sinnlichen Stimme verlieh, stellt sich bei Mehta nicht ein. Dennoch geraten die Kerker- und Sterbeszene zusammen mit Theodora zu großen, kammermusikalisch intimen Momenten, zumal sich vor allem im zweiten Teil die Aktionen immer weiter beruhigen.
Sehr für sich einnehmen kann mit seinem fein geführten hohen Tenor Joseph Kaiser in der Rolle des Septimus. Seinem Pendant auf dem Vergleichsaufnahme, dem Amerikaner Richard Croft, steht er in nichts nach. Eindrucksvoll schließlich auch die Irene von Bernarda Fink. Mag sie auch nicht ganz die suggestive Präsenz von Lorraine Hunt-Lieberson in der Christie/Sellars-Produktion erreicht, agiert sie als Theodoras Mentorin doch sehr eindringlich. Darum ist es bedauerlich, dass ihre Partie gleich im 1. Akt um eine ausdrucksvolle Arie gekürzt wurde. Ein weiterer Strich im 3. Akt ermöglichte es, in Anlehnung an die Aufführungspraxis zu Händels Zeit, das Orgelkonzert Nr. 5 einzufügen. Der Salzburger Bachchor sticht durch seine Klarheit und darstellerische Präsenz heraus.

Im Ganzen eine Produktion, die die Bedeutung von Händels spätem Oratorium als großes Musiktheater erneut bestätigt, ohne die Vergleichsproduktion in der Subtilität der musikalischen Charakterzeichnung und verinnerlichten Darbietung zu übertreffen.



Georg Henkel



Trackliste
Keine Extras
Besetzung

Christine Schäfer: Theodora
Johannes Martin Kränzle: Valens
Bejun Mehta: Didymus
Joseph Kaiser: Septimus
Bernarda Fink: Irene

Salzburger Bachchor

Freiburger Barockorchester

Ivor Bolton: Leitung

Christof Loy: Regie



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