Musik an sich


Reviews
Glass, Ph. (Schleiermacher)

How Now – Frühe Klavierwerke


Info
Musikrichtung: Neue Musik Klavier

VÖ: 02.05.2010

(MDG / Codaex CD / DDD / 2009 / Best. Nr. MDG 613 1027-2)

Gesamtspielzeit: 67:22



INSTALLATION IM LEERLAUF

Philipp Glass kann man als einen der großen Popularisierer der Minimalmusic (oder der Repetitiven Musik) bezeichnen. Wiederhole eine hübsche kleine Sequenz nur oft genug, und sie wird zur Kunstmusik – dieses Prinzip haben die Gründerväter der Minimalmusic auf individuelle Weise beherzigt. Verglichen mit den extrem scharf ausgeleuchteten Kontrapunkten des frühen Steve Reich oder der gruppendynamischen Esoterik von Terry Riley eignet schon den ersten repetitiven Werken von Glass eine manische Easy-Listening Haltung. Themen und Harmonien sind zumindest pop-affin und die leicht verblichenen Klangfarben scheinen längere Zeit dem Meer und der Sonne Kaliforniens ausgesetzt gewesen zu sein. Die Störung dieser endlosen Wiederholung schöner Momente durch minimale metrische Veränderungen, Registerwechsel und Zusatztöne ist praktisch das einzige gestalterische Prinzip. Oft wird damit nur ganz eben die Oberfläche aufgeraut.
Manches aus dieser Phase übt einen unwiderstehlichen hypnotischen Sog aus, schafft eine entspannt-gespannte Hörerhaltung, ohne dass man genau sagen könnte, wieso man nicht davon loskommt. Wobei diese penetranten Gute-Laune-Sequenzen auch etwas Bedrohliches entwickeln können. Ein Lächeln mit endlosen weißen Zahnreihen kann auch monströs wirken …

Der Pianist Steffen Schleiermacher hat schon auf einer früheren Platte Faszination für diverse Glass-Works wecken können. Er selbst bescheinigt der Musik die Fähigkeit, den gleichen Hörer in der einen Situation in Trance zu versetzen und in der nächsten kolossal zu nerven. Wie auch immer man auf diese neue CD anspringt: Es liegt wohl kaum an Schleiermachers übermenschlich perfektem, da (notwendig) unpersönlichen Fingerspiel und dem intelligenten Einsatz der Studiotechnik (das letzte Stück wurden in Playbacktechnik auf einer elektrischen Orgel realisiert) wenn es nicht funktioniert. Es hängt einfach davon ab, ob man gestimmt und konzentriert genug ist, sich einzulassen oder verständliche innere Widerstände gegen diese Dauerberieselung entwickelt. Nebenbeihören geht nicht, die Musik ist da erstaunlich autoritär (wie einer jener Gurus, die in den 1960er und 70er Jahren ihre Anhänger mit dem Prinzip „Freiheit durch totale Unterwerfung“ köderten).

Persönlich habe ich den ornamentalen Leerformen, in denen sich diese Musik erschöpft, wenig abgewinnen können. Bei allem suggestiven Hin und Her und Auf und Ab: Eine mit der Op-Art vergleichbare Verzauberung der Anklangsnerven wollte sich so nicht einstellen (Steve Reichs Musik kann einem zwar auch auf den Geist gehen, ist aber weniger simpel; die einzige wirklich nie-nervige Minimal-Music bleibt für mich Rileys „In C“). Die geringe thematische Bandbreite und die relativ monochromen Klangfarben mögen das ihre dazu beitragen, dass ich irgendwann mit der Stop-Taste gespielt habe. Gehört – kapiert.
Wobei es ums Kapieren aber wohl gar nicht geht. Man muss einfach sagen, dass diese Art von Musik gerade dadurch, dass sie nichts zeigen will, sondern einfach da ist wie eine akustische Installation, wirklich etwas Neues darstellt. In ihrer Beiläufigkeit vermeidet sie die übliche Ästhetik von Machen, Konstruieren und Vorführen, die die meiste westliche Musik bis heute selbst in ihren avantgardistischen Erscheinungen prägt. Ich möchte darum gar nicht ausschließen, dass andere Hörer genau dieses bloße Sich-Ereignen und die Vereinfachung schätzen werden. Von daher bleibt wohl nur die individuelle Probe aufs Exempel.



Georg Henkel



Trackliste
Music in Similar Motion (für Orgel) (1969)
How Now (für Klavier) (1968)
Music in Fifths (für Orgel) (1969)
Besetzung

Steffen Schleiermachen: Klavier & Orgel (Glass hatte die Stücke ursprünglich für sein eigenes Ensemble und für variable Besetzungsmöglichkeiten geschrieben.)


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