Musik an sich


Reviews
Ives, Ch. (Sinclair)

The Three Orchestral Sets


Info
Musikrichtung: Moderne Orchester

VÖ: 02.05.2008

(Naxos / Naxos / DDD 2007 / Best. Nr. 8.559353)

Gesamtspielzeit: 62:36



AMRERIKANISCHE COLLAGEN

Es ist nicht zuletzt die auch aufnahmetechnisch ansprechend eingefangene hohe Spielkultur des Malmö Symphony Orchestra, die diese Produktion mit drei Orchester-Zyklen von Charles Ives auszeichnet. Die schwedischen Musiker zeigen sich gerade bei den rhythmisch und polyphon doch sehr verschachtelten Orchestral Sets technisch wie interpretatorisch auf der Höhe.
Ausgezeichnet ist bei der Wiedergabe die Plastizität und Farbintensität, mit der die stilistisch äußerst unterschiedlichen Schichten der Musik zur Darstellung kommen. Neben den für Ives typischen schwebenden und leuchtenden Harmonien, bei denen man an die unendliche Weite erhabener amerikanischer Landschaften denkt, sind das natürlich wieder zahlreiche Choralthemen – hier schlägt Ives puritanisches Erbe durch – und vor allem Märsche und Fragmente aus der Unterhaltungsmusik.
Dem Transzendentalisten Ives war eben keine Musik zu niedrig, um nicht doch von jenem höchsten göttlichen Geist erfüllt zu sein, der letztlich alles erleuchtet. Das Ganze hat jedoch bei allem gelegentlichen kakophonischen Wahnsinn eine ausgesprochen sinnliche, jeden mit einigermaßen Phantasie begabten Hörer unmittelbar ansprechende Methode. Und so entstehen wieder jene enigmatischen musikalischen Collagen, die auf unvergleichlich poetische Weise Amerika, seine überwältigende Natur und seine Menschen evozieren und zugleich (ganz unideologisch) überhöhen.

Die Sets Nr. 1 und 2 sind klingende Tableaus, die Ansichten Neuenglands und seiner Geschichte darbieten. Ives hat sie aus jeweils drei unabhängig von einander entstandenen Sätzen zusammengestellt. Die literarischen Titel lenken die Assoziationen des Hörers sofort in eine konkrete Richtung, enthüllen jedoch kaum etwas von dem Geheimnis dieser atmosphärisch dichten Musik, die immer wieder mit einer eigenwilligen Mischung aus ergreifendem Pathos und derber Ironie, aus himmlischer Zartheit und tumultöser Klanggewalt überrascht.
Im Fall des 1. Sets hat sich Dirigent James Sinclair übrigens für eine von Ives selbst besorgte vereinfachte Fassung entschieden. Angesichts der für damalige Orchester und Hörer extremen Herausforderungen lichtete Ives das Gewebe aus Stimmen und Themen durch Striche auf. Auch wenn man heute Ives radikalerer Ursprungsversion den Vorzug gibt, besticht diese erstmals eingespielte Bearbeitung durch ihre ganz eigene Klanglichkeit.
Ein Coup ist die Weltpremiere des 3. Sets, das Ives im Gegensatz zu den beiden Vorgängern als ganzes konzipiert, aber nicht mehr vollendet hat. Daher fehlen auch die Titel. Die ersten beiden Sätze liegen weitgehend vollständig vor und wurden von David Gray Porter herausgegeben. Erstmals gibt es aber nun auch den 3. Satz in einer Fassung von Nors Josephson zu hören. Die Musik mutet gerade auch in diesem Teil aufregend karg und abstrakt an, ohne etwas vom verführerischen „Ives-Gusto“ einzubüßen. Jede Note stamme von Komponisten, versichert denn auch der Dirigent im (nur englischsprachigen) Beiheft. Er navigiert Musiker und Hörer (stil)sicher durch die Ivesschen Labyrinthe, verweilt dabei gerne bei den schönen, ausdrucksvollen Details, verliert darüber aber nur gelegentlich (wie etwa beim rhapsodisch genommenen 2. Satz des 2. Sets) den großen Bogen aus den Augen.



Georg Henkel



Trackliste
01-03 Orchestral Set Nr. 1 (1913-14): Three Places in New England (Version I) 18:07
04-06 Orchestral Set Nr. 2 (1919) 15:49
07-09 Orchestral Set Nr. 3 (ed. Porter / Josephson) 28:40
Besetzung

Malmö Symphony Orchestra und Kammerchor

James Sinclair: Leitung



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