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Reviews
Nancarrow, C. (Bugallo-Williams Piano Duo)

Studies and Solos


Info
Musikrichtung: Klavier

VÖ: 01.06.2004

Wergo / Note 1
CD DDD (AD 2003) / Best. Nr. WER 6670 2


Gesamtspielzeit: 62:17



DER MENSCHLICHE FAKTOR

INTERPRETATION MINUS INTERPRET

Es war die Unzufriedenheit mit den Fähigkeiten der damaligen Interpreten, die den Amerikaner Conlon Nancarrow (1912-1997) ab 1940 bewog, diese aus der aufführungspraktischen Gleichung ganz herauszustreichen.
Fortan kümmerte sich Nancarrow, der Komponist, ganz persönlich um die technisch makellose Darbietung seiner Schöpfungen, indem er sie einem mechanischen Instrument, dem Player Piano, anvertraute. Ursprünglich war dieses dazu gedacht, in Lochstreifen gestanzte Klassiker der Klavierliteratur über Luftdruck und ein System von Kanzellen auf die Klaviatur zu übertragen und wie mit Geisterhänden abzuspielen. Da es möglich war, die Lochstreifen direkt vom Spiel eines Interpreten abzunehmen, konnten aber auch originale „Einspielungen“ von Grieg, Busoni, Reger, Straube, E. Fischer, Mahler, Debussy, R. Strauss oder Gieseking konserviert und inzwischen sogar auf CD in bester Klangqualität reproduziert werden (Label: Tacet und Nimbus; zur Geschichte und Technik der Reproduktionsklaviere gibt es übrigens einen ausführlichen Bericht in der August/2004-Ausgabe von Fono Forum)!

Nancarrow aber ging es um anderes: Seine hochkomplexen, spieltechnisch höchst schwierigen Werke schienen einem solchen Instrument, das nicht an den manuellen Fähigkeiten des Spielers hing, per se auf die komplizierte Mechanik komponiert.
Umgekehrt inspirierten Nancarrow die unbegrenzten Möglichkeiten des Player Pianos zu einer immer komplexeren Musik. In seinen Stücken sind meist mehr als 10, 20 oder 30 Finger gefordert, den Satz zeichnen eine irrwitzige Polyrhythmik und kontrapunktischen Verwicklungen aus. Das ließ sich nicht mehr „vorspielen“: So stanzte Nancarrow bis Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts in mühsamer Handarbeit rund 50 Studies für Player Piano direkt in Papierstreifen, mit denen er dann sein Ampico-Player Piano von 1927 füttern konnte.
Ein Paradox: In völliger Isolation und unbeachtet von den Zeitgenossen entstand irgendwo in Mexiko auf einem veralteten elektro-pneumatischen Instrument eine absolut moderne, zukunftsweisende Musik, die überdies noch, man höre und staune, gut hörbar ist! Nancarrow verleugnet nämlich seine amerikanischen Wurzeln keineswegs. Rhythmische Elemente entstammen u. a. dem Jazz, Modetänze wie der Boogie-Woogie klingen an und die Pantonalität greift nicht selten auf die Blues-Skala zurück. Allerdings werden diese „Zutaten“ in Nancarrows musikalischen Teilchenbeschleuniger in glühendes Plasma verwandelt. Am Ende stehen die irregulären Rhythmen und rasenden Stimmverschlingungen von Proportions-Kanons, bei denen die Stimmen unterschiedlich schnell, z. B. in den Verhältnissen 3:4, 4:5 oder 12:15:20, ablaufen. Das ergibt wunderbare akustische Vexierspiele und Labyrinthe.

ABSTRAKTION PLUS POESIE

Daß diese ungemein spannende und reizvolle Musik dann doch irgendwann die Interpreten aus Fleisch und Blut herausgefordert hat, kann eigentlich nicht weiter verwundern. Zumal es von Nancarrow ein Frühwerk gibt, das durchaus noch für reale Spieler geschaffen wurde (die seinerzeit an manchen der hohen Anforderungen jedoch scheiterten). Und zumindest einige der Studies lassen sich für zwei „normale“ Klaviere und vier Hände bearbeiten.

In diesem Fall haben sich die Argentinierin Helena Bugallo und die Amerikanerin Amy Williams der schwierigen Aufgabe mit Bravour gestellt. Nancarrow hatte stets einige Vorbehalte gegen derartige Transformationen. Auf seinem Ampico klingt die Musik, die im wesentlichen aus Staccati zusammengesetzt ist, geradezu kristallin: klar und mechanisch-präzise. Dazu kommt eine sehr charakteristische, obertonreiche Klangfarbe, die irgenwo zwischen Bar-Piano und Hammerklavier liegt. Der „menschlichen Faktor“ wurde mit Erfolg eliminiert.
Bei Bugallo-Williams kommt er wieder in die Musik hinein, und zwar bereichernd: durch einen weicheren Klang, eine subtil abgestufte Dynamik, durch akzentuierte Modulationen und Nuancierungen der Balance. Reichtum und Komplexität von Nancarrows Musik erlauben es durchaus, diese Musik unter veränderten Interpretationsbedingungen neu „aushören“. Bugallo-Williams entdecken mit ihrem differenzierten Spiel vor allem an den Studies neue, poetische Ausdrucksmöglichkeiten jenseits der abstrakten rhythmischen und polyphonen Operationen.
Damit wird das ursprüngliche Konzept keineswegs verwässert. Zum Vergleich: Wenn man Bachs Cembalomusik auf einem modernen Steinway spielt, gehen bestimmte Möglichkeiten verloren und der Charakter der Musik verändert sich. Bestimmte Grenzen der Gestaltung (z. B. die fehlende dynamische Differenzierung) werden dafür aber aufgehoben. Anderes, z. B. was die Klarheit der Verzierungen angeht, verlangt dagegen nach einer neuen Lösung.



Georg Henkel



Trackliste
01-11 Studies for Player Piano (9,6,4,3b-d,15,14,18,19,26) 33:30
12-14 Three Canons for Ursula 14:27
15 Tango? 02:55
16-18 Three two-part Studies 03:34
19 Prelude 01:11
20 Blues 02:12
21-23 Sonatina 04:28
Besetzung

Helena Bugallo, Klavier
Amy Williams, Klavier



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