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Musik an sich
 
"Interface to God"
 

Eine Inszenierung des Künstlers Bjarne Melgaard mit Unterstützung von Thorns (Kiel, Kunsthalle, 16.06.2002)

"Should I just write "To you from Bjarne?" - Mit einem angedeuteten Lächeln sieht mich der im makellosen Wichtiger-Geschäftsmann-Anzug inklusive schwarzer Hose, schwarzem Jackett, weißem Hemd und schlichter Krawatte vor mir stehende Mann an, seine Augen von einer vermutlich vom Gehalt eines MusikAnSich-Journalisten nicht zu finanzierenden Sonnenbrille abgeschirmt. Hier ist er anlässlich der Eröffnung seiner Ausstellung. Hier, das ist Kiel, und heute die Gelegenheit, den Mann hinter "Interface to God" ganz kurz hautnah zu erleben. Dass Bjarne Melgaard dann auch wirklich nicht so ohne ist, wie sein äußeres Erscheinungsbild suggerieren mag, wird deutlich, als er nach gekonnter Demonstration selbstironisch trockenen Humors - "Oh, I don`t have very many intelligent things in my brain" - und kurzem Zögern meiner Freundin und mir die erbetenen Autogramme gewährt. "Die more" steht da nun auf einem Thorns-Poster, "Keep on dying" auf einem anderen.

Thorns, das ist ein norwegisches Ein-Mann-Projekt, von vielen mit dem Wort "Kult" bedacht, gilt in Metal-Kreisen als unbequem, avantgardistisch, hochintelligent. Bjarne Melgaard ist 35 Jahre alt, homosexuell, der SM-Szene zugehörig, Provokateur, Künstler. "Interface to God", so heißt ein Lied von Thorns und eine Schau von Bjarne Melgaard. Die derzeit in Kiel zu bestaunende Großrauminstallation wurde noch im Mai in Herford verboten, angebliche Gewaltverherrlichung angesichts der Geschehnisse in Erfurt war hierfür die Begründung, und natürlich, dass in derartigen Ausnahmefällen immer die am lautesten blöken, die am wenigsten Ahnung haben.

Denn Gewalt um der Gewalt Willen ist definitiv nicht Bestandteil des in drei große Räume sowie drei zusätzliche, abgeschirmte Pavillons unterteilten Kunstwerks, das im wesentlichen gerade von dem lebt, was man nicht sieht. Die PVC-tapezierten Wände sind hauptsächlich mit überdimensional vergrößerten Abbildungen aus dem Booklet des selbstbetitelten Debüt-Albums von Thorns überzogen, welche teilweise zerfetzt, an anderen Stellen übermalt und mit Grafitti übersprüht sind, mal mit ganzen Sätzen, dann wieder mit Satzfragmenten, Schlagworten oder lediglich partiell sicht- respektive erkennbaren Symbolen. Das Unbehagen jedoch lauert überall und so sind neben dem Fußboden selbst die vom eventuell auf Distanz bedachten Besucher als Raummittel- und Ruhepunkt gesuchten Bänke mit ironischen bis bitterbösen Phrasen bekritzelt. Ein Irrer scheint am Werk gewesen zu sein, dieser Eindruck wird durch den teils erschreckend ungewöhnlich bis schlichtweg falschen Gebrauch der englischen Sprache noch potenziert. Die allgegenwärtige Beschallung mit den Klängen Thorns fügt sich in das zerrissene Bild homogen ein, der kalte, maschinelle Industrial-Black-Metal ist nicht Untermalung, sondern zusätzlicher Träger und fast perfekte Fortführung des visuellen Konzeptes.

Dass neben der Absicht, Konfusion hervorzurufen, noch mehr dran ist an "Interface to God", wird im Laufe der Auseinandersetzung mit dem Gesehenen, zu der jeder, der einmal die (un-)heiligen Hallen betreten hat, ohne Ausnahme gezwungen ist, schnell deutlich. "Do we know the meaning of words or do we say them because if not it would be only silence..." steht dort in zerlaufener, unleserlicher Schrift neben einem unzählige Male bis zur Unkenntlichkeit übermalten Bild und dem Foto eines Priesters, der umso deutlicher erkennbar die Hose runterlässt.

Noch nachdenklicher stimmen über die gesamte Räumlichkeit verteilte Listen von "Want`s" und "Don`t Want`s", die auf der negativen Seite etwa "to be loved" und "to be taken care of" enthalten, als positive Gegenpole dagegen "to kill you" und "to see you die" auflisten. Die Ausmaße des Ironie-Anteils darf jeder für sich selbst bemessen.

"If it were not for my parents I would have already killed myself. Instead I kept listening to Slayer and dreamt on", so eine vor Blut und Sabber triefende Monsterfratze, die mit einem Herrn benachbart ist, der sich in eher grober Manier sein Gehirn rauspustet. Eindringlich.

Über "The pleasure of working" kann man im weiteren mehr erfahren, genauso wie alternative Definitionen der Begriffe "useful" und "useless", welche nachdrücklich zur Quintessenz des gesamten Kunstwerks avancieren.

Melgaard hinterfragt nicht hauptsächlich den Umgang der Gesellschaft mit Randgruppen, verteidigt keine Szene und klagt keine Religionsformen an, er packt das scheinbar Gute bei der Wurzel. Wenn alles, was je in dieser Welt von allen außer mir für nützlich befunden wurde oder wird, mir nicht so erscheint, warum kann ich es nicht für sinnlos erklären? Und wenn eine Gesellschaft keinen Sinn macht, wenn Menschen keinen Sinn haben, warum mich dann bei ihnen einreihen? Warum aber auch gegen sie rebellieren, sich von ihnen abgrenzen? Ziemlich sinnlos, nicht wahr? Ich könnte sie auch töten, alle oder einen Teil von ihnen, es macht keinen Unterschied. Ob sie schreien oder schweigen, es bleibt Stille. Vakuum. "Ligths go out".

Thorbjörn Spieß

("Interface to God" ist noch bis zum 18.08.2002 in der Kieler Kunsthalle zu sehen)

 

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