Der Sänger vom Ball aus gesehen. Eine Saison mit Campino




Info
Autor: Campino

Titel: Hope Street. Wie ich einmal englischer Meister wurde

Verlag: Piper

ISBN: 978-3-492-07050-8

Preis: € 22

356 Seiten


Hope Street ist alles andere als eine klassische Musiker(auto)biographie. Dass die Person eines Sängers, Gitarristen oder Keyboarders, wenn sein Leben eng mit einer berühmten Band verbunden ist, ein wenig untergeht und seine Biographie kaum von einer Band-Biographie zu unterscheiden ist, das ist so selten nicht.

Wenn man dann überlegt, wie lange Andreas Frege schon bei und mit den Toten Hosen unterwegs ist, wäre es kein Wunder, wenn ein nicht unerheblicher Teil der Leserschaft an dieses Buch mit der Erwartung herangehen würde, hier eine profunde Geschichte der Düsseldorfer Pop-Punker in der Hand zu halten.

Weit gefehlt! Von den Hosen erfährt man so gut wie nichts. Und wenn Campino dann doch einmal auf die Band zu sprechen kommt, dann werden Momente ihrer Karriere nur so kurz erwähnt, dass die „Wissenden“ wissen, worum es geht – und der Rest es sich halbwegs aus dem Kontext erschließen kann. In der Mehrzahl der Fälle, in der Bandmitglieder in Hope Street Erwähnungen finden, geht es aber gar nicht um die Hosen, sondern Andi, Breiti, Vom oder Kuddel tauchen an anderen Orten von Campinos Leben auf, weil sie eben nicht nur langjährige Kollegen, sondern auch enge Freunde sind.

Im Mittelpunkt von Hope Street steht nicht der Mensch Andreas Frege und auch nicht der Sänger der Toten Hosen, sondern der beinharte Fan des FC Liverpool. Hope Street ist eine Art Tagebuch, das die Reise von Campino durch die Premier League Saison 2019/20 beschreibt. Es ist eine Reise sowohl im übertragenen, wie im wörtlichen Sinn. Denn Campino ist Fan durch und durch. Selbst die Planung der Konzertdaten der Hosen nimmt Rücksicht auf wichtige Spiele, damit der Sänger so oft, wie nur irgend möglich, bei den Spielen "seiner" Mannschaft dabei sein kann. Und das beschränkt sich durchaus nicht auf die Spiele der Premier League.

Fast jedes Kapitel beginnt mit den „technischen Daten“ eines oder mehrerer Spiele. Ein Beispiel:
„PL-Matchday 14, 30. Nov. 2019: Liverpool – Brighton 2:1
Tore: Virgil van Dijk 18’, 24’, Lewis Dunk 79‘. Gesehen: Sofa, Berlin.
Fazit: Wir rollen weiter! Vorsprung auf Platz 2 (Leicester): 8 Pkt.“


So Fußball-verrückt, dass es kein Leben neben dem Fußball gäbe, ist Frege natürlich nicht – und auch das ist in Hope Street zu erleben. Wir erfahren einiges über seine Familie, seine Urlaubsvorlieben, aber auch über seine familiäre Herkunft. Natürlich spielt die Tatsache, dass er halb Deutscher (Vater) und halb Engländer (Mutter) ist, eine Rolle – nicht zuletzt, weil die beiden „Feinde“ sehr bald nach dem Ende des zweiten Weltkriegs geheiratet haben. Und das, was er von seinem Vater erzählt, macht deutsche Nachkriegsgeschichte lebendig und geradezu neugierig auf eine Biographie von Joachim Frege.

Aber was immer wir auch von Campinos Leben erfahren, wir erfahren es, weil bestimmte Ereignisse seines Lebens sozusagen assoziativ abgerufen werden, wenn er von seinem Verein und dessen Geschichte erzählt.

Hope Street ist vergnüglich zu lesen und erstaunlich erwachsen mit reichlich Selbstreflexion erzählt. An zwei Punkten hätte ich mir Vertiefungen gewünscht. In den Texten der Hosen – soweit ich sie erinnere – hat es verschiedentlich die in Punk-Kreisen beliebte pauschale und flache Kritik an Kirche und Religion gegeben. In seinem Leben scheint das etwas differenzierter auszusehen. Da würde ich, wenn ich könnte, gerne noch einmal nachfragen.
Zum anderen sind mir die Hosen weniger als Fussball-Fans denn als Mitglieder der Opel-Gang in Erinnerung – und der Wendekreis des Opels wird hier nicht einmal erwähnt.

Insgesamt ein klasse Buch, das man kaum mehr aus der Hand legt, nachdem man einmal begonnen hat.


Norbert von Fransecky



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