Riot

Nightbreaker


Info
Musikrichtung: Classic Rock / Metal

VÖ: 2015 (22.07.1993)

(Metal Blade)

Gesamtspielzeit: 72:01

Internet:

http://www.metalblade.de
http://www.areyoureadytoriot.com


Mit Riots Nightbreaker-Album verbindet sich hier eine ganz besondere Geschichte. Irgendwann in den Mittneunzigern entdeckte der Damals-Noch-Nicht-Rezensent die Platte mit dem markanten Hai-Cover für kleines Geld auf einem Grabbeltisch und nahm sie ohne viel Federlesens und auch ohne Hörprobe mit. Stutzig wurde er, als er die CD in den Player schob und selbige nur vier Tracks (mit summiert 15 Minuten Spielzeit) statt der erwarteten elf anzeigte. Also auf Play gedrückt – und die nächste Überraschung: Das, was da aus den Boxen scholl, waren definitiv nicht Riot, es sei denn, sie hätten sich einem radikalen Stilwechsel zu damals hypermodernem Metal unterzogen, wovon in den Albumrezensionen dann aber definitiv etwas zu lesen gewesen wäre. Also die CD nach dem Durchhören wieder ausgeworfen und die Spurensuche begonnen: Sowohl das Booklet als auch das Inlay waren das jeweils korrekte, zu Nightbreaker gehörige. Auf der Silberscheibe selbst fand sich nur ein grafisches Element, aber kein Bandname und auch kein Plattentitel – stutzig hätte man bei genauerer Betrachtung allerdings auch hier schon werden können, denn da war ein 1995er Copyright für Roadrunner angegeben und kein 1994er für Rising Sun Productions, wie es zu erwarten gewesen wäre. Der Copyrightring weist dann noch ein getrenntes Verlagsrecht für einen Song namens „Dog Day Sunrise“, den Opener der Mini-CD, aus, an dem ein J. Broadrick songwriterisch beteiligt war, also offenbar Justin Broadrick von Godflesh, ein frühes Mitglied von Napalm Death. Das wären in Zeiten des Internet genug Indizien gewesen, um herauszufinden, worum es sich bei der CD wirklich handelt – aber selbiges gab es in den Mittneunzigern hier noch nicht, und so kam die Erleuchtung auf anderem Wege: Einige Zeit später sah der Noch-Nicht-Rezensent auf MTV’s Headbanger’s Ball das Video zu Fear Factorys „Replica“, und er erkannte das Stück sofort als das zweite auf der Nicht-Nightbreaker-Scheibe wieder. Es handelt sich also um eine der beiden Auskopplungen vom Demanufacture-Album (das besagte „Dog Day Sunrise“ entpuppte sich als Coverversion von Head Of David, bei denen der besagte Justin Broadrick gleichfalls aktiv gewesen war), und nun erschloß sich auch das grafische Element auf der CD als zwei verbundene F-Buchstaben, die Initialen des Bandnamens symbolisierend.
Das Rätsel war also gelöst – bis aber nun das richtige Nightbreaker-Album in die hiesige Sammlung einziehen sollte, vergingen noch mehr als zwei Jahrzehnte. Erst im Rahmen der aktuellen Re-Release-Serie bei Metal Blade Records wurde diese Lücke nun endgültig geschlossen. Die Editionsgeschichte des Albums bildet freilich wieder einen Fall für sich und ähnelt etwas derjenigen von Live In Japan: Anno 1993 zunächst im Land der aufgehenden Sonne veröffentlicht, fand sich im Folgejahr für Europa ein Lizenznehmer in Gestalt der norddeutschen Firma Rising Sun Productions, wobei die mit einem veränderten Cover, eben dem erwähnten Hai, ausgestattete Europressung zehn der zwölf japanischen Tracks enthielt und dazu noch einen elften, der auf der Japan-Pressung nicht enthalten gewesen war. Die Amerikaner wiederum mußten sich bis 1999 gedulden, erst dann erfuhr Nightbreaker via Metal Blade auch dort einen Release, abermals mit verändertem Cover, elf der zwölf japanischen Tracks und wiederum einem anderen zwölften Track. Der nun in gewohnter Digisleeve-mit-Posterbooklet-Ausstattung vorliegende Re-Release basiert auf der 1999er Metal-Blade-Pressung, deren Cover er auch zeigt, während der Hai die eine Seite des Posterbooklets ziert und das originale japanische Cover diesmal komplett unter den Tisch fällt. Von den Songs her bekommen wir löblicherweise eine Vollbedienung: Zunächst erklingen die zwölf Nummern der 1999er Fassung, also mit „Faded Hero“ als Nr. 12, als dreizehnter wurde „I’m On The Run“ von der 1994er Euroversion und als vierzehnter schließlich „Black Mountain Woman“, der originale Japanbonustrack, hinzugefügt.
Eingangs fand Erwähnung, dass „Dog Day Sunrise“ und „Replica“ als Riot-Tracks einen enormen Stilwechsel bedeutet hätten – ganz so wie seine Vorgänger klingt Nightbreaker allerdings auch wieder nicht, weder so konsequent speedmetallisch wie Thundersteel noch so progressiv wie The Privilege Of Power. Mark Reale hatte sich wieder einmal einen neuen Sänger suchen müssen, nachdem Tony Moore aufgrund geschäftlicher Unstimmigkeiten das Weite gesucht hatte bzw. gehen mußte. Eine Quelle spricht davon, dass der Gitarrist ein stilistisch leicht anders gelagertes Soloalbum aufnehmen wollte und dafür einen Sänger gesucht hatte, den er in Mike DiMeo fand, letztlich dann aber doch die Entscheidung fiel, statt dessen mit dem neuen Fronter ein reguläres Riot-Album einzuspielen. Die Erläuterung des Posterbooklets zu „Faded Hero“ liest sich allerdings so: „This song was originally recorded as a demo song. It was the first song that Mike DiMeo sang on and was his audition for the band.“ Das spräche dann eher dafür, dass der Neue von vornherein fürs Riot-Mikrofon gedacht war. Tatsächlich aber läßt sich im Material die erwähnte leichte Stilveränderung finden: DiMeos Stimme paßt perfekt zu siebzigerlastigem Hardrock, und solchen hatten Riot in ihrer Frühzeit ja auch schon gespielt – ergo war der Weg zurück zu den Wurzeln quasi vorgezeichnet. Nightbreaker präsentiert sich dabei in der rückblickenden Betrachtung allerdings als eine Art Übergangsalbum, das die metallische Power und die melodische Hochgeschwindigkeit nicht ad acta legt, und diese Komponenten sollten auch in der Folgezeit in unterschiedlichen Anteilen noch durchscheinen. Auffällig ist, dass der mittlerweile zum festen Bandmitglied beförderte Zweitgitarrist Mike Flyntz einen der drei Speedsongs, nämlich „Destiny“ mit seinem klassischen Aufbau, ohne Reale, dafür mit DiMeo als Kompositionspartner verfaßt hat, und die beiden sind zusammen mit dem Bandkopf auch für die ungewöhnlichste der drei Speednummern, das mit einem einprägsamen Fäustschüttel-Stampfrefrain ausgestattete „Silent Scream“, verantwortlich – aber Reale beweist mit dem dritten Exempel, dem abermals klassischen Songwritingschemeta folgenden und mit feistem Doublebassgedonner von Bobby Jarzombek anhebenden Titeltrack, dass er dieses Genre auch noch im Alleingang zu bedienen weiß. Aber er ist ehrlich genug, dem Anhänger kein Speedalbum vorzugaukeln, indem er etwa eine dieser drei Nummern an den Anfang des Albums gepackt hätte – dort steht statt dessen die treibende Midtemponummer „Soldier“, die DiMeo zugleich einen guten Einstand ermöglicht, denn mit ihrer Classic-Rock-Lastigkeit zeigt sie sich perfekt auf seine ausdrucksstarke, halbhohe und leicht angerauhte Stimme zugeschnitten. Quasi zwischen dieser Ausrichtung und den Speednummern plaziert sich das knapp unter der Speedgrenze verbleibende „Babylon“, während „Magic Maker“ und „Medicine Man“ das gemäßigtere Midtempofeld beackern und mit „In Your Eyes“ eine gefühlvolle Ballade für Wohlklang sorgt. Dazu treten diesmal gleich drei Coverversionen. Deep Purples „Burn“ darf als programmatisch für die justierte Stilrichtung verstanden werden, hinterläßt aber einen irgendwie unentschlossenen Eindruck und kommt beispielsweise nicht an der fast gleichzeitig entstandenen großartigen Livefassung von Glenn Hughes‘ Burning Japan Live-Album, die vor allem im Solobereich an Schärfe und Klarheit unübertroffen ist, vorbei. Mit Procul Harums „A Whiter Shade Of Pale“ unternehmen Riot den Versuch, ein weiteres Mal herunterzuschalten, aber trotzdem rockende Power zu transportieren – das klappt eher mäßig, denn der Flow des Songs geht irgendwie flöten, aber ihm wird nichts Halbes und nichts Ganzes hinzugefügt. Da überzeugt etwa die Doro-Fassung noch eher. Die Europressung von 1994 mußte übrigens ohne diese Nummer auskommen. Als drittes gibt es schließlich ein Eigencover, nämlich eine Neueinspielung von „Outlaw“ vom Fire Down Under-Werk, zu dem an anderer Stelle im MAS-Reviewarchiv mehr zu lesen ist. Die mit asiatisch anmutenden Klängen anhebende Neufassung fügt sich stilistisch in den Classic-Rock-Gestus weiter Teile von Nightbreaker ein, wirkt glatter, aber auch irgendwie eleganter als die alte Fassung, wobei festzuhalten bleibt, dass 1993 keiner mehr von Riot irgendwelche härtetechnischen Innovationen erwartete, an deren Erfüllung sie schon 1981 scheiterten, auch wenn weite Teile der metallischen Geschichtsschreibung seltsamerweise anderes behaupten.
Bleiben die gesammelten Bonustracks: „Faded Hero“ fällt soundlich ein wenig ab, ist aber für eine Demofassung trotzdem sehr gut anhörbar. Vom Songwriting her geht hier eine lange balladeske und klavierunterstützte Einleitung in Midtempo-Classic-Rock über, wie er classicrockiger nicht sein könnte. Der 1994er Euro-Bonustrack „I’m On The Run“, der wie beschrieben „A Whiter Shade Of Pale“ ersetzt, wurde interessanterweise von Rising Sun auch an dessen Position, also Nummer 9, eingefügt, obwohl er von der Stimmung her ganz anders zu Werke geht: Die recht aggressiv anmutende Einleitung läßt zwar etwas noch Härteres vermuten als das, was dann letztlich erklingt, aber die recht treibende Nummer schlägt sich dennoch deutlich auf die metallische Seite, wenngleich ihr ein wenig die Eleganz des in jener Reihenfolge direkt nach ihr plazierten „Babylon“ abgeht. „Black Mountain Woman“ schließlich gebärdet sich nochmal als Classic Rock archetypischer Prägung, mit Melodiegirlanden behangen und mit einem etwas eigentümlichen Soloverlauf ausgestattet. So präsentiert sich Nightbreaker zwar als Übergangsalbum, aber in seiner Machart als ein sehr gelungenes, wenn man darauf gefaßt ist, eben keine Kopie irgendeines der Vorgängeralben serviert zu bekommen. Editorische Unklarheit am Rande: Der Albumtitel wird in allen dem Rezensenten vorliegenden Quellen Nightbreaker geschrieben, der Titeltrack in der Tracklist des Posterbooklets, auf der Digisleeverückseite sowie auf dem CD-Label des neuen Re-Releases aber „Night Breaker“, während die Lyrics des Posterbooklets in Übereinstimmung mit Booklet und Inlay der 1994er Euro-Pressung ebenfalls die Zusammenschreibung verwenden.



Roland Ludwig



Trackliste
1Soldier4:54
2 Destiny4:42
3 Burn6:00
4 In Your Eyes4:33
5 Night Breaker4:12
6 Medicine Man5:35
7 Silent Scream5:07
8 Magic Maker5:07
9 A Whiter Shade Of Pale4:59
10 Babylon5:05
11 Outlaw6:03
12 Faded Hero5:32
13 I’m On The Run4:55
14 Black Mountain Woman5:08
Besetzung

Mike DiMeo (Voc)
Mark Reale (Git)
Mike Flyntz (Git)
Pete Perez (B)
Bobby Jarzombek (Dr)



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