Schubert, F. (Faust, I. u. a.)

Oktett


Info
Musikrichtung: Klassik Romantik Kammermusik

VÖ: 18.05.2018

(Harmonia Mundi / Harmonia Mundi / CD / DDD / 2017 / Best. Nr. HMC 902263)

Gesamtspielzeit: 70:11



ERZÄHLEN, DICHTEN, FABULIEREN ...

Der Ton, den das Ensemble um die Geigerin Isabelle Faust für diese Einspielung von Franz Schuberts rund einstündiges Oktett (D. 803) kultiviert, ist gertenschlank, spannungsvoll und mitunter auch schroff: Man hört das pure Klangsubstrat der historischen Instrumente, ohne ein Gramm Vibrato zu viel, wenn überhaupt. Das kann aus einer eher traditionellen Hörperspektive, die bei diesem Stück den warm aufblühenden, sozusagen "romantischen" Ton eines "Mininaturorchesters" gewohnt ist, zunächst durchaus etwas schmallippig wirken.
Freilich: Auf dieser strengen Basis entfaltet sich ein Spiel der Nuancen, das dem bekannten Werk eine Fülle von neuen Details und Eindrücken abgewinnt. Jede Stimme ist dabei individuell ausgeformt, aber keine dominiert (in anderen Einspielungen treten die Klarinette und die 1. Geige oft hervor). Klanglich ist das ganze sehr nah an den Instrumenten aufgenommen, was die "durchleuchtende" Interpretationsweise betont. Während die fünf Streicher ein prägnant artikuliertes, dabei elastisch federndes Netz aufspannen, flicht die Klarienette ihre Leuchtfäden hinein. Das knorzige Fagott und das markante Naturhorn rauhen die Oberfläche auf, sorgen für ein kernig-rustikales Kolorit und manch dramatischen Moment.
Was an Lyrischem in der Musik steckt, wird rhetorisch zugespitzt und angeschärft, das "Paralando" (Faust), die Sprachmächtigkeit von Schuberts Musik, tritt in den Vordergrund gegenüber der sanglichen Linie. Zum Vergleich: Die Einspielung des Mullova-Ensembles auf modernen Instrumenten, aber historisch informiert, findet zu einer wesentlich entspannteren Balance zwischen Rhetorik und Lyrik, ohne ins Undifferenzierte abzugleiten; sie bietet eine nicht minder intensive, dabei klassisch-romantisch orientierte Lesart (Onyx). Ähnlich liegen die Dinge bei der inzwischen fast 25 Jahre alten Einspielung durch die Ensembles Mozzafiato und L'Archibudelli, die auf historischen Instrumenten leichthändig, mit intimer Wärme und Charme aufspielen und Heurigenatmosphäre dort verbreiten, wo es angebracht ist (Sony).

Bei Isabelle Faust und ihren technisch durchweg famosen Mitstreitern wird in den sechs Säzten des Werks so hingebungsvoll erzählt, gedichtet und fabuliert, das man angesichts der Vielschichtigkeit der Musik einmal mehr das Staunen lernt. Einzelne Episoden - und Schubert hat sein Werk ja mit sehr dispartem Material angereichert - treten immer wieder plastisch hervor; trotzdem verliert sich das Ganze nicht ins Fitzelige. Mit weitem Atem gesungen wird vor allem in den langsamen Sätze, doch auch diese geben sich vergleichsweise keusch. Schubert scheint in dieser expressiven Sicht mitunter wie ein lange vergessener Ahne der 2. Wiener Schule - also sehr modern.
Das gilt auch wegen des Humors: Stets lassen die Interpreten die Musik auf dem schmalen Grat zwischen biedermeierlicher Behaglichkeit und augenzwinkernder Ironie tanzen, riskieren überdies den einen oder andern beherzten Blick in den Abgrund, ohne freilich die optimistische Grundstimmung der Musik gänzlich aufzugeben. Man höre nur, wie die Klarinette im finalen Satz loskichert - ist dasnoch Akkrobatik oder schon Hysterie?

Als Draufgabe finden sich die Bearbeitungen zweier Menuette mit Trios aus D. 89 für die Besetzung des Oktetts, die Oscar Strasnoy eingerichtet hat. Die Nr. 3 und Nr. 5 machen große Lust auf weitere Orchestrierungen dieser Art.



Georg Henkel



Besetzung

Isabelle Faust, Anne Katherine Schreiber: Violine
Danusha Waskiewicz: Viola
Kristin von der Goltz: Cello
James Munro: Kontrabass
Lorenzo Coppola: Klarinette
Javier Zafra: Fagott
Teunis van der Zwart: Naturhorn


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