Ravel, M. (Roth, F.-X.)

Daphnis et Chloé (Ballett)


Info
Musikrichtung: Impressionismus Orchester

VÖ: 17.03.2017

(Harmonia Mundi / Harmonia Mundi / 2 CD / DDD / 2016 / Best. Nr. HMM 905280)

Gesamtspielzeit: 55:01



IMPRESSIONISTISCHER MÄRCHENWALD

Was der im vergangenen Jahr verstorbene Pierre Boulez wohl zu dieser Aufnahme gesagt hätte? Der bedeutende Komponist und Dirigent hat sich immer wieder ablehnend über die historisch informierte Aufführungspraxis geäußert. Wozu dass denn gut sein solle? Es gehe doch um die Musik - und nicht um die Instrumente!

Nein, möchte man widersprechen: Eben weil es um die Musik geht, geht es immer auch um die Instrumente! Denn die machen den Klang.
Jüngst haben der der Dirigent François-Xavier Roth und das von ihm gegründete Orchester Les Siècles sowie der Chor Ensemble Aedes auf sogenannten Originalinstrumenten (vom Anfang des 20. Jahrhunderts) Maurice Ravels Ballett Daphnis et Chloé in einer von Roth revidierten Version live aufgenommen. Damit betreten sie u. a. das "Hoheitsgebiet" von Boulez, der 1994 mit den Berliner Philharmonikern eine Einspielung von Ravels Meisterwerk auf "modernen" Instrumenten vorgelegt hat, die nach wie vor als Referenz gilt.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Boulez angesichts dieser Neueinspielung weiter auf seinem Standpunkt beharren würde: Es ist einfach überwältigend, was für einen Farbenrausch Roth und seine Musiker entfesseln und wie sie darüber hinaus das Ausdrucksspektrum bis in die feinsten dynamischen und artikulatorischen Schattierungen ausreizen. Und all dies, ohne dass die unabdingbare französische clarté darunter leidet. Die Darmsaiten der Streicher und der schlankere Ton der französichen Blasinstrumente wahren sozusagen von Natur aus eine gewisse Transparenz. Die Legierungen des Metallschlagzeugs sind weniger rein und klingen deswegen farbiger, treten funkelnd aus dem Ensemble heraus.

Natürlich klingt die Musik auch auf modernen Instrumenten "richtig" - aber offenbar inspirieren die Instrumente aus Ravels Epoche einen gewissen Wagemut, eine Lust an der Grenzüberschreitung: Les Siècles gönnen dem Hörer die Klangekstasen, die Ravel inszeniert hat. Die rauschen, wogen, raunen und flirren in diesem Ballett-Märchenwald wahrlich betörend, verströmen exotische Farben und Düfte, mixen Elegant-Archaisches mit Virtuos-Verfeinertem. Insbesondere der vorzüglich dargebotene Vokalisen-Chorpart verleiht der Musik eine sakrale, ja mystische Note. Man hört, dass Ravel nicht nur eine Folge von Klangbildern bietet, von denen sich die Filmmusikkomponisten bis heute inspirieren lassen, sondern aus dem Klang eine ganze geheimnisvoll beseelte Welt entstehen lässt: eine sehr französische Interpretation der antiken Story um Daphnis und seine geliebte Chloé, die vom Gott Pan aus Seeräuberhänden befreit wird.

Das alles wird in diesem Livemitschnitt mit ungemeinder Präzision und biegsamer Eleganz noch in den schnellsten Passagen dargeboten, ohne dass die Poesie in den magischen und lyrischen Momenten zu kurz käme. Roth und Les Siècles präsentieren uns Ravels knapp einstündiges Ballett wirklich als eine Art Apotheose 'impressionistischer' Orchesterkunst. Aufnahmetechnisch bleiben ebenfalls keine Wünsche offen.



Georg Henkel



Besetzung

Ensembles Aedes

Les Siècles

François-Xavier Roth: Leitung


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