Musik an sich


Reviews
Bach, J. S. (Herreweghe)

Motetten


Info
Musikrichtung: Barock

VÖ: 1.6.2011

(PHI / Note 1 / CD / DDD / 2011 / Best. Nr. LPH002)

Gesamtspielzeit: 62:42

Internet:

Collegium Vocale Gent



PERFEKTION AUF DISTANZ

Philippe Herreweghe ist 2010 dem Trend gefolgt, dass immer mehr Dirigenten ihr eigenes Label gründen, um auch in der Veröffentlichungspraxis weitgehende künstlerische Unabhängigkeit zu genießen. Die zweite Frucht dieses Schritts ist jetzt die Publikation einer Neueinspielung von Bachs Motetten. Es ist kein neuer, kein revolutionärer Ansatz, aber einer, der zeigt, dass selbst bei diesem Repertoire die Suche nach der "wahren" Interpretation noch nicht an ihr Ende gelangt ist und dies vermutlich auch nie tun wird. Herreweghe ist kein Ideologe, sondern ein Forschender, Suchender und ein Pragmatiker. Was etwa die Ausführung in solistischer Besetzung angeht, verweigert er sich den neuen Erkenntnissen nicht grundsätzlich, hat sich aber nach einigem Ausprobieren entschieden, nur die Motetten BWV 229, 227 und 230 in dieser Weise muszieren zu lassen. Nach seiner Auffassung wird hier die kleine Besetzung der "ausdrucksvollen Eloquenz" der Stücke eher gerecht, während die übrigen Werke mit größerer Besetzung bessere Wirkung entfalteten. Darüber lässt sich natürlich trefflich streiten. Insgesamt aber erweist sich diese Wahl als durchaus sinnstiftend und die wechselnde Besetzungsstärke überdies als tragfähiges Mittel, die Gesamtdarbietung der Motetten vielgestaltiger zu machen. Hinzu kommt, dass das Collegium Vocale Gent mehr denn je über eine exquisite Klang- und Intonationskultur verfügt. Hier bekommt die Aufnahme in puncto Perfektion und Homogenität durchaus etwas Überirdisch-Entrücktes und auch Andachtsvoll-Fragiles.

Und dennoch dringt die musikalische Predigt, die Herreweghe in den Motetten ganz zu Recht beinhaltet sieht, nicht durchweg in das Herz des Hörers. Dies ist darauf zurückzuführen, dass er in seiner Ablehnung all jener Mittel, die auch nur entfernt manieristisch scheinen könnten, eine ziemlich bürgerliche Glaubenswelt musiziert. Da wird auch bei den existenziellen Fragen, bei Tod, Teufel, Sünd, Hölle und jubelndem Lobpreis, nie über die Stränge geschlagen, sondern stets ausgewogen, bisweilen sogar egalisierend gesungen. Weder erhält der Eingangs- und Schlussteil von "Singet dem Herrn ein neues Lied" jene befreit jubelnde Leichtigkeit, noch das "Trotz dem alten Drachen" in BWV 229 jene kraftvolle Stärke, die den Hörer mit hineinziehen würde in das textlich geschilderte Geschehen. Die Interpretation verhält sich insoweit zwar nicht unbedingt objektiv, bleibt aber immer in einer gewissen sicheren Distanz zum Gegenstand.



Sven Kerkhoff



Trackliste
1-3 Singet dem Herrn ein neues Lied, BWV 225
4-5 Komm, Jesu, komm, BWV 229
6-16 Jesu, meine Freude, BWV 227
17 Lobet den Herrn, alle Heiden, BWV 230
18 Fürchte dich nicht, ich bin bei dir, BWV 228
19-21 Der Geist hilft unser Schwacheit auf, BWV 226
Besetzung

Dorothee Mields, Zsuzsi Tòth, Maria Keohane: Sopran
Damien Guillon, Robin Blaze: Counetrtenor
Thomas Hobbs, Hans Jörg Mammel: Tenor
Peter Kooij, Stephan MacLeod: Bass

Collegium Vocale Gent

Philippe Herreweghe: Ltg.


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