Musik an sich


Reviews
Mahler, G. (Järvi)

Sinfonie Nr. 2 „Auferstehung“


Info
Musikrichtung: Romantik Sinfonie

VÖ: 14.05.2010

(Virgin Classics / EMI 2 CD / DDD / 2009 live / Best. Nr. 5099969458606)

Gesamtspielzeit: 85:00



SCHÖNER RAUSCH

Die Musik Gustav Mahlers lebt aus den ungeheuren Spannungen ihrer Polaritäten – musikalischer wie inhaltlicher – und deren oft nur unter größter Anstrengung vollzogenen Versöhnung. „Man wird mit Keulen zu Boden geschlagen und dann auf Engelsfittichen zu den höchsten Höhen getragen“, bemerkte dies der Komponist trefflich über seine 2. Sinfonie „Auferstehung“: Der Weg führt durch Krisen und Tod hindurch in ein neues Leben. Solche Extreme gilt es in der Interpretation zu vermitteln – im Klangbild und im Ausdruck.

Der Live-Mitschnitt eines vielbejubelten Konzerts aus der Frankfurts Alter Oper unter Paavo Järvi vom vergangenen Jahr hinterlässt auf CD allerdings einen zwiespältigen Eindruck. Klanglich ist diese Produktion gewiss ein Wonne: Die Wiedergabe des hr-Sinfonieorchester dürfte wegen der plastischen Darbietung bei gleichzeitiger Feinzeichnung des kontrapunktischen Geflechts sowie der ausgefeilten instrumentalen Politur so leicht nicht zu übertreffen sein. Aufnahmetechnisch wird das Wechselbad zwischen dunkler Klanggewalt und elysischer Zartheit durch eine weite dynamische Staffelung vermittelt, die gelegentliche Nachjustierungen der Verstärker-Lautstärke provozieren kann. Das beste Ergebnis erzielt man in diesem Fall wohl bei moderater Volumeneinstellung mit guten Kopfhörern (was den Verzicht auf die pure physische Wucht mancher Einsätze der Blech- und Schlagzeuggruppe bedeutet … Mahler bleibt eben auch für die Klangtechnik eine stete Herausforderung).

Doch die klangliche Energie geht nicht mit einer entsprechenden Dringlichkeit des Ausdrucks einher. Ausgerechnet der Vergleich mit einer alten Einspielung Otto Klemperers mit dem Chor und Orchester des Bayerischen Rundfunks von 1965 (EMI 1998) zeigt, dass die von Närvi und seinen Mitstreitern aufgebotene Klangintensität, Transparenz und Detailfülle nicht alles sind, wenn nicht klar ist, was diese Musik denn eigentlich vermitteln soll.
Insbesondere beim 2. und 3. Satz fällt Närvi nichts anderes ein, als die Musik korrekt und schön musizieren zu lassen. Das klingt völlig humorfrei und kommt ohne jede Doppelbödigkeit aus. So lässt die Musik einfach kalt, auch wenn es so fein gesponnen ist wie hier. Dabei versteht der Dirigent den Orchestermeister Mahler: Der 1. Satz beginnt bei Närvi mit wirklich dramatisch sägenden Bässen; mit klangvoller Wucht fahren Blech und Schlagzeug dazwischen – aber im Ganzen wirkt dieser Satz wie ein überrestauriertes historistisches Gebäude. Es funkelt so makellos, dass einem nicht einen Moment ob der Klanggewalt bange wird. Klemperer beginnt weniger straff, im Vergleich geradezu nachlässig, aber er ist dann im Folgenden eben längst nicht so cool wie Närvi, verschmäht weder Schmerzenston noch Rauigkeit, lässt romantisches Pathos zu.
Die unbezweifelbaren Trümpfe der Närvi-Aufnahme, z. B. das makellose, wirklich entrückte Fernorchester, die beiden blendend disponierten Solistinnen oder der baskische Chor Orfeón Donostiarra, der vom ersten, sanft geatmeten Pianissimo-Ansatz bis hin zu dem gleißenden Klang-Retabel des Tutti-Finales ein Nonplusultra an Homogenität und Leuchtkraft bietet – all dies kann mich nicht wirklich von dieser Neuaufnahme überzeugen, weil sie mich nicht berührt. Die Überwältigung bleibt an der Oberfläche.



Georg Henkel



Besetzung

Natalie Dessay: Sopran
Alice Coote: Mezzosopran
Orfeón Donostiarra

Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt

Paavo Järvi: Leitung


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