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Hoelderlin

8


Info
Musikrichtung: Ambient Prog

VÖ: 08.03.2007

(EMI)

Gesamtspielzeit: 56:27

Internet:

http://www.hoelderlin.com



Auferstanden nach 26 Jahren; im völlig neuen Gewand – The Story of HOELDERLIN, Kapitel 9

8 lautet der schlichte Titel des Albums, mit dem Hoelderlin nach 26(!) Jahren Pause wieder auf der Bühne auftauchen. Er ist – um das gleich zu Beginn zu sagen – schlecht gewählt. Er suggeriert Kontinuität in Form eines achten Albums der Gruppe, die in den 70ern Tausende begeistert hat. Aber 8 ist so weit von seinen sieben Vorgängern entfernt, dass man sich fragt, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn die Band sich einen neuen Namen zugelegt hätte.

Das ist natürlich Unsinn. Denn Hoelderlin 2008 sind mehr als 8. Das Prä waren erst einmal die Live-Auftritte! Die Reunion hatte 2005 stattgefunden, weil Hoelderlin das Angebot bekommen hatten, einen Rockpalast-Mitschnitt zu machen. Da sagt man zu, wenn es irgendwie geht. Anfangs sollten sogar drei alte Recken mit dabei sein, um unterstützt von einem Gitarristen und einem Keyboarder Hoelderlin wieder zum Leben zu erwecken. Aber dann stand Geiger Christopher Noppeney nicht mehr zur Verfügung und die Rhythmusfraktion Hans Bäär (Bass) und Michael Bruchmann (Drums) musste nach anderen Lösungen suchen.

Für die Band war das wohl nicht das Schlechteste. Ein dynamischer Prozess begann, an dessen Ende eine neue Band stand. Im Vordergrund steht nun zart, aber engagiert die Sängerin und Geigerin Ann-Yi Eötvös. Außerdem dabei Andreas Hirschmann (Piano, Streicher) und Dirk Schilling an der Gitarre. Alle drei spielen noch bei anderen Bands. Ann-Yi bei Mir, Andreas bei Taiga8 und Dirk bei Filmpalast. Bei Live-Auftritten stößt gelegentlich Marcus Wienstroer (Violine, Akustikgitarre) dazu.
Mit einer aktiven Band im Hintergrund war die EMI bereit den Backkatalog der Band remastert und mit Linernotes versehen neu auf den Markt zu bringen. Die Marktchancen waren bereits Anfang 2005 mit der Remaster-Edition des Live-Albums Traumstadt aus dem Jahre 1978 getestet worden. Ende 2005 – kurz vor den ersten Konzerten – hatten Hans Bäär und Michael Bruchmann den Namen Hoelderlin im Einvernehmen mit Christian Grumbkow und anderen ehemaligen Bandmitgliedern offiziell übernommen.
So standen alle Signale auf grün, als am 18. Dezember 2005 im Rex-Theater in Wuppertal ein erster Warm up-Gig stattfand. Als Gast stand dort nicht nur der bereits in die Reunion-Geschehnisse eingebundene Christopher Noppeney auf der Bühne, sondern auch Nanny de Ruig, die Sängerin des 72er Debüt-Albums Hoelderlins Traum. Ein passender Gast – denn jetzt, 35 Jahre später, waren Hoelderlin erneut zur Band mit Sängerin geworden.

Im Herbst 2006 geht die neue Truppe ins Studio, um an einem neuen Album zu arbeiten und „eigene“ Stücke aufzunehmen. Bevor das Album im März 2007 erscheint, sind im Februar die sechs Remaster-Alben fällig. Damit ist – mit Ausnahme des Debüts – der gesamte Hoelderlin-Backkatalog wieder zu haben. Auch die Veröffentlichung von Hoelderlins Traum ist geplant, derzeit aber noch nicht möglich, da die Rechte noch nicht frei sind.

Das neue Album hält von Anfang an nicht mit seinen Neuerungen hinter dem Berg. Kraftvoll und sich hypnotisch steigernd eröffnet „Angel“ den Reigen. Die Stimme von Ann-Yi Eötvös dominiert das Stück deutlich. An zweiter Stelle kommt der Bass. Keines der verschiedenen Hoelderlin Trademarks tritt zu Tage, keine verspielten Melodien, kein Kraut- und schon gar kein Melodic Rock. Weist man auf die sich wiederholende Struktur des Stückes hin, dürfte alten Fans Stücke wie „Phasing“ in den Sinn kommen. Aber auch damit hat „Angel“ kaum etwas zu tun. Eher kommt man in den Bereich der in den 90ern prägend gewesenen ruhigen Metal Acts wie The Gathering. Aber auch zwischen ihnen und den neuen Hoelderlin liegen vielleicht nicht Welten, aber doch zumindest weite Ländereien. Und wenn dann die Violine erklingt, klingt auch sie völlig anders als die, die man Noppeney gewohnt ist.
„Nice to be real” setzt den eingeschlagenen Kurs fort. Die Stimme steigt teilweise in sehr hohe Höhen hinauf. Die Gitarre darf mehr in den Vordergrund treten. War man in den ersten Minuten, geprägt von der Freude, dass es endlich wieder Hoelderlin gibt, noch mehr als geneigt sich 8 schön zu hören, lassen sich langsam Begriffe wie „seicht“ und „langweilig“ kaum noch ins Unterbewusste verweisen.
Aber die alten Recken können auch anders. „You“ beginnt sehr ruhig mit der sanften Stimme von Hans Bäär. Der Text wird dann noch einmal von Ann-Yi wiederholt, bevor sehr stark ein Cello einsteigt. Ann-Yi begleitet es mit einem leichten Gesang, der mehr Ton als erkennbares Wort ist. Dann steigert „You“ sich mäandernd, wird immer intensiver und lauter, erinnert von der Atmosphäre her stellenweise entfernt an Uriah Heep in der Look at yourself-Phase. Einer der Höhepunkte des Albums.
Danach fällt 8 wieder in den Anfangstrott zurück, nein, Trott ist natürlich völlig falsch! Anfangsschweben oder –gleiten müsste man es nennen. Die Frauenstimme, deren Zartheit immer häufiger dünn wirkt, wird erst von der Violine, dann von der etwas stärker agierenden Akustikgitarre begleitet.
Es folgt der wohl schmissigste Song des Albums. „Caleidoscope“ hätte auch einen Platz auf Moody Blues Long Distance Voyager finden können. Näher als mit diesem 80er Jahre Melodic Rock nähern sich Hoelderlin ihrer eigenen Vergangenheit, und zwar der New Faces-Phase, an keiner anderen Stelle von 8 an. Auch die elektronisch verfremdete Stimme verweist in die 80er.
Das folgende „On the Bridge” folgt dem sehr ruhigen Duktus des gesamten Albums, steigert sich aber in ein schönes Gitarrensolo. Das rhythmische „Come to me“ verklingt ohne große Überraschungen. Dann werden zum Schluss noch zwei Mal neue Saiten aufgezogen. „The Mechanism of Antikythera“ hat seine ruhigen Phasen, aber auch sehr schräge Momente, die dem Krautrock-Fetischisten wohl den einzigen Anknüpfungspunkt zu 8 bieten.
Das über das Piano gehauchte „Rivers“ ist wirklich schön, aber ist es – und diese Frage stellt sich wirklich bei jedem Stück: Sind das noch, bzw. wieder Hoelderlin?

Von dem neuem Album allein aus gesprochen, ist ein klares Nein angebracht. Der Ambiente-Anteil ist erheblich größer, als je zuvor und hat einen völlig anderen Charakter, als bei alten Hoelderlin-Stücken, wie z.B. „Phasing“. Progressive-, oder gar Kraut-Anteile muss man mit der Lupe suchen. Die Prägung durch die ruhige Seite von „Elfen-Bands“ der 90er ist unübersehbar.

Für die Beurteilung des Albums sollte das aber erst einmal keine Rolle spielen. Wenn die Punktzahl hier eher gering ausfällt, dann nicht weil Hoelderlin sich weiterentwickelt oder verändert haben. Das ist nach einem Vierteljahrhundert und massivem Besetzungswechsel zu erwarten. Das Album hat schlicht zu viel Längen und zu wenig Höhepunkte. Und der Reiz der neuen Stimme trägt nur zwei oder drei Stücke. Dann nutzt er sich ab. Wirklich tragen tut Ann-Yi die Band nicht.
Zweieinhalb Highlights in der Gestalt von „You“, „Caleidoscope“ und vor allem „River“ belassen 8 weitgehend in der Mittelmäßigkeit.

Ein Urteil über die Zukunft Hoelderlins ist damit nicht gesprochen. Die Fans, die die Band gegebenenfalls in der Zukunft tragen werden, dürften sowieso überwiegend an den Klassikern interessiert sein. Und die versteht die neue Formation zu präsentieren. Das haben Hoelderlin bei der Tour im vergangenen Jahr gezeigt, als sie 8 der Öffentlichkeit präsentiert haben.
Und als Ergänzung zu den Klassikern funktionierten die neuen Sachen nicht schlecht. Dass sie im Mengenverhältnis etwas zu sehr dominiert haben, war der Aktualität von 8 geschuldet. Das wird bei kommenden Touren sicher nicht mehr so sein. So dass sich Fans auf einen gediegenen Genuss freuen können.

Gewisse Veränderungen hatte es auch bei der Tour bereits wieder gegeben, da Gitarrist Dirk Schilling die Band bereits vor Beginn wieder verlassen hatte.

Die Zukunft bleibt nur spannend, solange sie offen ist. Insofern bedienen uns Hoelderlin zurzeit großzügig. Wir werden unsere Reise durch das Leben der Band in der nächsten Ausgabe mit einem abschließenden Interview erst einmal beenden.

Fortsetzung folgt



Norbert von Fransecky



Trackliste
1Angel 5:36
2 Nice to be real 5:02
3 You 8:29
4 Forget me now 4:12
5 Late 3:41
6 Caleidoscope 6:03
7 On the Bridge 6:26
8 Come to me 4:42
9 The Mechanism of Antikythera 6:12
10 Rivers 5:20
Besetzung

Michael Bruchmann (Dr, Perc)
Hans Bäär (B, Git, Voc)
Andreas Hirschmann (Keys, Streicher, Voc)
Ann-Yi Eötvös (Voc, Violine)
Dirk Schilling (Git)


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