Musik an sich


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Messiaen, O. (Conway)

Kammermusik (inkl. Quatuor pour la fin du temps)


Info
Musikrichtung: Moderne Ensemble

VÖ: 23.05.2008

(Linn / Codaex SACD / AD 2007 / Best. Nr. CKD 314)

Gesamtspielzeit: 75:00


Olivier Messiaens vielgespieltes Kammermusikwerk, das Quatuor pour la fin du temps, entstand unter widrigsten Bedingungen während Messiaens Kriegsgefangenschaft 1940/42. Ein kunstsinniger deutscher Offizier verschaffte dem Komponisten, der damals mit tausenden anderen Franzosen im Stalag VIII-A bei Görlitz an der polnischen Grenze interniert war, Notenpapier und Bleistift. Das Werk wurde auf den verfügbaren, zum Teil recht ramponierten Instrumenten – einem Klavier mit hängenden Tasten, einem Cello mit vier statt fünf Saiten, einer Violine und einer Klarinette – am 15. Januar 1941 in der Waschbaracke des Lagers vor 300 Gefangenen und der Lagerleitung uraufgeführt.

Messiaen reagierte auf die Schrecken des Krieges mit einer Musik, die von der Offenbarung des Johannes inspiriert ist. Der Seher auf der Insel Patmos wirft im letzten Buch der Bibel einen Blick auf das Ende der Zeiten: die Verwandlung der vergänglichen ersten Schöpfung durch Kampf, Schrecken, Tod und Gericht hindurch in eine neue und ewige Schöpfung, in der „Gott alles in allem ist“. Die mächtigen Bildworte und Symbole dieses vieldeutigen Berichtes hatten Messiaen immer schon fasziniert, auch später bezog er sich immer wieder auf Motive der Johannes-Offenbarung.
Ungewöhnlich für Messiaens Schaffen ist das den Umständen geschuldete kleine, in der klanglichen Balance heikle Ensemble. Der Komponist löst das Problem durch eine weitere Aufteilung der Instrumente: Zwei Sätze sind Duos für Klavier und Streichinstrument, der dritte Satz ist ein Klarinettensolo. In den anderen Sätzen werden die Klangfarben meist zur Grundierung oder auch Schärfung des rhythmisch und motivisch verwickelten Satzes eingesetzt. Umso wirkungsvoller gerät in diesem oft sparsamen Kontext z. B. das Tutti im 6. Satz, ein rhythmisch komplizierter, aber homophon gesetzter Tanz, der auf die Sieben Trompeten der endzeitlichen Engel anspielt. Das Werk lebt von seinen extremen, auf engsten Raum konzentrierten Kontrasten: apokalyptischer Furor und himmlische Süße wechseln unvermittelt miteinander ab.

Das Quartett wurde schon sehr oft und auch sehr gut eingespielt. Dennoch: So dramatisch und ausdrucksvoll, dabei bis ins letzte Detail durchhörbar wie beim Hebrides Ensemble habe ich es noch nicht erlebt. Meist wird das Stück als weltabgewandte religiöse Meditation oder als phantastisch-lichtvoller Gegenentwurf zur grausamen Kriegswirklichkeit aufgefasst. Die Tempi sind dann ruhig, manchmal ausgesprochen langsam, vor allem in den unendlich voranschreitenden Duos, in denen die Zeit stillzustehen scheint.
Auch bei den Hebrides-Leuten fehlt es an solchen Momenten nicht, wenngleich die Duos insgesamt recht zügig gespielt werden (ohne dabei forciert zu wirken).
Aber die kontrollierte Wildheit, mit der z. B. die Introduktion zur Vokalise des Engels, der das Ende der Zeiten ankündigt, erklingt, erreicht eine so noch nicht gehörte Kraft und abgründige Wucht (2. Satz). Das gilt auch für den erregenden Tanz der Sieben Trompeten und erst recht für die surrealen, farbigen Klangwirkungen der ineinanderverschlungenen „Regenbögen“ im furiosen 7. Satz. Die bis in extreme ppp- und fff-Werte ausgereizte Dynamik wird von einer sehr präsenten, räumlichen weit gestaffelten Klangtechnik unterstützt. Dadurch bekommt die Musik eine geradezu ekstatische Strahlkraft und Lebendigkeit.
Dies kann man, wie auch die scharfen Anblasgeräusche der Klarinette (nicht nur) im 3. Satz, als penetrant und vordergründig empfinden. Aber dieser Ansatz hilft, Messiaens Musik aus dem Ghetto mystischer Verklärtheit herauszuholen.
Nicht allein in den Turbulenzen, Klangsplittern und heulenden Glissandi des 7. Satzes vernimmt man jetzt auch das Echo eines entsetzlichen Krieges. Die tröstliche Entrücktheit der Duos verleugnet nicht, dass sie nicht einfach vom Himmel gefallen sind, sondern durch Zweifel und Krisen hindurch errungen wurde. Der Engel der Apokalypse ist – wie alles Heilige – herrlich und schrecklich zugleich.

Ein weiterer Vorzug dieser Platte ist die Kombination des Quartetts mit den ansonsten eher selten zu findenden übrigen Kammermusiken Messiaens. Das Thème et variations von 1932 birst hier geradezu vor Emotionalität. Kaum kann man sich die Rufe der Gartengrasmücke im kurzen Widmungsstück für Alfred Schlee für Klavier und Streichquartett (1991) plastischer vorstellen. Gleiches gilt für die Amsel, Le Merle noir (1952), einem "Testlauf" für Messiaens zahlreiche Vogelstil-Stücke der 50er Jahre. Zusammen mit der 1933 komponierten Fantasie, die erst kürzliche von Messiaens Witwe wiederentdeckt wurde, runden sie im Jubiläumsjahr die Messiaen-Diskographie auf ebenso so hohem Niveau ab wie das außerordentliche Quartett.



Georg Henkel



Trackliste
1Quatuor: Liturgie de cristal 2:42
2 Quatuor: Vocalise, pour l'Ange qui announce la fin du Temps 4:34
3 Quatuor: Abime des oiseaux 6:52
4 Quatuor: Intermede 1:43
5 Quatuor: Louange a l'Eternite de Jesus 7:35
6 Quatuor: Danse de la fureur pour les sept trompettes 6:10
7 Quatuor: Fouillis d'arcs-en-ciel, pour l'Ange qui annonce la fin du Temps 7:02
8 Quatuor: Louange a l'Immortalite de Jesus 8:32
9 Theme et variations für Violine und Klaiver 10:40
10 Piece für Klavier und Streichquartett 3:16
11 Fantaisie für Violine und Klavier 8:16
12 Le Merle noir für Flöte und Klavier 6:06
Besetzung

William Conway – Ltg. & Cello
Alexander Janiczek - Violine
Sarah Bevan Baker - Violine
Catherine Marwood - Viola
Rosemary Elliot - Flöte
Maximiliano Martín - Klarinette
Philip Moore – Klavier


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