Musik an sich


Reviews
Händel, G. F. (de Marchi)

Il trionfo del Tempo e del Disinganno


Info
Musikrichtung: Barock / Oratorium

VÖ: 23.05.2008

Hyperion / Codaex (2 CDs, DDD (AD: 2007) / Best.nr. CDA7681/2)

Gesamtspielzeit: 137:26

Internet:

Hyperion

Academia Montis Regalis



FRÜHES GLANZSTÜCK

Händels erstes Oratorium, das in Rom entstandende "Il trionfo del Tempo e del Disinganno", ist schon vom Libretto her alles andere als ein trockenes allegorisches Werk. Zwar treten als Figuren die Schönheit (Bellezza), das Vergnügen (Piacere), die Erkenntnis (Disinganno) und die Zeit (Tempo) auf, doch sind diese keineswegs so eindimensional, wie es die Begrifflichkeiten nahelegen. Die Schönheit etwa ist letztlich nichts anderes als die zwischen den Verlockungen des leichten Lebens und den guten Absichten/religiösen Bemühungen hin und hergerissene menschliche Seele. Das Vergnügen versucht, sie - gleich einem neidischem Verehrer - auf seine Seite zu ziehen. Erkenntnis und Zeit hingegen wollen die Schönheit als innere Schönheit für die Ewigkeit retten und den vergänglichen Vergnügungen entreißen. Doch so sehr sie auch zerren - die Schönheit muss erst einen schmerzhaften Weg des Begreifens hinter sich bringen, um sich letztendlich für die "gute Seite" zu entscheiden.
Die Psychologie und Dramaturgie zeichnet Händel bereits in diesem Frühwerk äußerst punktgenau nach, was es turmhoch aus der Masse der Barockoratorien herausragen lässt und ganz klar in die Nähe des Opernhaften rückt.

Dem entspricht die Interpretation, die Alessandro de Marchi vorlegt: Seine Academia Montis Regalis spielt bei kleiner Besetzung schlank und beweglich bis aggressiv, wobei vor allem die Bläserstimmen sehr schön hervortreten und die Farbigkeit der Partitur betonen.
Für die Rolle der Bellezza hätte schwerlich eine bessere Besetzung als Roberta Invernizzi gefunden werden können. Ihr Sopran ist zwar nicht groß und voluminös, aber ausdrucksstark, klangschön und koloratursicher. Mit wandlungsfähigem Vortrag verleiht sie der Figur einen glaubwürdigen, vielschichtigen Charakter. Kein Wunder, dass Piacere - hier Kate Aldrich - ihr verfallen ist und um sie wirbt. Dies tut die Mezzosopranistin mit dramatischer Schärfe, gewissermaßen ganz den weltlich-opernhaften Vergnügungen entsprechend, die sie verkörpert. Aldrichs Stimme ist in der tiefen Lage genau so profund, wie sie in der Höhe Strahlkraft besitzt. Jedoch verheddert sie sich aufgrund halsbrecherischer Tempi bisweilen im Dickicht der Koloraturen.
Der Countertenor Martin Oro gibt die Erkenntnis mit angenehm rundem und vollem Ton, während Jörg Dürmüller der Zeit zwar eine schön klingende Stimme leiht, aber den von ihr vorgestellten Schrecken der Vergänglichkeit und Endlichkeit nicht zum Ausdruck bringt, da er als einziger im oratorienhaften Vortrag verharrt.

Die Einspielung ist aufgrund des kleiner besetzten Orchesters, aber auch des Werk- und Rollenverständnisses der Vokalsolisten bei weitem nicht so klangsinnlich geraten, wie die vor nicht allzu langer Zeit erschienene Vergleichseinspielung unter Emanuelle Haime (Virgin Classics, 2006). Die Auseinandersetzung der Charaktere vollzieht sich hier bei trockener Akustik statt dessen mit spitzer Zunge und einiger Widerborstigkeit.



Sven Kerkhoff



Besetzung

Bellezza: ROBERTA INVERNIZZI, Sopran
Piacere: KATE ALDRICH, Mezzosopran
Disinganno: MARTIN ORO, Countertenor
Tempo: JÖRG DÜRMÜLLER, Tenor

ACADEMIA MONTIS REGALIS

Ltg.: ALESSANDRO DE MARCHI


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