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Reviews
Prokofiev, S. (Strobel)

Alexander Nevsky (Filmmusik)


Info
Musikrichtung: Filmmusik

VÖ: 03.05.2004

Capriccio / Delta Music
SACD hybrid (AD 2003) / Best. Nr. 71 014


Gesamtspielzeit: 55:56



AUSGRABUNG: PROKOFIEVS EPOCHALE FILMMUSIK ZU EISENSTEINS „ALEXANDER NEVSKY“

AUF DER SUCHE NACH DER PARTITUR …

Es ist nicht das erste Mal, dass das deutsche Label Capriccio die Hörer mit einer Ausgrabung überrascht, die eine echte Repertoire-Lücke schließt. In diesem Fall ist den Produzenten jedoch mit der Ersteinspielung von Sergei Prokofievs (1891-1953) Filmmusik zu Sergei Eisensteins monumentalen Historienfilm Alexander Nevsky von 1938 ein besonderer Coup gelungen. Die musikalischen Antennen der Hörer werden hier auf gänzlich neues Terrain ausgerichtet.
Das aber musste für dieses Projekt überhaupt erst einmal erschlossen werden: Die Tonspur zu Eisensteins Film ist nämlich technisch ungenügend, die Musik klingt völlig übersteuert und verzerrt. Prokofievs Originalpartitur war zudem bis vor kurzem unzugänglich; für eine Rekonstruktion der Musik bedurfte es aber noch zahlloser Korrekturen und Ergänzungen durch weiteres Material – und in zwei Fällen half nur das Gehör, das sich an der ramponierten Tonspur des Filmes zu orientieren hatte.
Der Aufwand hat sich gelohnt: Prokfievs Komposition ist alles anders als Gebrauchsmusik, sondern ein Soundtrack, der sich auf der Höhe der revolutionären Bildersprache Eisensteins bewegt. Im vergangenen Jahr, pünktlich zum 50 Todestag des Komponisten und 65 Jahre nach der Entstehung des Films, konnte Eisensteins Epos erneut mit der Original-Musik im Berliner Konzerthaus aufgeführt werden – live gespielt vom Rundfunk-Sinfoniorchester Berlin unter Frank Strobel, der zugleich als Herausgeber der Partitur verantwortlich zeichnet.

MUSIK ZUM FILM ODER FILM ZUR MUSIK?!

Der Film erzählt die Geschichte des russischen Nationalhelden Alexander Nevsky, der im 13. Jahrhundert die gespaltenen russischen Stämme zum siegreichen Kampf gegen die deutschstämmigen Ordensritter vereinte - ein filmischer Reflex auf die Bedrohung Sowjet-Russlands durch Hitler-Deutschland. Nachdem Hitler den Pakt mit Stalin gebrochen hatte, nutze die Propaganda Eisensteins Film sofort für die Mobilisierungskampagne.
Eisenstein „komponierte“ die grandiosen Bilder in diesem Beinahe-Stummfilm von Anfang mit Blick auf die Musik, die hier nicht nur eine Klangfolie abgibt, sondern eine regelrechte Klangspur für die ansonsten eher sparsam mit Geräuschen oder Dialogen vertonten Szenen darstellt. Im ersten Teil der Dreharbeiten produzierte Prokofiev die Musik als Klavierversion vor, und Eisenstein drehte dann nach dieser Vorlage; im späteren Verlauf wechselte man: Eisenstein lieferte dem Komponisten einen Rohschnitt, auf den dieser dann häufig über Nacht die Musik einrichtete.
Die allerdings hat es in sich: monumental in Geste und Ausdruck, ist sie doch von erstaunlicher Prägnanz und Transparenz (anders als die gleichnamige, nachkomponierte Kantate Prokofievs, die viel konventioneller, „bombastischer“ daherkommt). Mehr gestisch als malerisch, dabei aber ausgesprochen suggestiv, nimmt sie den Rhythmus der Bilder und die Aktionen der Akteure auf und treibt diese ihrerseits voran. Experimentelle Klangeffekte und die überlegte Ausnutzung von Studioakustik und –technik verleihen der Musik ein ungewohntes Kolorit: Prokofiev positionierte z. B. einige Blechbläser sehr nah an den Mikrofonen, um für die Schlachtszenen einen durchdringenden, aggressiv-emotionalen Klang zu bekommen. Oder er ließ auf die gleiche Weise eher leise Instrumente akustisch im Vordergrund agieren, so dass sich ein dynamisch und farbig reich gestaffelter Klangraum ergibt. Für die finale Schlacht auf dem Eis, die im Film rund 25 Minuten einnimmt (also beinahe ein Viertel der Gesamtdauer), werden die Themen von Prokofiev sinfonisch durchgeführt und zu einem großen Klangkomplex vereint. Chortableaus, der Einsatz eines Mezzosoprans und russische Volksmelodien sorgen je nachdem für erhabenes, patriotisches oder anrührendes Pathos.

Alles in allem ist dieser Soundtrack mehr eine Musik zum Film als Filmmusik. Prokofievs Musik bietet dem aufmerksamen Hörer Ohren-Kino und funktioniert auch ohne die Bilder Eisensteins. Die kompetente Einspielung durch das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und eine angenehm trockene, detailfreundliche Aufnahmeakustik, wahlweise in CD oder SACD-Qualität, tragen das ihrige dazu bei, dass dieses Stück Kino- und Musikgeschichte in der Gegenwart ankommt. Das gut ausgestatte, illustrierte Booklet bietet alle notwendigen Hintergrundinformationen zum Projekt.



Georg Henkel



Besetzung

Marina Domaschenko, Mezzosopran
Ernst-Senff-Chor

Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

Frank Strobel, Leitung & Herausgeber


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