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Reviews
Istanpitta (Agnel)

Danses florentines du Trecento


Info
Musikrichtung: Mittelalter

VÖ: 01.05.2004

Alpha / Note 1
CD DDD (AD 2003) / Best. Nr. Alpha 510


Gesamtspielzeit: 57:46



ZURÜCK ZU DEN WURZELN: DAS MITTELALTER KLINGT HEUTE ORIENTALISCH

Sigelnummer 29987 / British Library. So nüchtern ist Musikwissenschaft. Eine alte Handschrift. Inhalt: einige Madrigale, die sich auf 1350 datieren lassen. Dahinter 15 einstimmige Instrumentalstücke, Tanzmusik mehrheitlich, im Stil der Zeit. Das Besondere: Es ist dies eine der frühesten Sammlungen reiner Kunst- und Tanzmusik des Mittelalters. 50 Jahre nach der Großen Pest von 1358, die ein apokalyptisches Fest des Todes in ganz Europa mit schätzungsweise 25 Millionen Opfern gefeiert hatte, weht ein neuer Wind durch die Lande. Das hohe Mittelalter mit seiner weltflüchtigen Mystik verabschiedet sich, gefolgt von einer Epoche neuer Diesseitigkeit: der Renaissance. Hielt man bisher nur geistliche Musik für Wert, aufgeschrieben zu werden, so entdeckt man nun die weltliche Musik als Kunst-Musik, die um ihrer selbst Willen geschätzt und bewahrt wird.
Dennoch sind die Stücke dieser Sammlung in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Sprechende Titel wie Istanpitta, Trotto oder Saltarello lassen keinen Zweifel an der Funktion: Diese Musik will tänzerisch „gestampft“, „getrabt“ oder „gehüpft“ werden. Allerdings fallen die Istanpitten durch eine ungewöhnlich ausgreifende melodische Linie mit großen Intervallsprüngen und eine mitunter irrwitzige Virtuosität aus dem Rahmen. Und was ist mit Stücken wie dem Lamento die Tristano oder dem Lamento Manfredina? Mit ihrem eher getragenen, expressiven Charakter scheint es sich eher um musikalische Porträts denn Tänze zu handeln.

Also: Liegt hier vielleicht ein rares Zeugnis für mittelalterliche „Avantgarde-Musik“ vor? Die Antwort auf diese Frage hängt nicht wenig von den Interpreten ab. Denn die einstimmig notierte, uninstrumentierte Musik stellt nur das Grundmaterial bereit, das mit den Mitteln der Vergangenheit (oder auch der Gegenwart) für moderne Ohren zu musikalischem Leben erweckt werden will. Gewiss kann es sehr ausdrucksvoll sein, diese Musik wie notiert einem einzelnen Instrument anzuvertrauen. Aber nicht weniger faszinierend und aufregend ist die Einrichtung für eine mittelalterliche „Band“.
So hat es vor zehn Jahren das Ensemble Unicorn mit eindrucksvollem Ergebnis gemacht (Naxos 8.553131). Rasant, funkelnd, virtuos und ausdrucksstark – ohne jenes pseudoarchaische Kolorit, das man sonst so häufig bei Musik dieser Zeit findet: leere Quinten an Fidelsound oder so ähnlich. Die Modernität der Musik wird hörbar – und unterhält bestens. Dass die Wurzeln der westeuropäischen Musik orientalisch sind, klingt beim Ensemble Unicorn noch von Ferne an.

VOM GEIST DERM MUSIK … ODER: ALLES GEHT!?

Ganz anders die Musiker, die sich für diese Neueinspielung um Henri Agnel versammelt haben. Europäische Instrumente des Mittelalters sind hier in der Minderzahl, muten für heutige Ohren allerdings ausgesprochen exotisch an: Neben Cister und Ceterina, gezupften Abkömmlingen der Fidel, findet sich noch das Quinton, ein Kombiinstrument aus Violine und Viola. Die wirklichen Exoten kommen aus Indien, wie die Bambusflöte Bansuri, oder sind arabischen (Laute Oud), indischen bzw. brasilianischen Ursprungs (Schlagzeug Zarb und Udu). Agnel begründet die Wahl dieser Instrumente schlicht damit, dass die unbezeichnete einstimmig notierte Musik des Mittelalters prinzipiell für jedes Instrument geschrieben sei und vom Interpreten entsprechend angepasst werden müsse. Das Instrument sei eben nur ein Instrument, ein Medium für den Geist der Musik. Und auf den schließlich komme es an.

Darüber lässt sich gewiss geteilter Meinung sein. Zumal das Ergebnis im Ganzen weniger überzeugt als beim Ensemble Unicorn. Es ist nicht so, dass die Adaption für außereuropäische Instrumente zu eklektisch geraten wäre. Im Gegenteil: Agnel beweist großes Gespür für die Kombination von Klangfarben und unterschiedlichen Temperamenten. Insoweit ist das Projekt sicherlich gelungen. Doch die 11 ausgewählten Stücke entwickeln zu wenig Individualität, die Besetzungen klingen auf Dauer zu eintönig. Mittelalterliche Klänge zur Wasserpfeife? Das trifft es vielleicht. Agnel und seine Musiker machen aus der spannungsvollen Vorlage zwar schöne, aber leider auch zu „entspannte“ Musik, um den Hörer für rund 60 Minuten zu fesseln.



Georg Henkel



Trackliste
1Istanpitta Tristano & Manfredina06:30
2Istanpitta Ghaetta13:23
3Istanpitta In Pro06:05
4Istanpitta Chanconetta Tedescha05:01
5Istanpitta Saltarello03:43
6Istanpitta Saltarello & Trotto07:02
7Istanpitta Isabella06:34
8Istanpitta Tre Fontana05:06
9Istanpitta Saltarello04:22
Besetzung

Henri Agnel (Cister, Ceterina, Oud, Arrangements und Leitung)
Michael Nick (Quinton)
Henri Tournier (Bansuri)
Djamchid Chemirani (Zarb)
Idriss Agnel (Udu)



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