Musik an sich


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Naumann? Cora ... Wer? - Eine echte Entdeckung bei den Händelfestspielen 2001 in Halle
 
Der Vulkanausbruch kündigt sich mit einem bedrohlichen Pedalton von Posaunen und Hörnern an. Mitten in der Oper "Cora und Alonzo" von Johann Gottlieb Naumann bebt aber nicht nur die Erde im Andenstaat Peru: Die Indianerin Cora soll der großen Inka-Gottheit als keusche Priesterin dienen. Doch ihr Herz schlägt längst für den Spanier Alonzo ... Es braucht nicht viel Phantasie, in den entfesselten Naturgewalten ein Symbol für die Gefühsverwirrung der Akteure und den Umbruch einer überlebten Ordnung zu erkennen. Das ferne Amerika wird zum Spiegel- und Wunschbild Die Liebe der Protagonisten sprengt das System! Aber noch ist es der König, der schließlich das Gesetz zugunsten der Liebenden ändern wird. Kaum 10 Jahre vor der französischen Revolution endet das Werk noch mit dem Triumph von Verstand und Gefühl als Lobgesang auf den aufgeklärten Absolutismus.
Dass bei den diesjährigen Händelfestspielen in Halle an der Saale nicht nur kleinmeisterliche Seitenpfade beschritten wurden, zeigte einmal mehr eine beeindruckende Aufführung von Naumanns Oper. 1741 in Blasewitz bei Dresden geboren, gilt Naumann als wichtigste musikalische Persönlichkeit für die Zeit zwischen Johann Adolph Hasse (1699-1783) und Ferdinando Paer (1771-1839). Einordnungen wie diese zeigen allerdings nur, dass Naumann und seine Musik bislang mehr die Sache von musikalischen Nachschlagewerken und Bibliotheken war. Von seinen zahlreichen Opern liegt aus jüngerer Zeit nur eine Aufnahme von "Gustaf Wasa" (Virgin) vor, die bis in 19. Jahrhundert als schwedische Nationaloper galt. Tatsächlich waren nicht nur Dresden, sondern auch Kopenhagen und Stockholm Orte, an denen Naumann wirkte. Das Libretto von "Cora och Alonzo", so der schwedische Originaltitel, wurde aber noch während der Arbeit an der Oper ins Deutsche übertragen und das ganze Werk zudem durch Ergänzungen verbessert. In dieser Form gelangte es dann auch 1780 in Dresden zur Uraufführung, zwei Jahre früher als in Schweden. Bis 1830 folgten weitere 42 Aufführungen, dann verschwand die Oper wie so viele andere in der Versenkung. Die lange Spielpause hat dem Stück hörbar nicht geschadet. Wenn auch das Sujet von der keuschen Inkapriesterin und ihrem spanischen Geliebten, von religiösem Fanatismus und wahrer Vernunftreligion heute etwas sehr pädagogisch, eben aufgeklärt daherkommt, so ist es - wie bei fast allen Opern - die Musik, die den Hörer über drei Stunden mit dem Liebespaar Cora und Alonzo mithoffen, -lieben und -leiden läßt. Daß diese Ausgrabung so viel Vergnügen bereitete, verdankte sich nicht zuletzt den Interpreten. René Jakobs hat die Partitur mit Concerto Köln und einem vorzüglichen Sängerensemble einstudiert. Dem belgischen Countertenor sind in den vergangenen 15 Jahren einige der originellsten Interpretationen vor allem von Barockopern des 17. und 18. Jahrhunderts gelungen. Hatte er sich mit seiner spektakulären Einspielung von Mozarts "Cosí fan tutte" einem "echt" klassischen Werk zugewandt, so handelt es sich bei Naumann um einen jener Komponisten, die Altes und Neues gekonnt in einer faszinierenden, individuellen Mischung bieten. "Cora und Alonzo" könnte man am ehesten als eine deutsche, deutlich reformorientierte Opera Seria bezeichnen: Als Arienform wird gegenüber der geschlossenen Da-Capo-Form die offenere Cavatina bevorzugt, hochvirtuoser Spätbarock steht neben empfindsamen Stücken und solchen, die schon auf die Romantik voraus weisen. Eine stringente Dramaturgie verbindet die Arien mit den zahlreichen Ensemblen und Chören und hält über drei Akte die Spannung. Naumann erweist sich als geschickter Orchestrator, mischt vielfältige Klangfarben und arbeitet mit unkonventionellen Effekten, wenn es die Situtation verlangt. Dies alles wurde von Concerto Köln bis in zarteste Pianissomo-Bebungen exzellent umgesetzt. Holz- und Blechbläser, bei historischen Instrumenten immer ein Risikofaktor, bewältigten ihre Partien souverän und klangschön. Es war eine Lust, dem engagierten, begeisterten Spiel des Orchesters zuzusehen. Auf gleich hohem Niveau bewegten sich die Sängerinnen und Sänger. Die ursprüngliche Kastratenpartie des Alonzo war mit der Mezzo-Sopranistin Bernada Fink mehr als adäquat besetzt: Die Sängerin hat schön öfter mit Jakobs zusammengearbeitet und blieb ihrer Rolle weder etwas an dramatischen Impetus noch an elegischen Tönen schuldig. Ihr zur Seite sang nicht weniger überzeugend die Lettin Inga Kalna als Cora; ihr zunächst etwas herbes Timbre erwies sich vor allem im zweiten Teil der Aufführung als ausgesprochen passend. Beider Duett geriet ebenso zu einem Höhepunkt wie die koloraturgespickte Jubelarie der Cora am Ende des 3. Aktes. Unter den männlichen Sängern nahm der Tenor Joahnnes Chum in der Rolle des König Atabila durch seinen lichten, klangschönen und - wenn es sein mußte - hochvirtuosen Tenor für sich ein. Bei den kleineren Partien sei insbesondere der Bass Markus Marquard hervorgehoben, der als Rocca das bewegende Porträt eines verzweifelten Vaters bot. Lob verdient auch die hervor ragende Leistung des Dresdener Kammerchores.

Georg Henkel

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