ADX

L’Empire Du Crépuscule

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Ein großer Sprung nach vorn: Hatten wir neulich erst einen Re-Release des original 1985 erschienenen ADX-Debütalbums Exécution begutachtet, so liegt nunmehr der aktuelle Longplayer L’Empire Du Crépuscule der Franzosen im Player, je nach Zählung entweder Album Nr. 12 oder 13, was für 40 Jahre Bandgeschichte erstmal nicht viel anmutet, aber man muß auch die temporäre Auflösung der Combo in den Neunzigern berücksichtigen. Bei der Reunion kurz vor der Jahrtausendwende wirkten noch drei der fünf Altmitglieder mit, und von denen ist Gitarrist Betov zwischenzeitlich nicht mehr dabei, so dass mit Sänger Phil und Drummer Dog noch zwei aus der Achtziger-Schaffensperiode (in der es keinen Besetzungswechsel gegeben hatte) auf der aktuellen Scheibe spielen. Die drei Neuen, also Bassist Jules und die Gitarristen Fred und, huch, Néo, tragen kurzes oder gar kein Haupthaar – den Sound der Band modernisiert haben sie aber nur in moderatem Maße, wobei sich ihr Einfluß nicht quantifizieren läßt, da keine detaillierten Songwritercredits für die zehn neuen Nummern angegeben sind, sondern die Band als Gesamtverantwortliche für Texte und Musik deklariert wird.
Die Modernisierung des Stils bezieht sich darauf, dass auch ADX mittlerweile vom alten Songwritingprinzip, aus einer (in Zahlen: 1) Songidee auch einen (in Zahlen: 1) Song zu machen, abgewichen sind und sich an Kombinationen verschiedener Ideen innerhalb einer Nummer versuchen, was sie zum Glück nicht so weit treiben, dass hier die völlige Unlogik regieren würde. Trotzdem könnte der Altfan, wenn er unvorbereitet den Opener „Les Charognards“ hört, schon nach kurzer Zeit über ein erstes eigenartiges Break stolpern, das sitardurchsetzte Intro hätte man so vielleicht auch nicht erwartet, und auch mit dem eigenartigen Dreiermetrum im Mittelteil dieses Songs muß man erstmal klarkommen. Natürlich sind ADX nicht in den Progmetal gewechselt, aber die Erschließungszeit der neuen Nummern dauert teilweise doch etwas länger als für die Klassiker. Dass das Quintett aber auch noch so agieren kann, als schrieben wir noch das Jahr 1985, beweist das drittplazierte „Hors Contrôle“: Dog macht gnadenlos Speed, es gibt tatsächlich genau eine Grundidee für diesen Song, und die Gitarristen zaubern auf ihren Instrumenten, was das Zeug hält, wobei einer das klassische Stilmittel einer großen Solomelodie auffährt. Ebenso klassische Zweistimmigkeit im Solo hören wir im folgenden „Légions“, einem kernigen Midtempostampfer, der aber auch einige eigentümliche Wendungen beinhaltet, nicht zuletzt das Marsch-Outro, das vermutlich thematisch angebunden ist, was sich freilich wieder mal nur den Kennern der französischen Sprache erschließt, denn in ebenjener artikuliert sich Phil auch auf diesem Album. Das Backcover ließe zwar erneut ein Konzeptalbum über die Französische Revolution erwarten (da gab’s mit dem 1986er Zweitling La Terreur bekanntlich schon mal eins), zumal das Motiv auch den linken vorderen Teil des Covers prägt, aber der riesige Indianer in der rechten Coverhälfte paßt nicht wirklich zu dieser Deutung und die Pterodaktylen am Himmel auch nicht. Die Bourbonenlilie taucht allerdings als Wandschmuck an verschiedenen Stellen auf, und so kann sich der Sprachkundige sicherlich auf interessanten lyrischen Stoff gefaßt machen.
Alle anderen dürfen L’Empire Du Crépuscule aber trotzdem als interessantes traditionsorientiertes Metalalbum goutieren, wenngleich ihnen vielleicht der eine oder andere Hintergrund entgeht (z.B. welchen Kontext das Filmsample am Ende von „Le Malgre Nous“ hat) – und vielleicht erschließt sich ja auch noch das eine oder andere ungewöhnliche Break anhand des textlichen Inhalts, oder man kann ergründen, warum „Paradis Royal“ seinen alles niederreißenden Speed zwischenzeitlich gegen treibendes Midtempo tauscht und in einem seltsam energiearmen Midtempo endet. Das Akustikintro von „Le Couvent Des Possédées“ läßt mit seiner unheimlichen Melodik von vornherein keine Ballade erwarten, aber die Kombination aus speedigen Strophen, kernigem Doublebass-Midtempo, verschlepptem Refrain und völlig seltsamen Elementen im Solo sowie im Outro verlangt noch mehr Erschließungsarbeit als viele andere Songs, wobei man sich hier phasenweise irgendwie ein bißchen an King Diamond erinnert fühlt – natürlich nur instrumental, denn mit Falsettgesang hat Phil nun gar nichts am Hut. Seine Stimme ist durchaus gut gealtert, er hält sich gefühlt etwas tiefer als früher, wirkt aber nicht übermäßig angestrengt, kann immer noch Melodien halten, erinnert in der Stimmfarbe bisweilen etwas an Aleš Brichta und agiert nicht selten doppelstimmig, indem er hinter eine geshoutete Passage noch eine höhere, leicht melodiösere Zweitstimme legt. Keine Ahnung, wie das live gelöst wird, ob also einer der Instrumentalisten eine der beiden Gesangsstimmen übernimmt, ob eine eingesampelt wird oder sich Phil einfach für eine der beiden entscheidet – für die Beurteilung der CD ist dieser Fakt jedenfalls nicht relevant, und da freut man sich dann eher, was Phil in seinem schon etwas fortgeschrittenen Alter noch zu leisten imstande ist, denn da haben diverse Kollegen schon viel stärker abgebaut.
Weil den Bandmitgliedern die unheimliche Melodik in „Le Couvent Des Possédées“ so gut gefallen hat, bauen sie im Intro von „Septembriseurs“ gleich nochmal sowas ein, und der Fortgang läßt zunächst ein Instrumentalstück erwarten, ehe sich aber ein geradliniger Speedie entwickelt und Phil nach anderthalb Minuten doch zu singen beginnt. Mit dem Refrain und noch ins Solo hinein muß man sich allerdings wieder auf einige temposeitige 180-Grad-Kurven einstellen. Ein Instrumental gibt es letztlich aber doch noch: „Paris Un 13“ schließt die oldschoolig dimensionierte Dreiviertelstunde Musik auf hohem Niveau ab – eine letzte Gelegenheit für die Gitarristen, ihr Können eindrucksvoll zu demonstrieren. Die latenten Maiden-Einflüsse von vor 40 Jahren blitzen zwar nicht in diesem Instrumental, aber während der neun Songs zuvor an einigen wenigen Stellen immer noch auf, stilprägend waren sie freilich schon damals nicht und sind es bis heute nicht: ADX machen durchaus ihr eigenes Ding, wenngleich sie aufpassen müssen, es mit den erwähnten eigenartigen Breaks bzw. Rhythmuswechseln nicht zu übertreiben. Auf L’Empire Du Crépuscule stimmt die Mischung in der Gesamtbetrachtung aber und macht auch dieses Album zu einem Schmuckstück in der Franzosen-Metal-Kollektion.


Roland Ludwig


Trackliste |
1 | Les Charognards | 3:55 |
2 | Tout En Puissance | 5:00 |
3 | Hors Contrôle | 4:40 |
4 | Légions | 4:29 |
5 | Le Malgrénous | 4:33 |
6 | Paradis Royal | 4:38 |
7 | Le Couvent Des Possédées | 5:22 |
8 | Montfaucon | 3:32 |
9 | Septembriseurs | 5:06 |
10 | Paris Un 13 | 3:31 |
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Besetzung |
 Phil (Voc)
Fred (Git)
Néo (Git)
Jules (B)
Dog (Dr)

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