Ian Christe erzählt die Geschichte des Heavy Metal sinnvoller als komplett![]() ![]() ![]()
![]() „Die komplette, schonungslose, einzigartige Geschichte des Heavy Metal“ - Diesen Anspruch stellt nicht Autor Ian Christe selbst, sondern erst Übersetzerin Conny Lösch oder Lektorin Kirsten Borchardt. Er selber reklamiert für sein 2003 in New York erschienenes Buch etwas bescheidener „the complete headbanging History of Heavy Metal“. Eingelöst werden beide Ansprüche nicht, aber das mindert den Wert von Höllen-Lärm nur bedingt. Dazu mehr am Ende der Rezension. Die Diskussion, ob Höllen-Lärm einzigartig ist schenken wir uns. Zu `komplett´ und `schonungslos´ lässt sich aber einiges sagen. Fangen wir mit der Schonungslosigkeit an. Ja, es wird im Buch erwähnt, dass der eine oder anderer Metal Musiker gelegentlich alkoholische Getränke zu sich nimmt. Es wird auch davon berichtet, dass Nicholas Dingley (Hanoi rocks) bei einem Autounfall gestorben ist als er während einer Party mit Vince Neil (Mötley Crüe) zum Spirituosenladen gefahren ist. Dass Neil damals praktisch pausenlos so dermaßen unter Drogen stand, dass man den Unfall schon fast als vorsätzliche Tötung bezeichnen muss, lässt Christe nicht einmal anklingen. Und ein Geheimnis ist das nicht. Selbst wenn man von den Autobiographien von Mötley Crüe und ihrem Bassisten Nikki Sixx 60% als Jägerlatein abzieht, bleibt noch genug Lebensbeichte über, die sich wirklich als schonungslos bezeichnen lässt. Und dass es sich bei Mötley Crüe möglicherweise um einen Extremfall, aber ganz sicher um keine große Ausnahme handelt, dürfte jedem bekannt sein, der sich nur ansatzweise mit Rock und Metal beschäftigt. Ähnlich sieht es beim skandinavischen Black Metal aus. Christe berichtet von den Kirchenbrandstiftungen und auch davon, dass Dead (Mayhem) seine Bühnenklamotten vergrub (vor! den Auftritten), damit sie nach Verwesung riechen. Das aber ist kaum mehr als die Spitze eines Eisberges. Liest man Höllen-Lärm vor dem Hintergrund von Johannesson und Klingbergs Geschichte des schwedischen Metals, dann stellt man fest, dass Christe hier ziemlich im Schongang erzählt. Noch deutlicher wird die Diskrepanz, wenn es um die „komplette Geschichte“ des Heavy Metal geht. Dass Christe die Gründungsväter der Hart- und Heavy-Szene auf Purple, Zeppelin und vor allem Sabbath reduziert und Uriah Heep völlig außen vor lässt, obwohl das die einzige Band der Ur-Four ist, die von Beginn bis heute durchgehend existiert, sei geschenkt. Das gehört in der Musik-Geschichtsschreibung leider allgemein zum schlechten Ton. Dass Heep aber kein einziges Mal auch nur erwähnt werden, ist schon starker Tobak. Aber kommen wir zu den echten Fehlstellen. - Es gab ab Mitte der 80er so was wie eine Hamburger Schule, die weltweit Schule gemacht hat – Helloween, Running wild, Gamma Ray, Primal Fear, Iron Savior. Lediglich minimale Randbemerkungen. - Dann gab es die echten Versuche Klassik mit Metal zu verbinden. (Ich meine jetzt nicht die Cash-Ins, bei denen die Scorpions, Metallica, Kiss und etliche andere ihre Klassiker neu arrangiert mit Orchestern eingespielt haben.) Rage haben das Album Lingua Mortis mit dem Symphonic Orchestra Prague raus gebracht. Waltari haben unter dem Titel Yeah! Yeah! Die! Die! ihre Death Metal Symphonie in deep C veröffentlicht. Therion haben auf Theli Black Metal mit Opern-artigen Klängen gekreuzt. Nichts davon wird auch nur erwähnt. - In Skandinavien gab es eine starke Welle melodisch symphonischen Metal angeführt u.a. von Stratovarius. Fällt weg! - Und vielleicht am einschneidensten. Der gesamte Prog-Metal-Bereich fehlt. Dream Theater werden meiner Erinnerung einmal kurz erwähnt, obwohl sie im Index am Ende des Buches nicht auftauchen. Aber von Shadow Gallery, Symphony X, Ayreon – Nichts. Es dürfte nur geringe Mühe machen, diese Liste zu erweitern. Warum mindern diese Mängel – wie zu Beginn der Rezension angemerkt - den Wert von Höllen-Lärm nur bedingt? Christe hat keine komplette Geschichte des Heavy Metal vorgelegt. Er ist statt dessen eine Hauptstraße der Metal-Geschichte entlang gefahren – und zwar die Road to Extremes. Und da hat er zu Recht in England bei den düsteren Black Sabbath begonnen und zur NWOBHM übergegangen. Dann hat er den Sprung über den großen Teich in die Bay Area zum Thrash Metal gemacht. Der Death- und Black Metal hat ihn später nach Skandinavien geführt. Das Ganze hat Christe sehr detail-verliebt gemacht, so dass etliches, was am Rand der Road to Extremes liegt, erwähnt wird. Was Christe - im Gegensatz zum mach anderen Autoren - unterlässt, ist das Erkunden von Neben- und Parallelstraßen. Das kostet ihn das Etikett „komplett“, aber es macht sein Buch recht gut lesbar – im Gegensatz zum manch einer Metal-History, bei der man oft nicht mehr weiß, wo man jetzt eigentlich ist. Somit eine klare Empfehlung für eine kenntnisreiche und detaillierte Geschichte der Radikalisierung des Rocks, bei der der Lesende nicht vergessen sollte, dass es noch viel interessanten Metal jenseits von Christes Weg gibt. Und eine Erbsenzählerei zum Ende kann ich mir nicht verkneifen. Dass folgender Fehler in der US-Ausgabe stehen geblieben ist, mag man noch schlucken. Aber das sowohl eine deutsche Übersetzerin als auch eine deutsche Lektorin bei dem Satz „entstanden durch Bands wie ... Tiamat aus Deutschland“ nicht auf die Bremse getreten haben, … ![]() Norbert von Fransecky ![]() ![]() ![]() |
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