Der Papagei und die Wunderheilung: „Rockpastor“ Pontus J. Back in Meuselwitz




Info
Künstler: Pontus J. Back

Zeit: 09.05.2025

Ort: Meuselwitz, Saal der Bluechip-Arena

Internet:
https://rockpastor.com/german.html

Der Finne Pontus J. Back spielte jahrelang in verschiedenen Rockbands, mit denen er auch umfangreich tourte und somit oft lange von seiner sechsköpfigen Familie, also seiner Frau und seinen vier Kindern, getrennt war. Bereits als Zwölfjähriger hatte er allerdings auch zum Alkohol gefunden und war spätestens als Sechzehnjähriger als Alkoholiker zu klassifizieren, wozu später noch weitere nicht gerade gesundheitsfördernde Substanzen traten. Ende 2006 hatte er sich in ein körperliches Wrack verwandelt, wurde allerdings Anfang 2007 von einem langjährigen Freund dezent auf den religiösen Weg gebracht, was dazu führte, dass er bei einem kurz danach erfolgten physischen Totalzusammenbruch, der zumindest mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zum multiplen Organversagen und damit zum Tod geführt hätte, eine religiöse Vision hatte, dass ihm Jesus höchstselbst erschienen sei und ihm nicht nur zugesagt habe, dass er jetzt nicht sterben werde, sondern auch den Auftrag erteilt habe, die Kunde von ihm und seiner Geschichte zu verbreiten. Trotz diverser Rückschläge wurde Back tatsächlich wieder gesund, tourt seither hauptsächlich durch Finnland und durch Deutschland und kommt dem besagten „Auftrag“ als „Rockpastor“ nach, wobei er zwar mit lokalen kirchlichen Initiativen zusammenarbeitet, aber am liebsten nicht in Kirchen, sondern an „neutralen“ Orten auftritt, gern auch vor „schwierigem“, da gestraucheltem Publikum etwa in Resozialisierungseinrichtungen. An diesem Abend ist er im ostthüringischen Städtchen Meuselwitz zu Gast, organisiert durch eine lokale freikirchliche, den Pfingstkirchen zuzuordnende Initiative namens Vaterhaus, allerdings nicht in deren Räumlichkeiten, sondern im Saal der Bluechip-Arena, die zum lokalen Fußballverein ZFC Meuselwitz (aktuell 4. Liga) gehört.
Back tritt im Grundsatz allein auf, hat zumindest an diesem Abend allerdings einen lokalen Übersetzer zur Verfügung, der aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt und das mitunter etwas frei, aber doch zumeist gut macht. Nur von Molly Hatchet, mit denen Back einst tourte, hat er offenbar noch nix gehört. Der Finne spielt im ersten Set eine Handvoll Rockklassiker, wobei er die Backingtracks und einen Teil der Gitarrenarbeit aus dem iPad holt und einige weitere Rhythmus- und Leadgitarren sowie die Leadvocals live beisteuert. An die daraus resultierende gewisse Sterilität und Unspontaneität des Gesamtklangbildes muß sich der rockmusikerfahrene Hörer erst ein bißchen gewöhnen, aber das gelingt letztlich. Dazu singt Back mit einer im besten Sinne normalen, also durchschnittlichen, aber in viele Richtungen anschlußfähigen Stimme. Nach Nummern wie „Hound Dog“ oder „Have You Ever Seen The Rain?“ leitet „Swing Low, Sweet Chariot“ zum religiösen Block über, der mit diversen Eigenkompositionen bestückt ist. Schon „Swing Low, Sweet Chariot“ hatte sich im Americana-Sektor aufgehalten, und die Eigenwerke positionieren sich ähnlich: „Blessed Sureness“ stammt vom Album Rockabilly Hymns und klingt auch so, „It’s A Miracle“ (der erste Song, den Back nach seiner Bekehrung schrieb) bietet urtümlichen flotten Rock’n’Roll, und „Pray! Pray! Pray!“ sowie „Jesus Loves Rock’n’Roll“ vom neuen Album „Still Thankful“ folgen klassischen Boogie-Mustern, lassen aber auch Raum für Individualität und einige skurrile Einfälle – so ist in ersterem auch Backs Papagei Winston zu hören, der das Hauptriff nachkreischt. Der erste Set endet mit dem Slowblues „I’m Guilty“, der vor allem mit einem schönen Hauptsolo zu überzeugen weiß.

Jeweils zwischen den Songs hatte Back kurz aus seiner Biographie berichtet, mit einem längeren Block vor „Swing Low, Sweet Chariot“. Im zweiten Set kehrt sich das Verhältnis nun um: Die vier Songs, beginnend mit „Amazing Grace“ und dann drei Eigenkompositionen nachschiebend, sind nur noch das Beiwerk für die evangelistische Erzählung und zudem meist eher zurückhaltend als Akustikballaden oder Akustikpop gehalten, wobei der dramaturgische Höhepunkt der Geschichte, also die Geschehnisse von Anfang 2007, im ersten großen Erzählblock dieses Teils nach „Amazing Grace“ plaziert ist. Nach der persönlichen Schilderung dieses Blocks wird das Ganze allerdings immer theologielastiger und dafür unpersönlicher, besonders im finalen Erzählblock, der mit einem Gebet endet. Der Übersetzer setzt noch eine eigene „Minipredigt“ hintendran, was des Guten definitiv zuviel ist – zumal sich bereits vorher ein Grundproblem gezeigt hat: Der Ankündigungstext in der regionalen Presse hatte mit keiner Silbe erwähnt, dass Back seine Rettung auf Jesus zurückführt und dass es sich damit um eine Veranstaltung mit religiösem Background handelt. Schon in der Pause ist ein nicht gerade kleiner Teil des Publikums gegangen, während des zweiten Sets folgen weitere Besucher, die offenbar das negative Gefühl haben, hier unversehens in eine Evangelisation geraten zu sein, die als Rockabend getarnt worden war. Das hätte man von vornherein anders kommunizieren können – ob man das vergessen hat oder bewußt nicht wollte, muß offenbleiben (lediglich auf den Plakaten findet sich ein dezenter Hinweis auf den Background). Auch der Rezensent, aus dem orthodoxen sächsischen Dorfluthertum kommend und sich zu einer Art Synkretist weiterentwickelt habend, muß konstatieren, dass der Abend aus seiner Sicht bis einschließlich Teilen des ersten Erzählblocks im zweiten Set durchaus stimmig konzipiert war (vom scheinbaren musikalischen „Stilbruch“ bei „Amazing Grace“ mal abgesehen, der aber angesichts der weiteren Werke des zweiten Sets wiederum logisch anmutet), Back aber mit den Details der Wunderheilung sowie den dann noch folgenden theologischen Anwandlungen und Auslegungen nicht ansatzweise so überzeugend rüberkommt wie im Grundsatz als Geschichtenerzähler. Dass er seine Mission ehrlich meint, sollte ihm nicht abzusprechen sein, und dass er den „Missionseifer der Konvertiten“, wie ein Theologe aus dem Umfeld des Rezensenten mal treffend formuliert hatte, aufweist, ist in gewisser Weise typisch, wenngleich das, was er draus gemacht hat, nämlich so eine Art privates Missionswerk, wiederum einen gewissen Einzigartigkeitswert besitzt. Trotzdem paßt er vor bestimmte Zielgruppen besser als vor andere – dass er am Vorabend im Resozialisierungsprojekt des Seehaus-Vereins in Neukieritzsch aufgetreten ist, könnte besser angekommen sein als der strukturell wie beschrieben eher schwierige Abend in Meuselwitz, und auf christlichen Festivals und ähnlichen Veranstaltungen sollte er eine sichere Bank sein, auch wenn das vielleicht gar nicht so in seinem Sinne ist, weil das dortige Publikum ja schon „auf der richtigen Seite steht“.


Roland Ludwig



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