Das Blech zieht ostwärts: ¡Pendejo! im KuBa Jena![]() ![]() ![]()
![]() Blechblasinstrumente sind in bestimmten Genres der modernen populären Musik durchaus verbreitet, wenn man etwa an Ska denkt – in den diversen Spielarten der harten Gitarrenmusik treten sie hingegen nur äußerst selten auf. Combos wie Tranquillizer oder Sear Bliss mit Posaunen im Black Metal oder die längst verblichenen Chemnitzer Cottonbomb, die mal gasthalber einen Tubaspieler in ihren Reihen hatten, besitzen definitiv Raritätenwert, und zu dieser Kategorie gesellen sich auch ¡Pendejo!, die grundsätzlich im Stoner Rock anzusiedeln sind und gleich mit zwei Blechblasinstrumenten aufwarten, wenn auch beide nicht „exklusiv“ besetzt sind: Der Posaunist greift gelegentlich zu einer zweiten Gitarre, und der hauptamtliche Leadsänger bedient nebenbei noch die Trompete, was naturgemäß jeweils beides nicht parallel zu bewältigen ist, sofern man nicht wie Zaphod Beeblebrox über mehr Köpfe bzw. Arme verfügt als der normale Erdling. ¡Pendejo! starten jedenfalls aktuell ihre „Going East“-Tour, und deren erster Gig findet an einem Donnerstagabend im gemütlichen KuBa in Jena vor leider kopfzahlmäßig eher übersichtlich besetztem Publikum statt. Das „east“ paßt vom Bandhauptquartier ausgesehen in Bezug auf Jena ohne weitere Abstufungen ziemlich gut – trotz des spanischen Bandnamens steht besagtes Hauptquartier nämlich in den Niederlanden, und der Bandname und die spanischen Lyrics erklären sich wiederum daraus, dass die zwei Bandgründer ursprünglich aus Venezuela stammen. Also hinein ins Geschehen! Der Opener „Tu hermana“ macht das grundsätzlich zu erwartende Spektrum gleich klar, hebt mit flottem Stoner Rock an, wird in zwei Stufen langsamer und endet in reinem Doom – und dazu gesellen sich schon hier die konsequent aus den beiden Blechblasinstrumenten stammenden Leads, während der hauptamtliche Gitarrist hier gar keine solchen spielt und das auch im Fortgang des Sets nur sehr selten mal tut. Dieser Song eröffnet auch Volcán, das 2023 erschienene jüngste Album des Quintetts, und obwohl die Tour nicht explizit zur Promo dieses Albums deklariert ist, so verwundert es dennoch nicht, dass sein Stoff einen Gutteil des Sets stellt, nämlich knapp die Hälfte: Acht Songs vulkanischen Ursprungs erklingen (was bedeutet, dass drei der elf nicht berücksichtigt werden) und dazu noch zehn aus dem früheren Schaffen der seit 2006 aktiven Combo. „Revolución“ an zweiter Setposition ist gleich noch so ein Neuling, dazu der erste, wo der Posaunist zum Zweitgitarristen wird, wobei übrigens durchaus auch mal innerhalb eines Songs ein Instrumentenwechsel stattfindet. Der besagte Song bietet jedenfalls knackigen geradlinigen Midtempo-Stoner Rock und macht zugleich ein Grundproblem von ¡Pendejo! deutlich: Sie haben gute Songwritingideen, inszenieren diese aber bisweilen etwas zu knapp, so dass man hier und da das Gefühl hat, ein Song sei schon zu Ende, obwohl die ihm zugrundeliegende Idee noch gar nicht zu Ende erzählt sei. Gegenüber anderen Combos, die einfach eine Handvoll Ideen aneinanderreihen und das als Songwriting bezeichnen, ist dieses Problem freilich immer noch als sekundär zu betrachten, und es gibt durchaus auch Exempel, wo das Dosierungsverhältnis zumindest nach Meinung des Rezensenten gut getroffen wurde. Und Platz für das eine oder andere überraschende Element bleibt auch noch, wie das reine Blechbläserfinale in „No te vayas“ demonstriert.
![]() Im Publikum befindet sich der eine oder andere Kundige des Spanischen, aber diese Personen sind klar in der Minderzahl, und die anderen freuen sich daher, dass der Sänger in den Ansagen bisweilen auch etwas zu den Inhalten verrät. „Uñero“ beispielsweise ist in herzlicher Abneigung Geert Wilders gewidmet („I know you have such cocksuckers here, too“) und folgerichtig in wütendem, aber trotzdem midtempolastigem Gestus gehalten, und als Stoner-Rock-Combo aus den Niederlanden muß man natürlich auch einen Song über, ähem, Rauchwaren im Repertoire haben, hier „Juanita“, das mit A-Cappella-Leadvocals beginnt. Der Sänger, optisch eine Art Waldschrat, aber in durchaus elegantem Jackett, artikuliert sich meist etwas angerauht, aber trotzdem melodiehaltefähig, und die komplette vordere Reihe produziert Backings in oft so ähnlichem Gestus, dass man sie bisweilen gar nicht auseinanderhalten kann. Als spezielles soundveränderndes Gimmick singt der Vokalist bisweilen in das Mikro, das am Trichter seiner Trompete angebracht ist, was eine sehr eigentümliche Klangfärbung hervorbringt. Humor hat er auch: „We now play our best song. If you don’t like it – it won’t get any better.“ Dieser Song entpuppt sich in der Tat als Geniestreich, auch wenn es sich nicht um eine Eigenkomposition, sondern um eine Coverversion handelt: Den Maiden-Klassiker „Wrathchild“ in Stoner Rock mit Blechbläserleads zu übersetzen klingt völlig verrückt, aber es funktioniert bestens. Aber auch die Eigenkompositionen bieten interessante Momente, etwa „Otro Dios“, das im Intro tatsächlich mal Gitarren-Doppelleads auffährt, oder das entspannte „Hasta el final“, das ein bißchen an manche Solowerke von Aleš Brichta erinnert. Die Doppelschläge im Intro des folgenden „La vagancia“ wiederum lassen eine Weile die Möglichkeit offen, dass sich hieraus noch eine Coverversion entwickelt, nämlich eine von MSGs „Lost Horizons“, aber es wird dann doch eine Eigenkomposition draus, im fetten Midtempo und mit einem großen hymnischen Refrain. Die Midtempogrenze nach oben überschreitet das Quintett nur einmal, nämlich in „El nuevo novio“, während die Doomgrenze noch einige Male gerissen wird. Und einen schwingenden, aber schweren Groove wie in „Amor y pereza“ hinzukriegen muß man auch erstmal schaffen, wobei der Rezensent immer noch überlegt, woher er das Thema der Doppelbläserleads kennt. Der Hauptset endet mit „Camarón“ nochmal in einer Kombi aus schwerem Groove und flotten Passagen, wobei hier zwei atmosphärische Zwischenspiele auftauchen, die zusammen mit einigen Halbakustikpassagen in „Cuaranta y siete“ andeuten, dass ¡Pendejo! auch in dieser Richtung Anschlußpotential hätten. Wie groß dieses Potential ist, zeigt die erste der vom angetanen Publikum eingeforderten Zugaben: „La vieja“, Closer des aktuellen Albums, ist eine sehr gefühlvolle tränentreibende Akustikballade mit einer vokalen Ausdrucksweise, die man dem Waldschrat gar nicht zugetraut hätte. Danach kracht’s aber noch zweimal: „Arrecho vengo“ erinnert in den flotten Strophen ein wenig an „Bomba“ von Kontrust, während „La chicha del súper“ eher doomig daherkommt, ein eigenartiges A-cappella-Break auffährt und sich selbst wie den Set in Gedröhn abschließt, während die Mitglieder einzeln die Bühne verlassen. Im etwas zu lauten, aber gut ausbalancierten Soundgewand hat man das Potential des Quintetts gut rekognoszieren können – eine starke Leistung mit beträchtlichem Unterhaltungs- und Originalitätswert dürfen sich ¡Pendejo! definitiv gutschreiben lassen.
![]() Setlist: Tu hermana Revolución No te vayas Uñero Wrathchild Cuarenta y siete Juanita Otro Dios Hasta el final La vagancia El nuevo novio La reina de la ametralladora Flotadores Amor y pereza Camarón -- La vieja Arrecho vengo La chica del súper ![]() Roland Ludwig ![]() ![]() ![]() |
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