Different but the same: Týr, Heidevolk und Dalriada bieten in Leipzig je ihre eigene Interpretation von Folk Metal




Info
Künstler: Týr, Heidevolk, Dalriada

Zeit: 26.04.2019

Ort: Leipzig, Hellraiser

Internet:
http://www.metalblade.de
http://www.hellraiser-leipzig.de

Tourpackagezusammenstellungen muten bisweilen etwas willkürlich und von äußeren Zwängen diktiert an – hier dagegen haben wir den gegensätzlichen Fall vor uns: Drei Bands spielen jeweils ihre eigene Variante des Folk Metals und sorgen so für gleichermaßen Homogenität wie Abwechslung. Außerdem kennen sich diverse der Beteiligten nicht erst seit gestern: Bereits vor zehn Jahren veröffentlichten Týr und Heidevolk eine Split-Scheibe, und dann wäre da noch die Personalie Tadeusz Rieckmann, der seit der Bandgründung 2001 bei Dalriada trommelte, 2016 den gleichen Posten auch bei Týr übernahm und mit selbigem so ausgelastet zu sein scheint, dass er seine ungarischen Bandkollegen 2018 verließ, was freilich nicht in bösem Blut geschehen zu sein scheint – andernfalls wäre diese dreiwöchige Tour, deren letzter Gig an diesem Abend in Leipzig ansteht (am Folgeabend kommt für alle drei Bands noch ein Festivalauftritt in Franken hinzu), wohl kaum friedlich verlaufen.

Dalriada eröffnen offenbar pünktlich 20 Uhr, der Rezensent kommt noch rechtzeitig zur Bandbegrüßung nach dem Opener „Thury György Balladája 2. Rész“, vorgenommen wie das Gros der Publikumskommunikation durch den Rhythmusgitarristen, der auch die männliche Hälfte der Gesangspassagen beisteuert (wo er hier und da mal neben der Spur liegt) und die Ansagen in einem sympathischen deutschdurchwirkten Englisch hält. Die Songtitel brüllt er dabei ziemlich, aber das senkt deren Verständlichkeit für den gemeinen deutschen Metaller kaum, denn die sind alle im bandheimatlichen Ungarisch gehalten, und so kann sich der Interessierte allenfalls anhand mancher einprägsamer Titeltracks durchhangeln, wobei Dalriada interessanterweise etliche ihrer schon recht vielen, aber hierzulande mit Ausnahme einer bei AFM Records erschienenen Scheibe kaum bekannten Alben nach Monaten benannt haben. Zum konzeptualen Bild trägt auch bei, dass alle sechs Musiker in Weiß gekleidet sind. Von der Zusammensetzung her haben die Ungarn auf die Mitnahme von Livemusikern für die Folkinstrumente verzichtet, und der Keyboarder simuliert auf seinen Tasten auch im wesentlichen nur die Passagen des Akkordeons, soweit man das akustisch wahrnehmen kann, während etwa die Bläser vom Band hinzugespielt werden, wodurch der Keyboarder genug Zeit hat, um wie ein Flummi auf der Bühne herumzuspringen, wozu ihm der oft tanzbar gestaltete folkmetallische Grundsound Dalriadas auch reichlich gute Gelegenheit bietet. Bisweilen tappen zwar auch die Ungarn in die neuzeitliche Songwritingfalle, zuviel in einen Song hineinpacken zu wollen, aber zumeist gelingen ihnen logische Entwicklungen, die auch einen markanten Unterhaltungswert besitzen und für prima Stimmung im gut gefüllten Hellraiser sorgen, was sich vor dem Setcloser „Hajdútánc“ dann sogar in rhythmischem Klatschen äußert – wir haben wohlgemerkt noch die erste Supportband vor uns. Zum positiven Gesamtbild trägt auch Sängerin Laura bei, eine kleine Blondine, die aber eine enorm ausdrucksstarke und vielseitige Stimme besitzt und neben dem dominierenden Klargesang auch nahtlos in wildes Gebrüll oder hohes Gekeife wechseln kann, damit quasi eine verbesserte Version von Angela Gossow darstellend. Auch die Instrumentalisten zeigen manch Kabinettstückchen, etwa wenn der Rhythmusgitarrist und der Bassist jeweils mit einer Hand auf dem Griffbrett des jeweils anderen Instruments spielen, was der Keyboarder und der Bassist später adaptieren. Nur fällt es bisweilen schwer, das Können adäquat wahrzunehmen: Der Gesamtsound ist nicht überlaut, aber etwas zu verwaschen, speziell die Linien von Rhythmusgitarre und Baß lassen sich akustisch oft kaum auseinanderhalten, auch die Keyboards und die Samples verschwinden immer mal, und wenn Rieckmanns Nachfolger am Drumkit Gas gibt oder sonst irgendwie die Schlagzahl erhöht, übertönt er das Gros seiner Mitstreiter, auch wenn zumindest Gesang und Leadgitarre meist gut durchhörbar bleiben. Der beschriebenen hervorragenden Stimmung tut das schwierige Klangbild keinen Abbruch, und so können Dalriada sicherlich den einen oder anderen Anhänger hinzugewinnen, zumal es das Gros des CD-Backkatalogs am Merchstand für je einen Zehner zu erstehen gibt und so mancher seine Kollektion komplettiert oder überhaupt aufzubauen begonnen haben wird. Das lange Outro „Fele Zivatar“ beendet den Set, so dass klar ist, dass es keine Zugabe geben wird.

Setlist Dalriada:
Intro
Thury György Balladája 2. Rész
Napom, Fényes Napom
Áldás
Kinizsi Mulatsága
Ígéret
Komámasszon
Hajdútánc
Fele Zivatar (Outro)

Hatten sich Dalriada im heimatlichen Ungarisch artikuliert, so tun Heidevolk das mit Ausnahme von „A Wolf In My Heart“ im heimatlichen Niederländisch, in welchem sie historische Geschehnisse aus ihrer Provinz Gelderland und der Umgebung aufarbeiten. Schnell entpuppt sich das Sextett gewissermaßen als sympathisches Gegenstück von Helrunar. Sie spielen überwiegend eine Art Epic Metal, den sie nur selten in Richtung Geknüppel verlassen, und sie halten ihr Songwriting zwar abwechslungsreich, aber doch kompakt genug, um Freunde der klassischen Schule bei der Stange zu halten. Bisweilen fühlt sich der Hörer in den doomigeren Passagen an die Weißrussen Gods Tower erinnert, aber allein schon die Vokalbesetzung sichert den Niederländern Eigenständigkeit: Zwei Leadsänger (einer Marke Waldschrat, einer Marke Normalo) artikulieren sich in zumeist prima aufeinander abgestimmten klaren Gesangslinien, der Basser und einer der Gitarristen steuern gelegentlich herbere Parts bei, sind aber ebenfalls zu Klargesang befähigt, so dass sich die Möglichkeit von bis zu vierstimmigen Satzgesängen ergibt, die auch hier und da zur Anwendung kommt, in einer Nummer sogar fast a cappella unter Hinzuziehung lediglich der großen Trommel, wodurch sich Heidevolk fast für eine Zweitkarriere beim A-Cappella-Festival, das justament an diesem Abend in Leipzig eröffnet wird, qualifizieren. Aber auch die metallischen Hymnen gefallen den Anwesenden offensichtlich, und die Bewegungsaktivität stimmt gleichfalls, wenn schon im Einleitungspart des zweiten Songs „Ostara“ bis auf den Drummer alle Bandmitglieder synchron in einer Reihe hüpfen – der Basser treibt dann aber Schabernack mit dem Publikum, indem er in der Songmitte abermals zum Hüpfen auffordert, aber daraufhin nicht etwa ein dafür geeigneter Part, sondern eine der seltenen Prügelpassagen kommt. Vom Klangbild her gehen hier die gesampelten Folkinstrumente zumeist unter, der metallische Part erfreut sich bei abermals angenehmer Lautstärke aber einer ziemlich beeindruckenden Klarheit, zumal die Drums auch in den Passagen mit höherer Schlagzahl eben nicht alles andere niedermähen, sondern so gut ins Gesamtbild eingepaßt sind, wie es der Rezensent auf Metalgigs eher selten erlebt. Gut möglich, dass das eigentlich „unfallbedingt“ war: Hinter dem Drumkit sitzt nicht der erkrankte etatmäßige Schlagzeuger der Band, sondern eine nach dem ersten Gig der Tour eingesprungene Aushilfe, und vielleicht wurde der vorsorglich ein wenig leiser gedreht. Wenn das eine Vorsichtsmaßnahme war, so war sie zumindest an diesem Abend nicht nötig: Am Zusammenspiel gibt es nichts zu deuteln, auch der zweite Aushilfsmusiker, der Leadgitarrist, wirkt bestens integriert und fällt außer durch seine geringe Körpergröße allenfalls dadurch ein wenig aus dem Rahmen, dass er nicht ganz so bewegungsaktiv ist wie die anderen vier nicht ortsgebundenen Musiker. Die beiden haben sich in den drei Tourwochen also offensichtlich musikalisch bestens ins Kollektiv eingefügt, und das tut natürlich auch dem Gesamtbild gut, aus dem die Quasi-Hits „Saksenland“ und „Vulgaris Magistralis“ herausragen, wobei erstgenannter im heutigen Sachsen selbstredend besonders gut ankommt, auch wenn er sich räumlich nicht auf das heutige Areal zwischen Leipzig, Zittau und Plauen bezieht, sondern auf die ursprünglichen Siedlungsgebiete der Sachsen in der Norddeutschen Tiefebene, an die ja noch heute der Bundeslandname Niedersachsen erinnert. Die Stimmung im Rund jedenfalls ist prächtig, aber auch hier wird anhand des langen Outros klar, dass keine Zugabe eingeplant ist.

Setlist Heidevolk:
Ontwaakt
Ostara
A Wolf In My Heart
Einde Der Zege
Onverzetbaar
Yngwaz‘ Zonen
Britannia
Winter Woede
Urth
Het Gelders Volkslied
Tiwaz
Saksenland
Vulgaris Magistralis
Nehalennia

Können Týr da noch eins draufsetzen? Vorab die Antwort: Nein, sie schaffen es nicht. Zum einen verlassen etliche offensichtliche Heidevolk-Die-Hards bereits nach deren Gig den Saal, zum zweiten ist das Týr-Material doch etwas komplexer strukturiert und nicht ganz so sehr zum Partymachen geeignet, zum dritten schließlich fehlt den Färingern ein hauptamtlicher Frontmann, der das Publikum unabhängig von instrumentalen Pflichten anfeuern kann – zwar nutzen Bandkopf Heri Joensen und auch Bassist Gunnar H. Thomsen jede Möglichkeit eines länger ausgehaltenen Akkords, um mit der dann freien rechten Hand die Meute zum Fäusteschütteln zu animieren, aber das ist im Vergleich mit den Möglichkeiten Heidevolks ein eher schwacher Trost. Diese Ausführungen sollen freilich nicht bedeuten, Týr hätten etwa einen schwachen Gig abgeliefert – das Quartett weiß gleichfalls zu überzeugen, nur der Überwältigungsfaktor fällt eben etwas niedriger aus als der Heidevolks. Dabei durfte man im Vorfeld durchaus Zweifel hegen: Terji Skibenaes, langjähriger zweiter Gitarrist der Färinger, hatte das neue Album Hel noch mit eingespielt, die Band dann aber verlassen, und auch wenn die Fußball-Nationalmannschaft der Färöer Inseln in ihrem ersten internationalen Punktspiel anno 1990 Österreich mit 1:0 bezwungen hatte, ist der Musikerpool der Inseln doch ähnlich klein wie der Fußballerpool, was die diesbezüglichen Möglichkeiten begrenzt, so dass Týr ähnlich wie schon bei der Neubesetzung der Drummerstelle abermals auf dem internationalen „Transfermarkt“ zuschlugen und seltsamerweise abermals in Ungarn fündig wurden: Seit 2016 sitzt Tadeusz Rieckmann am Schlagzeug, tat das zwei Jahre lang parallel auch noch bei seiner Ur-Band Dalriada und seit 2018 jetzt nur noch bei Týr – der neue Gitarrist Attila Vörös wiederum hat auch schon bei Satyricon gespielt, kennt also nordeuropäische Verhältnisse bereits, während sein Name ebenso dem Ungarn-Metal-Experten geläufig sein dürfte, nämlich von Morpheus, die ganz im Gegensatz zu ihrem Namen keinen Funeral Doom, Ambient oder ähnlich einschläfernde Musik spielen, sondern ein Iron-Maiden-ähnliches Terrain beackern. Der Mann ist also stilistisch anpassungsfähig und beweist das auch bei Týr, wo er sich offensichtlich gut eingelebt hat, so gut sogar, dass er im ersten färöesisch bzw. dänisch gesungenen Track der Setlist, „Grindavísán“ vom 2013er Valkyria-Album, bereits in die Backing Vocals eingebunden werden konnte, obwohl beide Sprachen nicht zur finno-ugrischen Sprachfamilie zählen und die Verwandtschaft nicht besonders eng ist. Spielerisch überzeugt das Quartett allerdings grundsätzlich auf ganzer Linie, und der Drummer bekommt das Kunststück fertig, einige auf Konserve etwas überhastet, nervös und anstrengend wirkende Rhythmen wie gleich im Opener „The Lay Of Thrym“ live mit einer derartigen Leichtigkeit zu spielen, dass die Nummer einen ganz anderen Charakter bekommt und klar an Wirkung gewinnt. Dass man das problemlos nachvollziehen kann, dafür sorgt auch der abermals ziemlich gute und nicht überlaute Sound, der allenfalls einige der Backing Vocals mal etwas zu weit ins Abseits stellt. Showtechnisch sind Týr dagegen naturgemäß leicht gehandicappt, da alle drei Frontleute sowohl Instrumente spielen als auch Mikrofone vor der Nase haben, aber zumindest Vörös und Thomsen sorgen gelegentlich für Bewegung auf der Bühne, indem sie die Plätze tauschen, und die Animation zum Fäusteschütteln wurde ja bereits erwähnt.
Da Týr ihr neues Album Hel betouren, war davon auszugehen, dass sich etliche von dessen dreizehn Songs im Set finden würden – letztlich sind es vier, davon drei in der zweiten Hälfte des regulären Sets und „Sunset Shore“ als einziger weiter vorn, allerdings auch „erst“ an Position 5. Aber Týr haben acht Alben veröffentlicht, und da stellt das Zusammenbasteln einer umfassenden Setlist ein nicht leichtes Unterfangen dar, zumal dann, wenn man auch noch zu seinen Frühwerken steht und deren Material gleichfalls noch live spielt: „Hail To The Hammer“, die erste Zugabe, war der Opener des Debütalbums How Far To Asgaard, mit dem die Band anno 2002 erste internationale Aufmerksamkeit erregen konnte, und „Ramund Hin Unge“ stellte eine von gleich fünf Folkbearbeitungen dar, die auf dem Zweitling Eric The Red versammelt waren. Mancher Altanhänger wird gespannt darauf gewartet haben, ob die Band denn diesmal noch eine ganz bestimmte der weiteren Folkadaptionen dieser Scheibe auspacken würde – und sie tut es nicht: „An der Nooordseeeeeküste“, äh, „The Wild Rover“, fehlt in der Setlist. Und „Hail To The Hammer“, eine der doomigsten Nummern des Sets, gerade als erste Zugabe zu spielen wirkt auch etwas gewagt und läßt an diesem Abend die Stimmung im Saal eher etwas nach unten kippen, ehe die Alliterationsorgie „Hold The Heathen Hammer High“ für einen intensiveren Abschluß des Abends sorgt, an dem Týr prinzipiell auf eher schnelle Kompositionen gesetzt, aber zumeist in den richtigen Momenten herunterzuschalten gewußt haben. Ob es auf Dauer freilich so gesund ist, die Backingmikros so aufzubauen, dass die dort plazierten Sänger quasi mitten in den Trockeneisfontänen stehen, was übrigens auch bei den Supportacts schon so war? Oder sollte das nur ein Scherz der Crew am letzten regulären Tourabend gewesen sein?

Setlist Týr:
The Lay Of Thrym
Hall Of Freedom
Mare Of My Night
Grindavísan
Sunset Shore
Shadow Of The Swastika
Ramund Hin Unge
Guitar Solo
Gates Of Hel
Northern Gate
Fire And Flame
Blood Of Heroes
Ragnars Kvæði
Drum Solo
Bass Solo
By The Sword In My Hand
---
Hail To The Hammer
Hold The Heathen Hammer High


Roland Ludwig



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